Abrakadabra

Das Gedicht, das der römische Arzt und Autor Quintus Serenus zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert n. Chr. schrieb, ist viele, viele Verse lang. In 1115 formvollendeten Hexametern beschreibt es beliebte Heilmittel gegen Krankheiten aller Art. Kapitel 52 etwa behandelt die Malaria.

Einschreiben sollst du auf ein Blatt das so genannte Abracadabra und es öfter und unterhalb wiederholen, aber ziehe von dem Obersten ab, und mehr und mehr einzelne Elemente sollen den Figuren fehlen, die du jeweils wegnimmst; das Übrige sollst du gestalten, bis ein Kegel durch einen Buchstaben zur Enge geführt ist.

Das Erklärschema steht gleich daneben: Abrakadabra, soll man schreiben, danach Abrakadabr, dann Abrakadab, Abrakada, Abrakad – immer ein Laut weniger, bis hin zu einem letzten A. Dieses Schema, als Talisman um den Hals getragen, soll das Fieber vertreiben.

In der Antike war medizinische Hilfe öfter in Büchern zu finden als anderswo: Apotheken gab es nicht, Ärzte nur wenige, und die waren nicht immer gut ausgebildet. So wurde Serenus‘ Lehrgedicht bis ins späte Mittelalter eifrig gelesen und befolgt.

Anders als die Formel Hokuspokus aber ist Abrakadabra noch viel älter. Sie stammt, so nehmen Sprachforscher an, aus dem Aramäischen, wo sie «es vergeht wie das Wort» bedeutet. Klinischen Tests würde der Schwundzauber vermutlich nicht standhalten. Und dennoch: Wo Zaubern unterrichtet wird, steht Abrakadabra bis heute im Lehrplan. An der Zauberschule Hogwarts nämlich lernt Harry Potter, dass es einen Fluch gibt, der zaubereigesetzlich strengstens verboten ist: Avada Kedavra – der Fluch, der Lebewesen auf der Stelle tötet.

Alptraum

Herzklopfen, Schwitzen, Hochschnellen aus unruhigem Schlaf: Ein Alptraum haut den stärksten Kerl um.

«Herr Ritter, wurden Sie je vom Alp im Schlafe gepresst?»,

lässt Christoph Martin Wieland im Jahr 1771 seinen Helden Amadis schelmisch fragen. Der Alp ist der sprachliche Urgrossvater des Elfs, und dieser hässliche, haarige Zwerg ist es, der sich alten Vorstellungen zufolge den Schlafenden auf die Brust zu setzen pflegt. Man sprach daher auch gern vom «Alpdruck», der das Atmen erschwert und den Angsttraum auslöst. Ein Gemälde des Zürcher Malers Johann Heinrich Füssli aus dem 18. Jahrhundert zeigt eine schlafende Grazie, auf deren Brust ein bösartig grinsender Kobold thront. Das Bild trägt den Titel «Der Nachtmahr», und tatsächlich ist der Mahr, auf Englisch nightmare, in allen nordischen Sprachen jener Kobold, dessen ganz besonderes Vergnügen es ist, Menschen im Schlaf zu plagen.

Alpträume treten meist in der zweiten Nachthälfte und während einer so genannten REM-Phase auf, jener Phase leichten Schlafs also, in der sich die Augen rasch hin und her bewegen. Häufige Motive sind das Verfolgtwerden oder das Fallen, und eine Beschleunigung des Angsttraums führt meist zum Erwachen. Ursachen für die Fantasien sind laut deutschen Traumforschern nicht nur Stress, sondern auch genetische Veranlagung. Prüfungen, Krankheiten und persönliche Probleme schlagen sich besonders leicht in Alpträumen nieder. Dabei leiden Frauen laut Umfragen doppelt so häufig unter Alpträumen als Männer, ältere Menschen mehr als junge.

Als Gegenmittel empfehlen Psychologen mehr Entspannung im Alltag: Wer tagsüber weniger Stress hat, dem setzt sich so leicht kein Kobold auf die Brust.

Bezoar

Ein Bezoar ist ein kugelförmiger oder länglicher, grauer, brauner oder schwarzer und vor allem seltener Stein. Nüchtern betrachtet, ist er eine ausgesprochen unappetitliche Sache: Er entsteht im Magen eines Tieres, gelegentlich auch des Menschen, wenn sich Unverdauliches wie Haar oder Fasern verklumpt. Bei Wiederkäuern, deren Mageninhalt immer wieder umgewälzt wird, kann sich ein solcher Klumpen im Verdauungstrakt einnisten und mit der Zeit versteinern – wird das Tier geschlachtet, kommen die harten, glänzenden Kugeln zum Vorschein. So ansehnlich sie auch sein mögen: In der Tiermedizin gilt ein Bezoar als sogenannter pathologischer Gastrolith, auf Deutsch ein Magenstein.

Und doch war ein Bezoar begehrt und seinem Besitzer lieb und teuer: Besonders ansehnliche Exemplare, die vor allem von Gämsen und Bezoarziegen stammten, wurden nicht selten in Gold gefasst und als Schmuckstück um den Hals getragen. Denn Bezoaren sagte man seit der Antike einen Schutz vor Vergiftungen nach – das Wort padzahr stammt aus dem Persischen und bedeutet wörtlich «gegen Gift». Besonders europäische Herrscher, die sich vor Giftanschlägen fürchteten, hielten ihre kostbar verzierten Bezoare in Ehren – obwohl Ambroise Paré, der Leibarzt des französischen Königs, schon 1565 nachgewiesen hatte, dass der Glaube an die heilenden Steine Humbug war. Das Experiment: Ein Koch hatte Silberbesteck gestohlen und war zum Tode verurteilt worden. Ihm wurde ein Gift verabreicht und danach ein Pulver aus zermahlenem Bezoar; sieben Stunden später war der Koch tot. So findet man Bezoare heute nur noch in Pharmazie- und Medizinmuseen – und manchmal in den Schatzkammern des europäischen Hochadels.

Bildschirmschoner

Mit den Kathodenstrahl- oder Plasmabildschirmen der Achtzigerjahre gab es ein Problem: Zeigten sie lange Zeit ein und dasselbe Bild an, brannte sich dieses ein. Das Phosphor der bestrahlten Pixel nutzte sich ab, was die fluoreszierende Schicht beschädigte und eine Art dauerhaftes Phantombild hinterliess.

1983 wurden daher erste «Screensaver» programmiert, die dieses Einbrennen verhinderten und dazu die Daten mit einem Passwort schützten. Blieb der Computer eine Zeitlang unbenutzt, aktivierten sich diese Bildschirmschoner und begannen, kleine Animationen über den Bildschirm zu bewegen. 1989 kam die beliebte Sammlung von Bildschirmschonern namens «After Dark» auf den Markt. Die User hatten eine ganze Reihe von Sujets zur Auswahl, deren wohl bekanntestes die surrealen «Flying Toasters» waren: Von oben rechts glitten zufällig verteilte Toaster elegant flügelschlagend nach unten, dazwischen flogen appetitlich gebräunte Toastbrotscheiben. «Ich ging ziellos durchs Haus und in die Küche», erinnert sich Entwickler Jack Eastman, der sich damals meist nachts das Programmieren beibrachte.

In der Küche sah ich den Toaster stehen, und mein übermüdetes Hirn brachte daran Flügel an.

Die «Flying Toasters» wurden ein Renner, und Eastman bestand darauf, dass sich nicht nur Anzahl und Tempo von Toast und Brot einstellen liess, sondern sogar, wie beim richtigen Toaster, der Bräunungsgrad.

Heutige Bildschirme brauchen in der Regel keine Bildschirmschoner mehr. Für Nostalgiker aber gibt’s die fliegenden Toaster noch immer – als Progrämmchen wie ehedem, oder aber als Anleitung zum Selberprogrammieren.

Bircher, Maximilian

Maximilian Bircher (1867-1939) ist ein schwieriger Fall. Die einen sehen in dem Zürcher Arzt einen medizinischen Visionär, die anderen einen esoterischen Spinner. Tatsache ist, dass sein wichtigstes Vermächtnis nicht seine Kliniken und Schriften sind, sondern vielmehr «d’Spyys», jene «Speise» aus geriebenen Äpfeln und Haferflocken, die wir heute kurz und bündig «Birchermüesli» nennen.

Und das kam so. 1895 erkrankte Bircher an Gelbsucht. Von der Heilkraft pflanzlicher Rohkost überzeugt, verordnete er sich eine Diät aus Früchten und ungekochtem Gemüse, um an deren «gespeichertem Sonnenlicht» zu gesunden. Rohes, so predigte er, sei Gekochtem vorzuziehen, pflanzliche Nahrung dem Fleisch; Konserven gar, um die Jahrhundertwende Inbegriff der Moderne, waren ihm ein Graus. Seine Predigten, das waren Aufsätze und Zeitschriften, seine Kanzel war seine Zürcher Praxis, die schon bald zu einer kleinen Privatklinik heranwuchs, dann, ab 1904, das Sanatorium «Lebendige Kraft» auf dem Zürichberg.

Die Medizin tat sich schwer mit Bircher. Seine Lehre von der Vollwertkost als «Sonnenlichtnahrung» widersprach dem damaligen Stand der Wissenschaft, und dass er die Gesundheitspolitik der Nationalsozialisten unterstützte – der deutsche Reichsärzteführer Gerhard Wagner bemühte sich gar, Bircher als Professor nach Dresden zu holen –, war seinem Ruf nicht eben zuträglich.

Erfolgreich war Bircher trotzdem. Sein Sanatorium war bald international bekannt; einen Patienten namens Thomas Mann inspirierte das Haus mit seinem streng geregelten Tagesablauf gar zum Roman «Der Zauberberg». Die Klinik gibt es nicht mehr. «D’Spyys» dagegen, dieses Müesli aus Haferflocken, frischen Früchten, Joghurt und Milch, Zitronensaft und Rosinen, ist beliebter denn je.