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Makulatur

Flecken sind lästig. Kleider lassen sich waschen, doch Papier machen sie unbrauchbar. Der Abdruck einer Kaffeetasse, ein Druckfehler, eine falsche Formatierung machen aus Papier Ausschuss, und den nennt man «Makulatur», von lateinisch macula, «der Fleck». Weil Papier aber kostet, wird Makulatur oft weiterverwendet, denn in der Regel ist da ja immer noch die leere Rückseite.

Makulatur entsteht aus vielen Gründen. Werden im Buchdruck Fehler zu spät entdeckt, werden die Druckbogen zu Makulatur, ebenso wie Werbebriefe, Zeitungen, Akten und sogar ganze Bücher, die nicht mehr aktuell und damit wertlos geworden sind. Makulatur nennt man deshalb auch Gesetze oder Verträge, die nicht eingehalten werden und daher überflüssig sind.

Mit Makulatur lässt sich eine Menge anstellen. Im Mittelalter wurden mit altem Pergament oder Papier Buchdeckel verstärkt – wird heute ein alter Band restauriert, kommt die Makulatur wieder zum Vorschein, eine wahre Fundgrube für die Wissenschaft. Auch beim Tapezieren war Makulatur nützlich: Das Papier reduzierte die Saugfähigkeit der Wand und glich Unebenheiten aus. Beim Renovieren findet man deshalb unter den abgeschossenen Tapeten oft Zeitungspapier aus vergangenen Zeiten.

Auf dem Bau wird Makulatur auch heute noch gebraucht, so viel sogar, dass sie in Rollen eigens hergestellt wird. Für ganz besondere Wandbeläge gibt’s sogar Flüssigmakulatur aus Kleister und Füllstoff. Die wird mit der Bürste aufgetragen, damit am Ende alles glatt läuft.

Handschuhehe

1490 sollte die dreizehnjährige Anna von Bretagne mit dem deutschen Kronprinzen Maximilian verheiratet werden. Staatsgeschäfte hielten den Bräutigam aber davon ab, nach Rennes zu reisen, und so schickte er einen Gesandten, der vor versammeltem Hof ein Bein bis zum Knie entblösste und es in das Prunkbett schob, in dem die Prinzessin lag und so tat, als würde sie schlafen. Damit galt die Ehe symbolisch als geschlossen.

Eine Adelshochzeit war in Europa stets auch eine Allianz zwischen Mächten, und eine Ehe entschied oft genug über Krieg oder Frieden. Weil eine Hochzeit aber wochenlanges Reisen voraussetzte, dachten sich die Habsburger eine Art Stellvertreterhochzeit aus, die sogenannte Handschuhehe. Die heisst so, weil der Diplomat als Zeichen seines Auftrags einen Handschuh des abwesenden Bräutigams zu überreichen pflegte. Für eine solche Stellvertreterhochzeit gab es unterschiedliche Protokolle. So konnte es, als andere Variante, auch sein, dass sich der Gesandte in voller Rüstung neben die prachtvoll gekleidete Braut legte, dazwischen lag aus Gründen der Sittlichkeit ein blankes Schwert.

In einzelnen Staaten Südeuropas, Südamerikas und verschiedenen US-Bundesstaaten sind Handschuhehen bis heute möglich, doch in den meisten Rechtsordnungen sind sie ausgeschlossen. Eigentlich hatten sie immer schon ihre Tücken. Weil Maximilians und Annas Ehe nie vollzogen wurde, und weil die Verbindung den Interessen des französischen Königs zuwiderlief, wurde die Hochzeit auf massiven Druck hin schon ein Jahr später vom Papst wieder annulliert.

Experte

Ein Experte, sagt der Duden, ist ein Fachmann, eine Sachverständige, eine Autorität. Experte kommt vom lateinischen Verb experiri, «versuchen» oder «ausprobieren»; «expertus» ist jemand, der von einer Sache ganz viel weiss – und der auch ganz viel kann.

Was das genau heisst, ist nicht immer so ganz klar. So seufzte schon im 2. Jh. der griechische Satiriker Lukian von Samosata, es sei schon seltsam,

dass Männer, die sich für Sachverständige ausgeben, einander widersprechen und von einerlei Sache nicht einerlei Begriff haben.

Worauf es ankommt, ist die Fachkompetenz. Und die, so definiert es die deutsche Kultusministerkonferenz, ist die

Bereitschaft und Fähigkeit, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und am Ende das Ergebnis zu beurteilen.

Das ist aber nicht alles: 1984 stellte der amerikanische Informatiker Edward Feigenbaum fest, dass für wahre Expertise nicht nur Methoden nötig sind, sondern zuweilen auch das genaue Gegenteil:

Ein Experte versteht nicht nur den Wortlaut der Regeln, sondern ihren Geist. Und deshalb weiss er auch, wann es Zeit ist, sie zu befolgen – und wann sie zu brechen.

Expertin zu werden, dauert seine Zeit. Wie lange, weiss etwa die ETH Zürich: Hier gilt die 10-Jahres-Regel – weil es mindestens 10 Jahre Ausbildung und Erfahrung braucht, bis ein Experte auch wirklich einer ist.

Freelancer

Wer freiberuflich, also selbständig und damit auf eigene Rechnung arbeitet, ist ein «Freelancer». Freelancers arbeiten zwar im Auftrag eines Unternehmens, sind aber nicht mit einem Arbeitsvertrag integriert. «Freelancer» ist keine geschützte Bezeichnung und auch kein rechtlicher Begriff. Für Firmen aber sind Freelancers attraktiv, weil sich so kurzfristige Engpässe überbrücken lassen, ohne dass zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden müssten.

Als Freelancer zu arbeiten, hat Vorteile: Selbst verantwortlich zu sein für Arbeitsort und Arbeitszeit zum Beispiel – ob zu Bürozeiten oder am Wochenende, ob am Küchentisch oder im Café. Die Kehrseite: Das Gehalt ist Verhandlungssache, Beiträge fallen an für Unfall-, Krankheits- und Sozialversicherung – und, ab 100 000 Franken Umsatz pro Jahr, auch die Mehrwertsteuer.

Der Begriff «Freelancer» klingt modern und ist im Englischen tatsächlich ziemlich jung. Zum ersten Mal taucht er 1820 in Walter Scotts historischem Roman «Ivanhoe» auf. Free Lances, das waren Söldner, die nicht an einen bestimmten Herrn gebunden waren. So lässt Scott den Adligen de Bracy sagen:

Ich habe Richard Löwenherz die Dienste meiner freien Lanzen angeboten, und er hat sie abgelehnt, (…) doch in stürmischen Zeiten wie diesen findet ein Mann der Tat immer Beschäftigung.

Und das ist bis heute so: In der Schweiz arbeitet mehr als jede zehnte Person als Freelancer.

Temporalstunde

Temporalstunden sind zum ersten Mal im alten Ägypten belegt. Aufzeichnungen zeigen, dass Priester die Zeit zwischen Sonnenauf- und -untergang in zwölf gleich lange Abschnitte teilten. Weil Tage im Sommer aber länger sind als im Winter, dauerte im Tal der Könige am 21. Juni eine pharaonische Stunde 69 Minuten, am 21. Dezember dagegen bloss 51 Minuten. Die Nächte wurden nach demselben Prinzip unterteilt; die Nachtstunden dauerten dann entsprechend länger oder kürzer als die Tagesstunden.

Diese ungleich langen Temporalstunden waren in vielen Kulturen üblich und heissen deshalb auch biblische, jüdische, antike oder römische Stunden. Auch die Zählung war anders als heute: Die erste Stunde war die nach Sonnenaufgang; Mittag war sieben Uhr. Europa behielt diese Form der Zeiteinteilung bis ins späte Mittalter bei. Einfache, sogenannt «kanoniale» Sonnenuhren zeigten in Klöstern Temporalstunden an, um den Brüdern und Schwestern die täglichen Gebetszeiten anzuzeigen.

An zwei Tagen im Jahr, um den 20. März und den 23. September, ist die Nacht genau gleich lang wie der Tag. Tagundnachtgleichen hiessen auf Lateinisch aequinox, und weil dann auch Tag- und Nachtstunden gleich lang sind, nennt man unsere modernen Stunden auch «Äquinoktialstunden». Möglich wurden sie erst im 14. und 15. Jh dank Uhrwerken, die die Zeit unabhängig von der Jahreszeit messen konnten. Die Stunde als immer gleichbleibendes Zeitmass ist damit eine Erfindung der Mechanik und der Renaissance.