E-Mail

Wir schreiben das Jahr 1967. Der Ingenieur Lawrence Roberts, Architekt des Arpanet und damit einer der Väter des modernen Internet, war felsenfest überzeugt: Das Austauschen von Textmitteilungen unter den Netzwerkteilnehmern, so schrieb er, sei «kein wichtiger Beweggrund, ein Netz von wissenschaftlichen Rechnern aufzubauen». Es war die Zeit, als Telex noch ein schnelles Kommunikationsmittel war, als Computer noch schrankgross und nur etwas für die crème de la crème der Wissenschaft waren. «Not an important motivation» – welch krasse Fehleinschätzung!

Heute tragen wir Computer in der Tasche, die ein Eintausendfaches jener Rechner leisten, mit denen Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins 1969 auf den Mond gesteuert wurden, Computer, die gleich auch noch telefonieren können und lichtschnelle Postboten sind.

Die Post, damals Briefe oder Lochstreifen, ist heute digital. Und auch sie hat sich vervielfacht. 107 Billionen E-Mails wurden allein letztes Jahr verschickt, eine Zahl mit zwölf Nullen. Druckte man die alle auf Papier, der Turm reichte von der Erde bis hoch zur Venus.

Nur das Recht ist noch nicht so ganz im Internetzeitalter angekommen: E-Mails sind bis heute keine echten Beweismittel. Wer klagen will und nur eine E-Mail in der Hand hat, wird’s vor dem Richter schwer haben. Anders ist das beim Telefax, einer Technik, die fast schon ins Museum gehört.

Bei dieser ozeanischen Flut von E-Mails müsste man meinen, die Menschheit habe noch nie so viel geschrieben und gelesen wie heute. Schön wär’s. Neun von zehn aller Mails dieser Welt sind Spam.

Elephant chart

Der Bericht, den der serbisch-amerikanische Ökonom Branko Milanovic vor sieben Jahren für die Weltbank verfasste, bot Sprengstoff. Auf Seite 13 steht eine Grafik, die auf der X-Achse die globale Einkommensverteilung zeigt – von links nach rechts von den Ärmsten zu den Reichsten – und auf der Y-Achse das reale Einkommenswachstum in den Jahren der Globalisierung, von 1988 bis 2008. Die Kurve gleicht frappierend einem Elefanten mit erhobenem Rüssel: Sie steigt beim ärmsten Viertel der Menschheit scharf an, verharrt dann lange auf Rückenhöhe und fällt schliesslich beim Mittelstand ins Rüsseltal ab, um erst wieder bei den reichsten Menschen zur erhobenen Rüsselspitze anzusteigen. Die Grafik zeigt: Die Ärmeren, die Mittelschicht in den Schwellenländern und die wenigen Allerreichsten dieser Welt haben von der Globalisierung stark profitiert; ausgerechnet der Mittelstand des Westens dagegen nicht.

Das ist brisant, denn es bedeutet: Die Verlierer der Globalisierung sind nicht pauschal die Armen dieser Welt, sondern nur die wenigen Allerärmsten – und ausgerechnet die wohlhabende Mittelschicht, und so machte die Elefantengrafik als elephant chart eine Blitzkarriere. «Die einflussreichste Grafik des letzten Jahrzehnts», wie sie auch genannt wurde, musste für eine ganze Reihe von Erklärungen herhalten: für den Aufstieg des Populismus, für den Brexit, für die Wahl von Donald Trump. Zwar wurde Milanovic für seine Messmethode kritisiert, doch auch Neuberechnungen machten aus dem Elefanten keine Maus. Und so geht die «elephant chart» in die Wirtschaftsgeschichte ein – weil sie zeigt, dass die Dinge oft ganz anders sind, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.

Emoji

Sie haben einen seltsam fremden Namen, und doch sind sie uns so vertraut wie die Buchstaben: die sogenannten «Emojis», jene Smileys und Symbole, ohne die kaum eine SMS oder eine WhatsApp-Nachricht mehr auskommt. «Emoji» hat nichts mit «Emotion» zu tun, sondern setzt sich aus den japanischen Wörtern 絵 (e) für «Bild» und 文字 (moji) für «Zeichen» zusammen.

In der Fachsprache sind Emojis sogenannte Ideogramme, eine Bilderschrift, deren Buchstaben nicht abstrakte Zeichen, sondern stilisierte Abbildungen sind. Ihr Erfinder heisst Shigetaka Kurita. Kurita, ein japanischer Designer, arbeitete Mitte der Neunzigerjahre für den Konzern NTT DoCoMo, und der hatte eine Vision: das Internet aufs Handy zu bringen. Das war damals noch klobig, liess sich nur mit Tasten bedienen, und sein einfarbiges Display war noch briefmarkenklein. So dachte sich Designer Kurita 12 mal 12 Pixel kleine Symbole aus, mit denen sich die aktuelle Stimmung treffender und vor allem schneller übermitteln liess. Die von japanischen Mangas inspirierten, wahlweise heiteren, traurigen oder grimmigen Smileys verbreiteten sich wie eine Epidemie – erst in Japan, dann in Asien, schliesslich der ganzen Welt.

Heute gibt es Emojis für alle Lebenslagen – Smilies, Tiere, Symbole von Ahornblatt bis Zirkuszelt. Nur: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Weil in Japan erfunden, kommt es bei den Emojis schon mal zu interkulturellen Missverständnissen: Der schnaubende, grimmig dreinblickende Smiley zum Beispiel ist ursprünglich das Zeichen für Triumph; der blaue Tropfen unter dem linken Auge des traurigen Emojis, den wir als Träne verstehen, ist in japanischen Mangas ganz einfach das Zeichen für Schlaf.

Fokussierungs-Illusion

Sind Menschen, die im sonnigen Kalifornien leben, glücklicher? Diese Frage stellten 1998 zwei amerikanische Forscher, David Schkade und Daniel Kahneman, 2000 amerikanischen Studentinnen und Studenten an Universitäten in Michigan und Ohio und in Kalifornien. Die Antwort lautete: Ja, Menschen in Kalifornien sind glücklicher, wegen der atemberaubenden Natur, dem Kulturangebot und dem milden Klima. Der Haken aber war der: Fragte man nach der eigenen aktuellen Lebenszufriedenheit, ergaben sich keine Unterschiede mehr. Die Studierenden in Kalifornien bezeichneten sich im Vergleich zu ihren Kommilitonen im Mittelwesten als kein bisschen glücklicher. Das grosse Glück an der sonnigen Westküste ist ein Ergebnis der sogenannten focusing illusion.

Die Fokussierungs-Illusion ist sozusagen die wissenschaftlich fundierte Version des Märchens vom «Hans im Glück»: Als Lohn für sieben lange Jahre Arbeit erhält Hans einen grossen Klumpen Gold. Den zu tragen, ist beschwerlich, weshalb sich Hans im Tausch dafür erst ein Pferd aufschwatzen lässt, dafür dann eine Kuh, ein Schwein, eine Gans, am Ende einen Schleifstein. Jedesmal erliegt Hans der Fokussierungs-Illusion und begehrt das, was er gerade nicht hat.

Wenn wir uns auf deutlich erkennbare Unterschiede konzentrieren, auf Geld oder Luxusgüter, dann werden wir leicht Opfer einer kognitiven Verzerrung. Was wir nicht besitzen, erscheint uns begehrenswerter, weil wir damit eine gesteigerte Lebenszufriedenheit verbinden. Zögen wir tatsächlich nach Kalifornien, würden wir das milde Wetter geniessen, kein Zweifel. Doch schon ein Jahr später wäre unser gesamtes Lebensglück um kein Quentchen grösser geworden.

Fondue

Ob Greyerzer, Emmentaler, Tilsiter oder Vacherin – die wahre Mischung ist geheimer als das Bankgeheimnis, und um die Entstehung des Fondues ranken sich mehr Legenden als um den Tellenschuss. Fasten bedeutete, nichts Festes zu sich zu nehmen, so sagen die einen, und findige Mönche hätten den Käse kurzerhand eingeschmolzen, um die Fastenregel nicht zu brechen. Andere schreiben das Fondue den Sennen zu, weil die das Brot und den Käse auf der Alp selbst herstellten, und wieder andere wollen wissen, dass die Kappeler Milchsuppe, die 1529 angeblich einen Bürgerkrieg zwischen Zürich und der Innerschweiz verhinderte, in Tat und Wahrheit ein Fondue gewesen sei.

Das erste Rezept in den Beständen der Nationalbibliothek datiert von 1945, aber da war das Fondue in der Schweiz noch eine kaum bekannte Spezialität in der Waadt, in Savoyen, im Piemont und im Aostatal. So richtig ins Schmelzen kam das Fondue erst in den 1950er-Jahren durch seine Aufnahme ins Kochbuch der Schweizer Armee. 17 Kilo Greyerzer, 5 Kilo Emmentaler, 11 Liter Weisswein, 15 Kilo Brot, dazu Zitronensaft, Knoblauch und Gewürze, das reichte für eine ganze Kompanie. Von der Feldküche aus nahm der Siegeszug seinen Lauf. Im Auftrag der damaligen Käseunion erfand 1953 eine Werbeagentur den Slogan «Figugegl», ein Akronym für «Fondue isch guet und git e gueti Luune».

Und wenn es heute ein Schweizer Nationalgericht gibt, dann ist es nicht die Rösti, denn die endet am gleichnamigen Graben, sondern vielmehr das Fondue. Zwar streiten sich Deutsch und Welsch nach wie vor über das Geschlecht (das Fondue? die Fondue?), doch Topf auf den Tisch und Wein ins Glas, und alle kulturellen Differenzen sind vergessen.