Null

Am Anfang war das Zählen. Doch das hatte Grenzen: Die Blätter an den Bäumen, die Sterne am Himmel – sie blieben unzählbar. Mit grossen Mengen taten sich die Menschen lange schwer, und das lag auch an der fehlenden Null.

Einer der Ursprünge unseres Zahlensystems liegt in Babylon. 3700 Jahre alte Schrifttafeln in Keilschrift enthalten Ziffern, deren Position schon ihren Wert angibt. Doch die Babylonier kannten keine Null: 216 konnte ebenso gut 2106 bedeuten – den Ausschlag gab erst der Kontext. Das mag seltsam klingen, ist aber bis heute nichts Ungewöhnliches: Two forty auf die Frage nach dem Preis eines Bustickets in London heisst zwei Pfund 40; geht es dagegen um ein Flugticket nach Paris, sind two forty 240 Pfund.

Auch im römischen Zahlensystem gab es keine Null, denn römische Zahlen dienten vor allem dazu, das Ergebnis des Zählens konkreter Güter festzuhalten, und «0» oder «-7» wären unsinnige Antworten auf die Frage gewesen, wie viele Ochsen ein Bauer zum Pflügen braucht.

Die Null hat ihren Anfang da, wo auch unsere Ziffern herkommen: in Indien. Forscher der Universität Oxford haben in einem aus dem heutigen Pakistan stammenden Manuskript aus 3. oder 4. Jh. die erste moderne Null entdeckt – in der Form eines schlichten Punkts. Aus diesem Punkt sollte sich über die Jahrhunderte unsere bauchige Null entwickeln – und mit ihr ein System, das auch negative Zahlen zulässt. Dezimal – 0 bis 9 –, binär – 0 und 1 –, Algorithmus, Computer, künstliche Intelligenz: Ohne Null wäre alles nichts. Ihre Erfindung war eine Sternstunde der Wissenschaft.