Im alten Rom und in den Städten des Mittelalters herrschte geschäftiges Treiben. Vor allem Händler mit ihren sperrigen Pferdefuhrwerken hatten es schwer, durch die engen Gassen zu kommen. Wer an diesen schmalen Strassen ein Haus besass, konnte davon ein Liedchen singen: Immer wieder schrammte ein Wagen, dessen Lenker sich verschätzt hatte, an der Hausmauer vorbei und hinterliess Schäden – davon zeugt auch die Redensart «die Kurve kratzen».
Findige Baumeister begannen deshalb die exponierten Mauern mit massiven, kniehohen Steinen zu schützen, sogenannten Pollern, Prellsteinen oder Radabweisern. Diese Steine standen etwas vor, sodass ein Wagen, der die Kurve zu eng nahm, den Stein rammte und die gemauerte Fassade verschont blieb. Die Steine mussten etwas weniger hoch sein als die Radnabe und leicht zum Haus hin geneigt, so dass beim Anstoss das Wagenrad nicht blockierte, sondern bloss abrutschte. Höhere Steine hätten die Radachse beschädigt, deren Reparatur kostspielig gewesen wäre. Die schützenden Steine zählten bald zum Stadtbild und fanden Eingang in die Lutherbibel. «Und der Herr wird ein Heiligtum sein und ein Stein des Anstosses», sagt der Prophet Jesaja – damit gemeint ist, dass sich die Heiden an diesem Stein stossen und zu Fall kommen, die Gläubigen dagegen unversehrt bleiben.
Auch wenn das sprachgeschichtlich nicht gesichert ist: Von solchen Prellsteinen soll der sprichwörtliche «Stein des Anstosses» kommen. Damit wir, wenn wir es mal allzu eilig haben, nicht die Kurve kratzen.