Gott erfreut sich ungerader Zahlen,
schreibt der römische Dichter Vergil in einem seiner Hirtengedichte. Es erzählt von Amaryllis, die von ihrem Daphnis verlassen worden ist und nun einen Liebeszauber anwendet, der den Geliebten wieder zu ihr zurückbringen soll – sie knüpft drei Knoten in buntes Tuch, weil sie weiss: Die Zahl drei ist ungerade, und das freut den Liebesgott Amor.
Gerade Zahlen sind ganze Zahlen, die sich ohne Rest durch zwei teilen lassen; bei ungeraden Zahlen bleibt immer 1 übrig. Was Zahlen aber mit einer Geraden zu tun haben, das erschliesst sich erst aus der Sprachgeschichte. Im Gotischen hiess «Zahl» rathjo. «Zählen» hiess garathian, ein Wort, das irgendwann mit dem Adjektiv «gerade» verschmolz und im 15. Jh. den Weg in die Mathematik fand. Gerade Zahlen waren also sozusagen zum Zählen da. Und an diese Wortgeschichte erinnert noch immer die Redensart «fünfe gerade sein lassen», ein Appell, es nicht immer ganz so genau zu nehmen.
Das gotische rathjo kommt ursprünglich von der lateinischen ratio, auf Deutsch «Vernunft». Und hier schliesst sich der Kreis: Die Mathematik kennt nämlich nicht nur gerade und ungerade Zahlen, sondern auch die sogenannt «rationalen Zahlen». Darunter versteht man alle ganzen Zahlen, positiv und negativ, aber auch alle Bruchzahlen. Rationale Zahlen sind also 0, 1, 2, 3 usw., dazu -1, -2, -3 usw, und ebenso Zahlen wie 1/3 oder -0,2.
Übrigens: Der Liebeszauber der Amaryllis mit den drei Knoten – eine ungerade, natürliche Zahl – bringt den geliebten Daphnis am Ende tatsächlich zurück.