Rhetorik

Rhetorik ist Griechisch und heisst «Redekunst». Nicht alle, die Reden halten, sind Künstler – ob Tischreferat oder Ansprache: Reden ist Mundwerk und nur ganz selten wirklich Kunst.

Im alten Griechenland war die Rhetorik hoch angesehen. Sie zählte (zusammen mit Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) zu den sieben freien Künsten, der Bildung, nach der ein freier Mann strebte. Denn wem es gelang, vor Gericht oder auf dem Forum Menschen zu überzeugen, der hatte Macht.

So zu reden will geübt sein. Marcus Tullius Cicero war ein stotternder Aussenseiter im Establishment des alten Rom – und ein rhetorisches Jahrhunderttalent. Er studierte bei allen Meistern seiner Zeit. Ihren gekünstelten Stil (der in Rom führende Anwalt Hortensius wurde als «Tanzmeister» verspottet) fand Cicero lächerlich, und so schrieb er sich auf Rhodos beim griechischen Rhetor Molon ein. Einen ganzen Frühling und Sommer lang liess sich der junge Cicero drillen: Turnübungen, Atemübungen, Redeübungen – und kein einziges geschriebenes Wort, getreu Molons Devise:

Bei der Redekunst zählen nur drei Dinge: der Vortrag, der Vortrag und der Vortrag.

Und Cicero lernte gut: Zurück in Rom, brachte er den mächtigen Gaius Verres, den räuberischen Prätor von Sizilien, vor Gericht. Verres und sein Verteidiger, eben jener Tänzer Hortensius, hatten nicht den Hauch einer Chance: Von zwei verfassten Brandreden brauchte Ankläger Cicero nur die erste zu halten, da floh der korrupte Verres bei Nacht und Nebel nach Marseille und kehrte nie wieder zurück.

Von Anakoluth bis Zeugma: Rhetorische Figuren tragen bis heute antike Namen. Doch ob Anklage oder Poetry Slam – nur auf drei Dinge kommt es an: den Vortrag, den Vortrag und den Vortrag. (Das übrigens ist die womöglich älteste aller Figuren. Man nennt sie repetitio.)

Rotwelsch

Rotwelsch kommt von rot, einem alten Wort für «falsch», und welsch, für eine romanische, fremde, unverständliche Sprache. Es ist eine im Mittelalter entstandene Gaunersprache wie das Berner Mattenenglisch, eine Art Geheimcode der unteren Zehntausend. Der Zweck des Rotwelschen ist es, von der Obrigkeit nicht verstanden zu werden. Kassiber (aus der Zelle geschmuggelter Zettel), Blüte (gefälschte Banknote), baldowern (auskundschaften) oder mopsen (stehlen) – eine ganze Reihe von Begriffen haben es zwar in unseren Alltag geschafft, die meisten anderen aber bleiben unverständlich.

Der Polente, der Polizei, war das seit jeher ein Dorn im Auge. Anfang der dreissiger Jahre durchforstete das preussische Innenministerium seine Personalakten, um jemanden zu finden, der Rotwelsch, Jiddisch und Zigeunersprachen beherrschte. Mit Erfolg: Die Beamten stiessen auf den Studenten Siegmund Wolf, der als Jugendlicher lange mit Fahrenden umhergezogen war. Wolf wurde nach Berlin zitiert, wo man ihm Studiengeld und einen Vertrag anbot. Seine Aufgabe: eine umfassende Literaturrecherche und das Anlegen eines Rotwelsch-Wörterbuchs.

Kurz vor Kriegsbeginn ging Wolfs Vokabular an einen Verlag in Leipzig – und fiel dort prompt einem Bombenangriff zum Opfer. Nach Kriegsende brauchte Wolf volle elf Jahre, um das Manuskript wiederherzustellen. 1956 war es endlich soweit: In Mannheim erschien das «Wörterbuch des Rotwelschen» mit gegen 6500 erklärten Ausdrücken, zur grossen Genugtuung der Polizei und zum grossen Verdruss der Gauner.

Schandflöte

«Schandflöte» klingt nach musikalischer Erbauung, ist aber so ziemlich das genaue Gegenteil: ein mittelalterliches Folterinstrument. Die Schandflöte, das war eine eiserne Schelle, die man um den Hals des Delinquenten legte. An die Schelle geschmiedet war ein Eisenrohr das aussah wie eine Klarinette oder Flöte und das auf seiner Oberseite eine Zwinge trug. Der Übeltäter wurde gezwungen, beide Hände zwischen Rohr und Zwinge zu legen; zwei Schrauben pressten die Eisen zusammen und klemmten die Finger ein. Der Bemitleidenswerte wurde daraufhin in der Stadt herumgeführt und dem Spott eines schaulustigen Publikums preisgegeben. Um die allgemeine Aufmerksamkeit noch zu erhöhen, gingen nicht selten Büttel, Trommler und Pfeifer voran.

Solche Schand- oder Ehrenstrafen wurden verhängt, wenn der Täter eine Geldstrafe nicht hätte zahlen können und ausser seiner Ehre nichts zu verlieren hatte. Die eingesetzten Werkzeuge richteten sich dabei mit Vorliebe nach dem Vergehen: Schlechte Musikanten oder Bettler wurden mit der Schandflöte (oder auch der ähnlich gebauten Halsgeige) bestraft, notorische Spieler wurden gezwungen, eine Kette aus fussballgrossen Eisenwürfeln um den Hals zu tragen, Trunkenbolde wurden ins Schandfass gesteckt, das den Kopf freiliess und ein Verstecken unmöglich machte.

Die Züchtigung war dabei noch das Geringste: Die Bestraften wurden öffentlich gedemütigt, verloren ihr Ansehen und wurden, zumindest eine Zeitlang, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Wer also einmal gezwungen war, die Schandflöte zu tragen, vermied es tunlichst, nochmal als schlechter Musikant aufzutreten.

Schutzstaffel

Am Anfang war der «Stosstrupp Adolf Hitler», 1923 rekrutiert, im Jahr des ersten Putschversuchs im Münchner Bürgerbräukeller. Aus den Bodyguards von einst wurde die «Schutzstaffel», eine reichsweite Organisation, die sich gegen Widersacher im Inneren der Partei richtete. Dieser Wandel vom Schläger- zum Spitzeldienst war fatal: Die SS und insbesondere ihre Elite, die Waffen-SS, gab vor, das deutsche Volk zu schützen – nicht vor äusseren Feinden, sondern vielmehr vor angeblichen Schädlingen im Inneren: vor Juden, Kommunisten, Geisteskranken, Homosexuellen, Kriminellen, Arbeitsscheuen, Zigeunern und Landstreichern, wie sie im SS-Jargon hiessen. Mit «Schutzhaftbefehlen» wurde ohne Verfahren, auf blosse Denunziation hin oder nach reinem Gutdünken verhaftet, oft auf unbeschränkte Zeit und bis zum Tod durch Krankheit oder Folter. Die SS führte die Konzentrationslager, SS-Einheiten eskortierten die Züge, die Millionen in die Vernichtungslager brachten. Und in der Zentrale im Berliner Prinz-Albrecht-Palais wurden die Gräuel mit bürokratischem Irrwitz verwaltet: Jede Schreibmaschine verfügte eigens über eine Type mit der SS-Doppelrune.

Heinrich Himmler, oberster Chef dieser perversen Polizei, suchte nach Kriegsende hektisch nach Kontakten mit den Alliierten, um einer Strafe zu entgehen. Ohne Erfolg. Seine etwas zu neuen, auf den Namen «Heinrich Hitzinger» gefälschten Papiere fielen britischen Militärpolizisten auf, und am 23. Mai 1945 biss Himmler in einem Verhörzimmer in Lüneburg auf eine Zynkalikapsel. Die SS wurde formell aufgelöst, ihr Hauptquartier an der Prinz-Albrecht-Strasse gesprengt.

Heute steht auf der mit grauem Schotter bedeckten, leeren Fläche ein Dokumentationszentrum mit dem Namen «Topographie des Terrors».

Strafe, drakonische

Drakonische Strafen sind grausam. Und doch tragen sie nicht den Namen eines Scharfrichters, sondern, im Gegenteil, eines Gelehrten.

Drakon von Athen war ein Jurist, der sich im Jahr 621 v. Chr. anschickte, einen Katalog aller bekannten Strafen zu erstellen und den Strafvollzug zu vereinheitlichen. Neben einer ellenlangen Liste teils barbarischer Bestrafungsmethoden führte Drakon auch zwei wichtige Neuerungen ein: die Unterscheidung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung und den Grundsatz, dass Fälle stets an spezialisierte Gerichtshöfe zu verweisen seien.

Damit die Athener dieses neue Strafgesetzbuch auch wirklich lasen, liess Drakon die Gesetze auf Holztafeln schreiben und auf Dreibeinen oder Säulen auf dem Marktplatz aufstellen. Diese «drakonischen Gesetze» galten bald als ausserordentlich grausam. Bei Plutarch steht zu lesen:

Drakons Gesetze, so sagte man, waren nicht mit Tinte, sondern mit Blut geschrieben. Drakon selbst wurde einmal gefragt, weshalb denn auf die allermeisten Taten der Tod stehe. Das sei ganz einfach, antwortete er: Schon für kleinere Vergehen halte er die Todesstrafe für gerechtfertigt, und für schwere Verbrechen gebe es halt einfach keine härtere Strafe.

Drakon der Richter hat der sprichwörtlichen drakonischen Strafe den Namen gegeben. Eines wird dabei aber übersehen: Drakon war nicht Henker, sondern Reformer. Er systematisierte geltendes Recht, setzte zum ersten Mal ein staatliches Gewaltmonopol durch – und schaffte damit die alten, ausufernden, noch viel grausameren und bis hin zur Blutrache reichenden Strafen ein für allemal ab.