Teigtaschen

Dem wahren Feinschmecker sind sie ein Graus: die Ravioli. Das liegt weniger am Gericht als vielmehr an seiner Verpackung: Seit Generationen gibt es sie, in eintöniger Tomatensauce schwimmend, in Dosen zu kaufen; kurz aufgewärmt, ergeben sie eine hastige Mahlzeit.

Ravioli, diese kulinarischen Einwanderer aus Italien, sind also Fastfood? Von wegen. Teigtaschen aus Hefe, Blätter- oder Nudelteig und mit Gemüse-, Fisch- oder Fleischfüllung sind auf der ganzen Welt heimisch. Ihre Zubereitung ist simpel: Der Teig aus Mehl oder Hartweizengriess, Wasser, Salz und Ei wird flach ausgerollt und zugeschnitten. Jeder Teil wird mit der gewünschten Füllung belegt, mehr oder weniger kunstvoll geschlossen und danach gekocht, gedünstet, gebraten oder frittiert. Das Ergebnis heisst dann je nach Weltengegend Krapfen, Maultaschen, Tortelloni, Kreplach, Piroggen, Empanadas, Pelmeni, Boraki, Wareniki oder Pow. Alle sind sie ein bisschen anders und doch ein bisschen gleich, denn allen ist gemeinsam, dass man von aussen nicht erkennen kann, was drinsteckt.

Und das ist Absicht. Denn zum einen lassen sich so patent die Reste vom Vortag verarbeiten, und zum anderen verbirgt die Tarnung aus Teig diskret, dass die Zutaten nicht zwingend von der allerbesten Qualität zu sein brauchen. Und dann gab es noch diesen einen, ganz besonders gewichtigen Grund: An Freitagen durften fastende Katholiken im Gedenken an den Karfreitag, den Hinrichtungstag Jesu Christi, kein Fleisch essen. Teigtaschen machten es möglich, sich selbst im Kloster hemmungslos der Fleischeslust hinzugeben. Im Schwabenland heissen die Maultaschen daher treuherzig «Herrgottsbscheisserle».

Theaterdonner

Der sogenannte «Theaterdonner» gehört seit jeher zur Geräuschkulisse der internationalen Politik. Er ist eine martialische Drohung, die in erster Linie fürs einheimische Publikum gedacht, aber nicht wirklich ernst gemeint ist – dem Polterer geht es darum, als starker Mann dazustehen, ohne das Risiko eines echten Konflikts eingehen zu müssen.

Die Bretter, die die Welt bedeuten: Das Theater war immer schon eine Illusionsmaschine. Der grosse griechische Ingenieur Archimedes von Syrakus oder der erste Automatenbauer der Geschichte, Heron von Alexandria, dachten sich komplizierte Hebekräne und Spezialeffekte für die Bühne aus. Deren Krönung war seit jeher das Gewitter: Der Klang von Regen wurde mit einer lederbespannten und mit getrockneten Linsen gefüllten Walze erzeugt, der Einschlag eines Blitzes mit herabfallenden, flach aufschlagenden Brettern oder mit Schiesspulver. Ganz besonders erfinderisch machte der Donner: Mächtige, mit Fäusten bearbeitete Donnerbleche; mit Steinen gefüllte Fässer oder schwere Eisenkugeln, die auf dem Schnürboden hin und her gerollt wurden; schwer beladene Donnerwagen mit kantigen Rädern; Donnerrinnen, durch die Steine in die Tiefe polterten; Donnerpauken, deren Fell mit Kies belegt war, damit der Donner auch ordentlich nachgrollte. Um 1800 wurde gar eine eigentliche Donnermechanik erfunden, die mit Filz bespannte Zahnräder über einen Resonanzboden laufen liess.

Ob Politik oder Theater – so täuschend echt Theaterdonner auch grollen mag: Er grollt stets zum Schein.

Tic Tac Toe

«Tic Tac Toe» ist ein jahrtausendealtes Strategiespiel für zwei Spieler. Abwechselnd setzen sie ein X oder ein O auf die Spielfläche mit dreimal drei Feldern. Wem es zuerst gelingt, eine Dreierlinie zu bilden – waagrecht, senkrecht, diagonal –, der hat gewonnen.

Bloss: Wenn keiner einen Fehler macht, ist das gar nie der Fall. Denn Tic Tac Toe ist ein Spiel, das zwar mehr als eine Viertelmillion möglicher Spielverläufe kennt, aber keinen Sieger – und wenn doch, dann nur, wenn einer den Durchblick nicht hat.

Erstaunlich also, dass auch heute noch jedes Kind das Spiel kennt. Das liegt daran, dass es so einfach ist: Kein anderes Spiel ist so rasch erklärt. Und kein anderes lässt sich so einfach programmieren: Es gibt zahllose Tic Tac Toes für Computer und Handy – unter dem Namen «OXO» war es 1952 eines der allerersten Games, die je für einen Computer geschrieben wurden.

Im Film «War Games» von 1983 spielte es sogar eine Hauptrolle: Dem jungen David gelingt es, in einen fremden Computer einzudringen und ein ihm unbekanntes Game namens «Globaler thermonuklearer Krieg» zu spielen. Was er nicht weiss: Der Computer steuert, ausgerechnet, Amerikas Atomraketen. Als David endlich erkennt, dass er gerade dabei ist, einen Atomkrieg auszulösen, lässt er den Computer in letzter Sekunde das Kinderspiel Tic Tac Toe spielen, bis dieser die strategische Sinnlosigkeit erkennt und die Raketenstarts abbricht.

A propos durchschauen: Fast so einfach wie die Spielregeln ist auch die Strategie. Beginnen Sie mit Ihrem X oder O stets in einer Ecke. Setzt Ihr Gegner danach nicht genau in die Mitte (und machen Sie keinen groben Schnitzer), dann werden Sie in jedem Fall gewinnen.

Toast

In Grossbritannien gehört der Toast zu jedem Frühstück. Doch ein Brite ist er nicht: «Toast» kommt vom lateinischen torrere, «dörren» oder «rösten». Tatsächlich wurde Toast längst vor der Erfindung des elektrischen Stroms gegessen. Im alten Ägypten hielt man Brot übers Feuer, um es haltbar zu machen. Das taten auch die Römer, und mit ihnen fand der Toast seinen Weg nach ganz Europa. Mit der Zeit wurde das offene Feuer vom eisernen Kanonenofen abgelöst: Die Brotscheibe wurde an die heisse Aussenwand geklebt – fiel sie von selbst wieder ab, war der Toast fertig. Den elektrischen Toaster gibt es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts.

Andere Zeiten, andere Vorlieben: Im ausgehenden Mittelalter wurde der Toast zwar geröstet, aber nicht unbedingt gegessen – er diente vor allem dazu, Getränken Geschmack zu verleihen. «Go fetch me a quart of sack; put a toast in’t» – «Geh, hol mir ein Glas Sekt; leg ein Stück Toast hinein», sagt Falstaff in Shakespeares Lustigen Weibern von Windsor. Danach wurde der schlappe Toast schon mal den Hunden vorgeworfen.

Heute dagegen ist die Toastscheibe vom Frühstückstisch nicht mehr wegzudenken. Was ein absolut perfekter Toast ist, hat 2011 nach Tausenden Testscheiben der britische Wissenschaftler Dom Lane herausgefunden: 3 Grad kaltes Weissbrot, 14 Millimeter dick, 900-Watt-Toaster, Stufe 5 von 6, Temperatur 154 Grad. Röstdauer: Genau 216 Sekunden.

Tonträger

Verba volent, scripta manent,

wussten schon die alten Lateiner: Das gesprochene Wort verfliegt, einzig Geschriebenes bleibt. Daher wird seit Jahrtausenden geschrieben – die alten Ägypter auf Ton und Papyrus, die Römer in Wachs und Stein.

Mit dem gesprochenen Wort allerdings ist das so eine Sache. Erst als 1877 der amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison seinen ersten Phonographen vorführte, liess sich auch schreiben, was zuvor buchstäblich in den Wind gesprochen war – auf mit Zinnfolie bespannte oder mit Wachs beschichtete Walzen, später auf Schelllackplatten, dann auf Vinyl, heute auf CD und in mp3.

Aber der Zahn der Zeit nagt an allem, was der Mensch je geschrieben hat. Unmerklich nur am Stein von Rosetta, jener halbrunden Stele im British Museum, in die ägyptische Priester ein Dekret gemeisselt haben, stärker schon am Book of Kells, jenem ums Jahr 800 in Schottland geschriebenen, reich illustrierten Evangeliar.

An Tonaufzeichnungen aber nagt die Zeit in grossen Bissen. Wachswalzen zerfallen, Schellackplatten verformen sich, Tonbänder entladen sich und brechen. «Degradation» nennen das die Fachleute. Und die macht nicht einmal vor modernsten Tonträgern Halt: Auf CD gebrannte Daten können nach 10 Jahren schon nicht mehr lesbar sein. Noch schlimmer ist die so genannte «Obsoleszenz»: Die Technik stirbt aus. Selbst die besterhaltene Single ist nichts wert, wenn es keine Plattenspieler mehr gibt.

Auf Dauer erhalten lassen sich Tonaufnahmen allein durch eine Digitalisierung – und danach durch systematisches Umkopieren auf Datenträger der jeweils neuesten Generation. Nur ein Speichermedium wäre beständig genug, um Inhalte über Jahrhunderte zu bewahren. Aber das fasst leider keinen Ton: das Papier.