Alptraum

Herzklopfen, Schwitzen, Hochschnellen aus unruhigem Schlaf: Ein Alptraum haut den stärksten Kerl um.

«Herr Ritter, wurden Sie je vom Alp im Schlafe gepresst?»,

lässt Christoph Martin Wieland im Jahr 1771 seinen Helden Amadis schelmisch fragen. Der Alp ist der sprachliche Urgrossvater des Elfs, und dieser hässliche, haarige Zwerg ist es, der sich alten Vorstellungen zufolge den Schlafenden auf die Brust zu setzen pflegt. Man sprach daher auch gern vom «Alpdruck», der das Atmen erschwert und den Angsttraum auslöst. Ein Gemälde des Zürcher Malers Johann Heinrich Füssli aus dem 18. Jahrhundert zeigt eine schlafende Grazie, auf deren Brust ein bösartig grinsender Kobold thront. Das Bild trägt den Titel «Der Nachtmahr», und tatsächlich ist der Mahr, auf Englisch nightmare, in allen nordischen Sprachen jener Kobold, dessen ganz besonderes Vergnügen es ist, Menschen im Schlaf zu plagen.

Alpträume treten meist in der zweiten Nachthälfte und während einer so genannten REM-Phase auf, jener Phase leichten Schlafs also, in der sich die Augen rasch hin und her bewegen. Häufige Motive sind das Verfolgtwerden oder das Fallen, und eine Beschleunigung des Angsttraums führt meist zum Erwachen. Ursachen für die Fantasien sind laut deutschen Traumforschern nicht nur Stress, sondern auch genetische Veranlagung. Prüfungen, Krankheiten und persönliche Probleme schlagen sich besonders leicht in Alpträumen nieder. Dabei leiden Frauen laut Umfragen doppelt so häufig unter Alpträumen als Männer, ältere Menschen mehr als junge.

Als Gegenmittel empfehlen Psychologen mehr Entspannung im Alltag: Wer tagsüber weniger Stress hat, dem setzt sich so leicht kein Kobold auf die Brust.

Caganer

Der caganer gehört in Katalonien, ganz im Nordosten Spaniens, seit Jahrhunderten zur angestammten Belegschaft der Weihnachtskrippe. Er ist in keinem Evangelium zu finden, und daher würde man ihn in so unmittelbarer Nachbarschaft des neugeborenen Jesuskindes auch nicht unbedingt vermuten. Denn der caganer stellt einen katalanischen Bauern dar, mit traditioneller roter Mütze und heruntergelassener Hose, der etwas abseits auf dem Boden kauert und seelenruhig sein Geschäft verrichtet. Daher auch sein Name: Caganer heisst auf Deutsch ganz einfach «Scheisserchen».

Was um Himmels willen hat die biblische Weihnachtsgeschichte mit bäuerlichem Stoffwechsel zu tun? Wenn jemand auf dem Feld mal muss, so erklären Katalanen den staunenden Fremden, dann muss er eben, das ist doch das Natürlichste auf der Welt. Gesichertes Wissen über den caganer gibt es kaum. Es wird aber vermutet, dass das Männchen ursprünglich für den Kreislauf der Natur stand, für Dünger und Fruchtbarkeit, für die Hoffnung auf eine gute Ernte im nächsten Jahr, für Ausgeglichenheit und Gesundheit.

Heute ist der caganer geradezu zur weihnachtlichen Kunst- und Kultfigur geworden: Anstelle des Häufchen machenden Bauern sieht man auch Politiker, Schauspieler, Musiker oder Fussballer, allesamt gebückt und in eindeutiger Pose. Dieser Tage besonders beliebt: US-Präsident Donald Trump, mit roter Krawatte statt roter Mütze, untenrum blank.

Selbst das Königshaus und die katholische Kirche Spaniens haben das Männchen auf dem Topf längst akzeptiert: als ein etwas eigenwilliges Symbol für Glück.

Charme

Charme ebnet den Weg – hin zu neuen Bekannten und Freunden, zum Flirt und zur grossen Liebe. Charmanten Menschen zu begegnen ist buchstäblich zauberhaft.

Charme, das wissen wir, kommt aus Frankreich. Hier aber hat er nur einen kurzen Zwischenhalt gemacht, denn seine Geschichte reicht viel weiter zurück: über das französische charmer, «bezaubern» zum lateinischen carmen, «Gesang» oder «Zauberspruch». Der charmante Urahn ist das lateinische Verb canere, «singen», und dass im Gesang der wahre Zauber liegt, wussten ganz besonders die Minnesänger des Mittelalters.

Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immêr darinne sîn.

Mit diesen Versen liess eine unbekannte, augenscheinlich bis über beide Ohren verliebte Dichterin am Ende des 12. Jahrhunderts ihren Minnesang enden, dessen Manuskript in der Bayerischen Staatsbibliothek in München liegt.

Dass gesungene Liebeslyrik so alt ist wie die Menschheit, zeigt auch ein Blick in die Reime heutiger Popsongs. All you need is love, und seit den Beatles singen neun von zehn Sängern ziemlich unisono von Liebesleid und Liebesfreud.

Charme kommt vom lateinischen Zauberspruch, und das mit ihm verwandte Chanson ist der Boden, auf dem die Liebe spriesst. Weil indessen nicht jeder Charmeur hält, was er versprochen, erweist sich Charme, trotz seiner magischen Wirkung, gelegentlich als fauler Zauber.

Ciao

Eine einzige Silbe, aber beileibe nicht einsilbig: Ciao ist der kumpelhafte, herzliche Gruss, dessen italienische Wurzel längst zum Exportschlager geworden ist. Mit ciao grüsst man in halb Europa, in der Grande Nation und auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Als Formel in kubanischen Briefen macht ciao mittlerweile sogar dem traditionellen adiós den Rang streitig.

Der freundliche Gruss hat seinen Ursprung im Venedig des Mittelalters. Händler und Seefahrer pflegten einander mit sciào vostro zu begrüssen, was nichts anderes als «ich bin Ihr Sklave» heisst – in der Bedeutung: Wenn Du mich jemals brauchen solltest, dann kannst Du auf mich zählen. Sono il vostro schiavo: Diese Sklaverei als Gruss ist im übrigen nichts Ungewöhnliches. Wenn sich Österreicher oder Bayern mit servus verabschieden, nehmen sie genauso das lateinische Wort für «Sklave» in den Mund.

Dennoch: Dass unser freundliches ciao aus Venedig kommt, muss noch lange nicht heissen, dass die einst blühende Republik durch ausgesuchte Höflichkeit zu Macht und Gold gekommen wäre. Dafür verantwortlich war vielmehr der Handel mit Schiffen, mit Tuch, Seide, Glas, Salz, Pfeffer – und mit den schiavi, die dem Gruss zu Gevatter standen: den Sklaven, die von hier aus zu Abertausenden ins muslimische Spanien, nach Ägypten und Asien exportiert wurden.

Noch etwas: Wenn wir uns mit tschüss verabschieden, dann hat das mit Sklaverei nichts zu tun. Tschüss kommt vom lateinischen ad deum – spanisch adiós und niederdeutsch adjüs – und heisst ganz einfach «zu Gott».

Damoklesschwert

Ob Schuldenkrise oder Klimaerwärmung: An Damoklesschwertern ist kein Mangel. Warum das Schwert über unseren Köpfen hängt, hat uns im Jahr 45 v. Chr. der römische Politiker Marcus Tullius Cicero erzählt. Damokles, ein Höfling, war im Palast von Dionysios eingeladen, dem Tyrannen der sizilianischen Stadt Syrakus. Er bestaunte die opulente Tafel, wandte sich an den Gastgeber und bekannte, wie sehr er ihn um diesen ungeheuren Reichtum beneide. Der Fürst schmunzelte und bot Damokles an, es doch einfach selbst ausprobieren und einen ganzen Tag lang in die Herrscherrolle zu schlüpfen.

Damokles war begeistert: Gebadet und mit kostbaren Ölen parfümiert, liess er sich auf dem goldenen Thron nieder, und vor ihm wurden die erlesensten Speisen aufgetürmt. Da glitt sein Blick in die Höhe, und über sich sah Damokles ein Schwert in der Luft schweben, aufgehängt an einem einzigen Pferdehaar. Die bösartig funkelnde Spitze war drohend auf seinen Kopf gerichtet – als Zeichen dafür, dass Macht und Luxus nur um den Preis tödlicher Gefahr zu haben sind. Schlagartig verging Damokles der Appetit, vergessen waren Diener und Delikatessen, und er floh in Panik.

Die Geschichte ist uralt – Cicero hat sie vermutlich beim griechischen Geschichtsschreiber Diodoros gelesen und in einer seiner philosophischen Schriften als Beispiel für nur allzu vergängliches Glück aufgeführt. Seitdem hängt ein sprichwörtliches Schwert über dem Scheitel eines jeden, der die Gefährlichkeit seines Tuns zwar erkennt, die Bedrohung um der Bequemlichkeit willen aber in den Wind schlägt.

Das war auch beim Tyrannen Dionysios im 4. Jahrhundert v. Chr. nicht anders: Machtkämpfe und ein bewaffneter Putsch machten seiner Dynastie ein gewaltsames Ende.