Ludwig Sütterlin, 1865 im Schwarzwald geboren, war Grafiker und Lehrer aus Leidenschaft. Sein Ausnahmetalent verhalf ihm 1911 in Berlin zu einem ganz besonderen Auftrag: Preussen hatte erkannt, dass mit der bisherigen Schreibschrift kein Staat mehr zu machen war. Das Schreiben mit den spitzen Stahlfedern war schwierig. Die unterschiedlichen Strichbreiten erforderten einen wechselnden Druck und zwangen die Schulkinder zu einer unnatürlichen, verkrampften Handhaltung.
Sütterlin vereinfachte radikal: Er richtete die schrägen Buchstaben auf und stellte sie senkrecht auf die Grundlinie. Die überlangen Ober- und Unterzüge wurden gekürzt, der Schwellzug abgeschafft. Der Minister war beeindruckt. Die neu gestaltete Schrift liess sich mit Gleichzugfeder und einheitlicher Strichstärke schreiben. Noch im selben Jahr wurde sie eingeführt, und bis in die dreissiger Jahre begannen die meisten deutschen Länder die «Sütterlin» zu schreiben.
Am 3. Januar 1941 allerdings fand die Erfolgsgeschichte ein abruptes Ende. Adolf Hitler verbot die alte,
schlecht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas und Beton, von Frauenschönheit und Männerkraft, von hochgehobenem Haupt und trotzigem Sinn
passende und dazu angeblich von Juden stammende Schrift und liess seinen Kanzleichef Martin Bormann die heutige, auf runden Formen basierende Handschrift durchsetzen.
Den begnadeten Gestalter Ludwig Sütterlin focht das nicht mehr an. Er war 1917, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs, eines der vielen Opfer der alliierten Blockade geworden und in Berlin buchstäblich verhungert.