Sudoku

Sudoku heisst auf Japanisch ganz einfach «einzelne Zahlen». Das Spiel gehört zu Japan wie der Vulkan Fuji, und genau das ist falsch. Denn Sudoku stammt nicht aus dem Land der aufgehenden Sonne, sondern aus Europa und den USA.

Der Urahn von Sudoku heisst magisches Quadrat, ein Quadrat aus Zahlenfeldern. Zählt man die Zahlen in jeder Zeile, Spalte und Diagonale zusammen, erhält man stets dieselbe Summe. Eines der ganz besonders vertrackten Zahlenquadrate hat sich 1514 der Maler und Mathematiker Albrecht Dürer ausgedacht, in seinem berühmten Kupferstich «Melancholia I».

Wenn man eine Reihe von Zahlen weglässt, lassen sich aus magischen Quadraten trefflich Rätsel fabrizieren. Besonders beliebt waren diese Rätsel im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts, und am 6. Juli 1895 stand in der Zeitung «La France» ein teilweise ausgefülltes Zahlenquadrat aus 81 Feldern, das nur die Ziffern von 1 bis 9 enthielt, ein Rätsel, das beinah identisch ist mit dem heutigen Sudoku.

Und dann kam Howard Garns. Garns, ein 74-jähriger pensionierter Architekt aus Connersville, Indiana, entwarf Zahlenrätsel für den Verlag «Dell Magazines», und 1979 erschienen Garns‘ erste modernen Sudokus, unter dem Namen «Number Place». So richtig Feuer fing die Rätselwelt allerdings erst, als 1984 der japanische Verlag Nikoli das Spiel in seinen Zeitschriften abzudrucken begann, unter dem japanischen Namen Sūji wa dokushin ni kagiru.

Erfinder Garns starb 1989 – dass seine Erfindung als «Sudoku» heute die halbe Welt in Atem hält, sollte er nicht mehr erleben.

Sütterlin, Ludwig

Ludwig Sütterlin, 1865 im Schwarzwald geboren, war Grafiker und Lehrer aus Leidenschaft. Sein Ausnahmetalent verhalf ihm 1911 in Berlin zu einem ganz besonderen Auftrag: Preussen hatte erkannt, dass mit der bisherigen Schreibschrift kein Staat mehr zu machen war. Das Schreiben mit den spitzen Stahlfedern war schwierig. Die unterschiedlichen Strichbreiten erforderten einen wechselnden Druck und zwangen die Schulkinder zu einer unnatürlichen, verkrampften Handhaltung.

Sütterlin vereinfachte radikal: Er richtete die schrägen Buchstaben auf und stellte sie senkrecht auf die Grundlinie. Die überlangen Ober- und Unterzüge wurden gekürzt, der Schwellzug abgeschafft. Der Minister war beeindruckt. Die neu gestaltete Schrift liess sich mit Gleichzugfeder und einheitlicher Strichstärke schreiben. Noch im selben Jahr wurde sie eingeführt, und bis in die dreissiger Jahre begannen die meisten deutschen Länder die «Sütterlin» zu schreiben.

Am 3. Januar 1941 allerdings fand die Erfolgsgeschichte ein abruptes Ende. Adolf Hitler verbot die alte,

schlecht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas und Beton, von Frauenschönheit und Männerkraft, von hochgehobenem Haupt und trotzigem Sinn

passende und dazu angeblich von Juden stammende Schrift und liess seinen Kanzleichef Martin Bormann die heutige, auf runden Formen basierende Handschrift durchsetzen.

Den begnadeten Gestalter Ludwig Sütterlin focht das nicht mehr an. Er war 1917, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs, eines der vielen Opfer der alliierten Blockade geworden und in Berlin buchstäblich verhungert.

Tabula rasa

«Tabula rasa» ist ein Neuanfang: Wir machen reinen Tisch und fangen nochmal ganz von vorn an.

Nur heisst das lateinische tabula rasa auf Deutsch eben nicht «reinen Tisch machen» – das ist eine Fehlübersetzung, weil tabula nicht «Tisch», sondern «Tafel» bedeutet. Im alten Rom war Papyrus für den täglichen Gebrauch zu teuer, und so machte man sich Notizen, indem man mit einem einfachen Stift aus Metall auf Wachstafeln schrieb. War die Tafel voll, griff man sich die nächste, und wurde das Geschriebene am Ende nicht mehr gebraucht, machte man tabula rasa – auf Deutsch «geschabte Tafel» – und wischte das eingedellte Wachs kurzerhand wieder glatt. Das war mitunter leichter gesagt als getan: Hatte man wie Marcus Tullius Tiro, der Sklave und Sekretär des Anwalts und Politikers Cicero, nicht bloss Stichwörter, sondern ganze Senatssitzungen wortgetreu protokolliert – tironische Noten, wie die von Tiro eigens entwickelte Kurzschrift hiess –, dann hatte man ein schönes Stück Arbeit vor sich, bis man am Ende wieder glatte, leere Wachstafeln vor sich hatte.

Tabula rasa, das unbeschriebene Blatt, wurde schon bei den alten Griechen zum Sprachbild für die Reinheit der Seele und des Geistes, bevor diese mit Eindrücken und Erfahrungen beschrieben und geprägt werden. Im 13. Jahrhundert berief sich Thomas von Aquin auf Aristoteles und nannte den menschlichen Intellekt eine tabula rasa, weil die Intelligenz seiner Ansicht nach am Anfang erst als Möglichkeit vorhanden sei. Wirklich intelligent, so schrieb er, würden wir erst im Lauf der Zeit, durch Lernen und Erfahren, also quasi durch den Griffel des Lebens.

Tag

Was in unbekanntem Gelände weiterhilft, sind Wegweiser. Verschlungener als im Internet sind die Wege nie gewesen. Da braucht es eine Menge Wegweiser.

Einer davon nennt sich tag, Englisch für «Schild», «Aufkleber» oder «Etikett». Schilder gibt’s in der virtuellen Welt nicht, weshalb man besser von Kategorien spräche, aber die Funktion ist dieselbe: Tags sollen eine Beziehung zwischen Inhalten herstellen, die der Computer allein nicht erkennen kann. Computer sind nämlich ziemlich einfältig. Für sie hängt zusammen, was zum Beispiel dasselbe Wort oder dieselbe Zahl enthält. Zwei Artikel zum Beispiel, einer über über den Unternehmer Mark Zuckerberg und einer über das grösste soziale Netzwerk, haben in der Datenwelt nichts miteinander zu tun.

Es sei denn, ein Mensch stelle diesen Zusammenhang ausdrücklich her. Dazu dient der Tag – also etwa «Facebook» – ein Begriff, das im genannten Artikel nicht einmal vorzukommen braucht (weshalb man auch von Metadaten spricht). Eingeführt wurden die Tags 2003 von der Link-Sharing-Plattform Delicious und dem Bilderdienst Flickr. Tags können vollkommen beliebig vergeben werden, je nach System vom Verfasser, von der Leserin oder gar von beiden. Wer den Zuckerberg-Artikel also etwa mit «Ideenklau» taggt, wird nicht auf Widerspruch seines Computers stossen, sondern allenfalls der Facebook-Rechtsabteilung.

Tags sind im heutigen Web unverzichtbar; beliebt ist die so genannte tag cloud, eine Wolke von Wörtern, deren Schriftgrösse ihrer Häufigkeit entspricht. Aber Tags sind beileibe keine Erfindung des Internet. Über Generationen waren sie eine Domäne der Bibliothekare, füllten ganze Kataloge und hiessen «Schlagworte».

Tankstelle

In Wiesloch, einem Städtchen in Baden-Württemberg, begann der 3-PS-Motor zu stottern. Man schrieb das Jahr 1888, am Steuer sass Bertha Benz, Ehefrau des Konstrukteurs, und der Tank der dreirädrigen Motorkutsche war leer. Tatsächlich gab es in der Stadt-Apotheke sogenanntes «Ligroin», ein Leichtbenzin, das Hausfrauen zum Entfernen von Flecken benutzten. Mit diesem «Ligroin» füllte Bertha Benz den Tank ihres Benz Patent-Motorwagens Nummer drei und fuhr weiter. Damit ging die Apotheke von Wiesloch in die Geschichte ein: als erste Tankstelle der Welt.

Tankstellen im modernen Sinn – Tanks, Pumpenanlage, Zapfsäulen unter schützendem Dach – entstanden erst in den 1910er-Jahren, und mit ihren hell beleuchteten Säulen strahlten sie Wohlstand und Weltläufigkeit aus. Kein Wunder, dass die Tankstelle bald auch die Kunst anzog: Das Gemälde «Gas» des New Yorker Malers Edward Hopper zeigt die Tankstelle im Abendlicht, in der Bildmitte der Tankwart, an einer der knallrot lackierten Zapfsäulen stehend, in weissem Hemd, Krawatte und Seidenweste.

Die Tankstelle als Inbegriff der Zukunft rückte 1967 der deutsch-amerikanische Architekt Ludwig Mies van der Rohe ins Zentrum: Die Konstruktion, in Montréal für den Esso-Konzern gebaut, ist flach, langgestreckt, und besteht aus für Mies und das Bauhaus typischen strengen, geometrischen Formen – ein frei tragendes Dach auf Stahlpfeilern, zwei glasverkleidete Kuben für Verkaufsraum und Garage, als Kassenhäuschen eine Glasbox. Mies’ zeitlose Eleganz galt nicht bloss einer Zapfstelle: Seine Tankstelle – 2008 stillgelegt, heute ein Begegnungszentrum – war nichts weniger als eine Pilgerstätte des mobilen Menschen.