Mückengeld

Mücken sind nicht bloss lästig, weil sie nachts summen, sie stechen auch. Das Blut braucht das Mückenweibchen, um Eier zu bilden, die es dann in Feuchtgebieten ablegt, am liebsten in Schlamm und Morast. Und das ist ein Problem, vor allem rund um Stauseen. Denn wenn viel Wasser gebraucht wird und der Pegel sinkt, wird Schlamm freigelegt. Und wo es viel Schlamm gibt, da steht eine Mückenplage ins Haus.

Das kann die SBB teuer zu stehen kommen. 1932 nämlich liessen die Bundesbahnen im Bezirk Einsiedeln eine Staumauer bauen, um die Sihl aufzustauen, das neue Kraftwerk mit Turbinenwasser zu versorgen und Bahnstrom zu erzeugen. Die Bevölkerung allerdings befürchtete Mückenplagen und war skeptisch. So wurde in einem zehnseitigen Vertrag zwischen den SBB und dem Kanton Schwyz zentimetergenau festgelegt, welche Pegelhöhe der Sihlsee zu welcher Jahreszeit aufzuweisen habe. Und damit sich die SBB auch wirklich daran halten, wurde eine Strafe vereinbart für jeden einzelnen Tag, an dem diese Mindesthöhe nicht eingehalten wird, das sogenannte «Mückengeld». Es beträgt 2500 Franken pro Tag. Am 1. Juni dieses Jahres war es wieder einmal so weit: Der Pegel war zu niedrig, die SBB mussten Wasser aus dem Zürich- in den Sihlsee hochpumpen – doch bis der seine vertragliche Minimalhöhe wieder erreicht hatte, wurde eine Strafe von mehreren 10 000 Franken fällig.

In Zukunft könnte das noch teurer werden: Die Konzession läuft nämlich in zwei Jahren aus, und laut neuem Vertragstext liegt das Mückengeld, das bei zuwenig Wasser im Sihlsee anfällt, bei zwischen 20 000 und 45 000 Franken. Pro Tag.

Panzerknacker

Roter Kittel, blaue Hose und Mütze, die schwarze Maske im Gesicht und die Sträflingsnummer auf der Brust: Die Panzerknacker aus Entenhausen hatten höchst reale Vorbilder. Wie zum Beispiel die Gebrüder Franz und Erich Sass aus Berlin. Im deutschen Reich der 1920er-Jahre wurden sie zu gefeierten Medienstars.

Wochenlang hatten sie geschuftet, um den Tunnel zu graben, doch nun, an diesem 27. Januar 1929, waren sie am Ziel, im Tresorraum der Diskontobank an der Kleiststrasse 23. Staubig und verschwitzt leerten die beiden Bankräuber zur Feier des Sonntags zwei Flaschen Wein. Die Schliessfächer waren aufgebrochen, und alles, was die Berliner Hautevolee der Bank anvertraut hatte, lag zum Abtransport bereit.

Es sollte eine Weile dauern, bis der Einbruch überhaupt bemerkt wurde. Als der Kassierer am Montagmorgen den Tresor öffnen wollte, stellte er verblüfft fest, dass sich die Panzertür nicht bewegen liess. Die Bank vermutete einen Defekt, und erst nach zwei Tagen gelang es, die massive Wand zu durchbrechen. Um Zeit zu gewinnen, hatten die Sassens die Tür von innen blockiert.

Der Fall schlug hohe Wellen. Die Kriminalpolizei hatte sofort die Brüder Sass im Visier, doch es half alles nichts: Keine Fingerabdrücke, von der Beute keine Spur. Als die Sassens aus der U-Haft freikamen, schenkten sie der begeisterten Presse Champagner aus.

Fünf Jahre später wurden die Ganoven dann doch überführt und 1940 auf Befehl Adolf Hitlers erschossen. Die 2,5 Mio. Reichsmark aus der Diskontobank dagegen sind bis heute verschollen.

Pong

Schlichter könnte der Name nicht sein: «Pong» heisst das Game – ein grauer Strich als Schläger, ein Punkt als Ball, ein Zähler. Voilà. Graue Linien auf schwarzem Grund – mehr brauchte es vor vierzig Jahren nicht, um Menschen in Massen vor den Bildschirm zu bannen.

Pong
1972 in den USA vom Radio- und Fernsehbauer Magnavox gebaut, ist «Pong» sozusagen die reduktionistische Form des Tischtennis. Der Ballpunkt bewegt sich hin und her, prallt vom Schlägerstrich ab, und falls nicht, weil daneben, gibt’s einen Punkt für den Gegner. Beim Ur-«Pong» war das noch ein Mitspieler aus Fleisch und Blut, der – genau wie man selbst – einen Ur-Joystick aus grauem Plastik in den schweissnassen Händen hielt. Heute (im Web gibt es Abertausende spielbarer «Pongs») wird gegen einen Computergegner gesmasht.

«Pong», am Anfang noch ein fest verdrahteter, von Hand gelöteter Schaltkreis, ist der Urvater aller Computerspiele. Der wahre Kampf allerdings fand neben dem Bildschirm statt. «Pong»-Erfinder Magnavox erfuhr kurz nach der Einführung, dass Konkurrent Atari das Spiel ebenfalls auf den Markt gebracht hatte. Vor Gericht konnte Magnavox hieb- und stichfest beweisen, dass Atari-Gründer Nolan Bushnell höchstpersönlich die Idee geklaut hatte. Die Geldstrafe allerdings, satte 700 000 Dollar, erwies sich als glänzende Investition. In nur zwei Jahren nämlich verkaufte Atari 8000 Pong-Automaten, jeder davon schrankgross und ein Vermögen wert.

Nicht nur seine Existenz, sondern auch den Namen verdankt das Spiel der Juristerei. Der Name Pingpong war nämlich geschützt, und so liess Atari das «Ping» einfach weg. So hat Pong eine erstaunliche Karriere gemacht: Computergames sind heute eine Kunstform, und «Pong» ist Kultur.

Rasterfahndung

1979 standen die Frankfurter Polizei und das Bundeskriminalamt vor einem Problem, und die Lösung, die der damalige BKA-Chef vorschlug, hiess «Rasterfahndung». Zwei Jahre waren seit dem Terrorjahr 1977 vergangen: Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Vorstandssprecher Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer waren erschossen worden, die Lufthansa-Maschine «Landshut» gekapert und entführt.

In der Zwischenzeit aber war die Polizei den Terroristen immer näher gekommen. Sie wusste, dass die RAF in Frankfurt am Main unter falschen Namen Wohnungen gemietet hatte, aber sie wusste nicht, wo. Klar war, dass die Terroristen ihre Stromrechnungen nicht von einem normalen Bankkonto bezahlten, sondern in bar – um keine Spuren zu hinterlassen. Die Fahnder beschafften also ein Magnetband, auf dem alle 18 000 Frankfurter Bürger gespeichert waren, die ihre Rechnungen in bar bezahlten. Rasterfahndung, das heisst: Nach und nach alle unverdächtigen Namen nach bestimmten Kriterien (oder «Rastern») aus der Liste löschen: Die gemeldeten Einwohnerinnen. Autobesitzer. Rentnerinnen. Bezüger von Stipendien. Versicherte. Hausbesitzer – und so immer weiter, bis am Ende noch genau zwei Namen übrig blieben: der eines Drogenhändlers und tatsächlich der eines Mitglieds der RAF.

Die Rasterfahndung ist umstritten, denn alle erfassten Personen werden am Anfang verdächtigt, und die raffiniert miteinander kombinierten Daten können leicht missbraucht werden. 1979 in Frankfurt aber war die Methode erfolgreich: Nach einer Schiesserei und schwer verletzt konnte der gesuchte Terrorist Rolf Heißler in der angegebenen Wohnung verhaftet werden.

Razzia

Grosseinsatz der Polizei, Waffen und Drogen beschlagnahmt, Mafiosi in Haft. Und wieder berichten die Medien über eine erfolgreiche Razzia. Ein sperriges Wort: «Razzia» kommt aus dem Arabischen und bedeutet ursprünglich «Schlacht» oder «Raubzug».

Streng genommen war die Razzia bei den Beduinen eine Sache der Gesetzesbrecher, nicht seiner Hüter. Wenn nach einer winterlichen Dürre oder einer Viehseuche die Kamele verendeten und der Proviant knapp wurde, unternahmen Krieger kurze Überfälle auf feindliche Sippen oder Stämme. Sofern eine solche Razzia nicht im Schutz der Nacht geschah und nach bestimmten Regeln ablief, galt sie nicht als ehrenrührig, ganz im Gegenteil: Den Moralvorstellungen der Wüste zufolge waren solche Razzien gleichsam sportliche Wettkämpfe, deren Teilnehmer Blutvergiessen nach Möglichkeit vermieden und deren Preis die Beute war. Sogar die Feldzüge des Propheten Mohammed auf der arabischen Halbinsel werden vom muslimischen Geschichtsschreiber Ibn Ishaq im 8. Jh. als غزوة, als «Beutezug», bezeichnet.

1830 begann die Kolonialmacht Frankreich mit der Eroberung Algeriens, und so hielt die Razzia Einzug ins militärische Vokabular, als Begriff für blutige Vergeltungsschläge gegen aufrührerische Berberstämme, die von einem grossarabischen Reich träumten und die französischen Soldaten mit Waffengewalt aus Algerien vertreiben wollten.

Wüstenkodex und Kolonialismus sind Geschichte. Heute gehört die Razzia nur noch in den Polizeijargon – und in die vermischten Meldungen.