Je höher die Kultur, desto reicher die Sprache,
schrieb Anton Tschechow im Jahr 1892. So gesehen, ist die Sprache ausgesprochen neureich. Denn Kultur ist, zumindest in seiner heutigen Bedeutung, kein altes Wort. Seit dem 17. Jahrhundert steht das lateinische Substantiv cultura für Landbau, aber auch für Pflege – Pflege des Körpers, des Geistes. Hochkultur und Agrikultur: Bis heute steht das Wort gleichberechtigt für Landwirtschaft und für die Pflege geistiger Güter, so dass Geisteskultur streng genommen ein Pleonasmus ist, genau wir der berühmte weisse Schimmel aus der Primarschule.
Lateinisch cultura geht auf das Verb colere zurück, das bebauen, bewohnen, pflegen, oder ehren heisst. Dieser Bedeutung haftet etwas Konservatives, etwas Bewahrendes an. Aber: Auch das Wort Kultur ist durchaus modeanfällig. Die Eigenschaft «kulturell» nämlich wurde erst im 20. Jahrhundert und mit der modischen, elegant-französischen Endsilbe gebildet. Und das deutsche Kultusministerium verdankt seinen klingenden Namen dem modischen, gelehrt-lateinischen cultus, wörtlich bebaut, bewohnt. Das Kultusministerium ist aber weder für Landwirtschaft noch für Wohnungsbau zuständig, sondern vielmehr für die Bildung.
Kultur wird oft als Gegenteil von Natur verstanden und meint damit alles, was Menschen erdacht, gelernt und geleistet haben, von Kunst bis Knigge, sozusagen. Sprachlich hat die Kultur hat aber auch ihre Schattenseiten: Dass die mit dem Wort Kultur verwandte Kolonie nicht die Sprache reich macht, wie Tschechow sagt, zeigt ein Blick in die Geschichte. An Kolonien bereichert haben sich ausgerechnet Grossmächte, die damit ihre eigene humanistische Kultur Lügen straften.