SOS

Als sich am 3. Oktober 1906 die Teilnehmer der Internationalen Funkkonferenz in Berlin zusammensetzten, hatten sie ein Ziel: die Einführung eines einheitlichen Standards für ein Notsignal auf See. Dahinter standen nicht nur das menschliche Leid, sondern auch der Kommerz: Schiffsuntergänge waren teuer. Über die Art des Notrufs allerdings waren sich die Vertreter der 27 Länder uneins. In Deutschland war seit zwei Jahren das Morsesignal «SOS» vorgeschrieben, das übrige Europa und die USA dagegen sendeten die Morsezeichen «CQD». «CQD» kam vom französischen sécurité und détresse, frei übersetzt: «Achtung Notfall». Das deutsche «SOS» dagegen bedeutete – nichts, rein gar nichts; Deutungen wie save our souls, «Rettet unsere Seelen», wurden erst später hineininterpretiert. Beide Lager kämpften an der Konferenz erbittert für «ihre» Kombination, doch am Abend hatte sich SOS durchgesetzt. SOS hatte zwei Vorzüge: Die Kombination kam in kaum einem gebräuchlichen Wort vor und stach daher aus jedem normalen Morseverkehr heraus, und der charakteristische Code «dididit dahdahdah dididit» war überaus einprägsam.

Schon ein Jahr nach seiner offiziellen Einführung rettete SOS 110 Menschenleben: In der Nacht auf den 10. Juni 1909 lief das britische Kreuzfahrtschiff «Slavonia» in dichtem Nebel vor den Azoren auf Grund und drohte auseinanderzubrechen. Der Funker sendete das neue SOS-Signal. Und siehe da: Zwei deutsche Schiffe waren in der Nähe und nahmen die Passagiere auf.

1999 wurde das gemorste SOS abgeschafft, nach neun Jahrzehnten und unzähligen Geretteten. Heute funken Schiffe in Seenot mit GMDSS, einem modernen, satellitengestützten Seenotfunksystem.

Steganographie

Das kleine Einmaleins des Geheimniskrämers ist das Verschlüsseln, von der einfachen Buchstabentabelle für den Liebesbrief auf dem Schulhof bis hin zur legendären Enigma für die Verschlüsselung deutscher Telegramme im Zweiten Weltkrieg. Das Verschlüsseln hat eine kleine Schwester, die zwar weniger bekannt, aber genauso talentiert ist: die Steganografie.

«Steganografie» ist Griechisch und heisst wörtlich «verdecktes Schreiben». Das einfachste Beispiel ist das Schreiben mit Zitronensaft: Das Vertrauliche lässt sich mit normaler Tinte überschreiben und wird erst durch Erwärmen über einer Kerzenflamme sichtbar. Während klassisches Verschlüsseln aus einem Text unverständliches Kauderwelsch macht, bleibt ein Steganogramm lesbar. Nur der Empfänger weiss, was es damit auf sich hat – zum Beispiel, dass die versteckte Information aus den Anfangsbuchstaben aller Wörter besteht. Für den heimlichen Mitleser dagegen bleibt die Botschaft ohne weiteres verständlich. Und weil er nicht weiss, worum es wirklich geht, schöpft er keinen Verdacht und legt den Brief zur Seite.

Steganografie wird längst nicht mehr nur auf Text angewandt. Eine geheime Planskizze lässt sich in einem harmlos aussehenden Katzenfoto verstecken, indem ein Stückchen Information zur Beschreibung jedes einzelnen Bildpunkts zweckentfremdet wird. Mit entsprechendem Werkzeug lässt sich selbst Spionage-Software in Ton oder Video verwandeln. Auf diese Weise bleibt nicht nur die versteckte Information vertraulich, sondern sogar der Umstand, dass da überhaupt etwas versteckt ist – Steganographie ist sozusagen Geheimniskrämerei im Quadrat.

Strick-Code

Ein Strickmuster ist binär: Im Grundsatz gibt es genau zwei Möglichkeiten, Muster zu erzeugen, rechte Maschen und linke. Rechts gestrickte Maschen sehen aus wie kleine Vs, links gestrickte dagegen wie Quer- oder Trennstriche. V oder Strich, Null oder eins: Wie das Morsealphabet mit seinen kurzen und langen Signalen lässt sich auch das Stricken nutzen, um Buchstaben und Botschaften zu codieren.

Im ersten Weltkrieg warb die französische Spionin Louise de Bettignies unter ihrem Tarnnamen Alice Dubois Strickerinnen an. Die perfekt zweisprachige Bettignies arbeitete von Lille aus für den britischen Geheimdienst. Sie rekrutierte Frauen, die in der Nähe von Bahnhöfen oder Gleisanlagen lebten, und liess sie minutiös beobachten: Wie viele Züge der Deutschen kamen an, wie viele fuhren ab? Was hatten sie geladen? Waren es Waggons mit Soldaten oder Güterzüge mit Geschützen und Panzern? Stricken galt dabei als völlig unverdächtig, also sassen die Frauen tagsüber am Fenster und strickten ihre Informationen, statt sie auf Papier zu schreiben, in Form eines eigens dafür entwickelten Codes ganz einfach in ihre Schals. Eine Fallmasche stand für Truppentransporte, eine linke für Artilleriezüge und so weiter. Am Ende wurden die Stricksachen in die Geheimdienstzentrale geschmuggelt, und die Muster verrieten den Agenten des MI6 die Truppenbewegungen des Feindes.

Stricken als Spionage: Mit ihren eigenen Mitteln wollten sich die Briten später auf keinen Fall selbst schlagen lassen. Im Zweiten Weltkrieg war in Grossbritannien das Verschicken von Strickanleitungen verboten.

T-Shirt

Warum das T-Shirt auf Deutsch «T-Hemd» heisst, wird jedermann spätestens beim Bügeln klar. Im 19. Jahrhundert hiess das T-Shirt noch «Leibchen» und blieb unsichtbar – die Unterwäsche offen zu tragen, wäre ausgesprochen unschicklich gewesen. Die Bezeichnung «T-Shirt» taucht zum ersten Mal 1920 im englischen Wörterbuch Merriam-Webster auf – als «kragenloses, kurzärmliges oder ärmelloses Unterhemd, zumeist aus Baumwolle».

So einsichtig der Name, so undurchsichtig die Herkunft: Darüber, wie aus dem Leibchen unser allgegenwärtiges T-Shirt wurde, gibt es wenig Klarheit, dafür aber einige Theorien. Eine davon besagt, dass das T-Shirt aus der Seefahrt kommt. Seeleute trugen seit jeher ein knopfloses «Takelhemd»; die kurzen Ärmel sollen anlässlich einer Inspektion der Royal Navy durch Queen Victoria im Jahr 1900 dazugekommen sein. Wie zweckmässig so ein Shirt war, wusste die US-Navy bereits seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898: T-Shirts waren Teil der Uniform und wurden vorschriftsmässig unter dem Hemd getragen. Doch bald schon zogen die Matrosen bei grosser Hitze an Bord ihr Uniformhemd aus und trugen bloss noch das Unterhemd. Mit Filmauftritten in den Fünfzigern schliesslich, am Leib von Idolen wie Marlon Brando oder James Dean, wurde das T-Shirt endgültig zum Inbegriff von Rebellion und Sexyness.

Ob Mann oder Frau: Heute ist das T-Shirt textiler Alltag. Rasch-rasch oder gar nicht gebügelt und in Sekunden übergezogen, ist es ebenso praktisch wie akzeptiert. Sein grösster Erfolg aber ist sein Name. «Leibchen», «Ruderleibchen» oder, in Ostdeutschland, «Nicki» – das amerikanische «T-Shirt» hat sie alle verdrängt.

Taschenmesser

Es liegt gut in der Hand, sieht mit seinem geschwärzten Eichenholzgriff toll aus und ist mit Klinge, Schraubenzieher, Dosenöffner und Ahle unverschämt praktisch: das erste Schweizer Armeetaschenmesser Baujahr 1891. Das einzige, was fehlt, ist Swissness: 15 000 Stück hat die Armee bestellt, doch kein hiesiges Unternehmen kann so viele Messer auf einmal schmieden. So kommt schliesslich die Firma Wester & Co. aus dem deutschen Solingen zum Zug.

Das wurmt nicht nur die Armeeoberen, sondern vor allem den Schwyzer Messerschmied Karl Elsener. Noch im selben Jahr gründet er einen nationalen Verband – gemeinsam sind wir stark –, und die Aufträge gehen fortan an Elsener und seine Getreuen. Die Offiziere wissen Elseners patentes Klappmesser zwar zu schätzen, doch etwas ganz Wichtiges fehlt. Elsener tüftelt weiter – und fügt den arg vermissten Korkenzieher hinzu.

Nicht nur Elsener und seine «Victorinox», so benannt nach Mutter Victoria plus «inox» für «rostfrei» – auch die Firma Wenger aus Delémont schmiedet Taschenmesser. Zu erfinden allerdings gibt es kaum noch etwas: Das Schweizer Soldatenmesser ist so ausgereift, dass es im Zweiten Weltkrieg die neidvolle Aufmerksamkeit amerikanischer GIs erregt, die daran nur etwas auszusetzen haben: seinen unaussprechlichen Namen. Weswegen es flugs zu Swiss Army Knife umbenannt wird.

Die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das anschliessende Messerverkaufsverbot an Flughäfen aber hinterlassen tiefe Einschnitte in den Bilanzen – die Traditionsfirma Wenger droht zugrunde zu gehen und wird 2005 von Victorinox übernommen. Die aber, mit 1800 Mitarbeitern und 500 Millionen Franken Umsatz, erfreut sich guter Gesundheit.