Ein Strickmuster ist binär: Im Grundsatz gibt es genau zwei Möglichkeiten, Muster zu erzeugen, rechte Maschen und linke. Rechts gestrickte Maschen sehen aus wie kleine Vs, links gestrickte dagegen wie Quer- oder Trennstriche. V oder Strich, Null oder eins: Wie das Morsealphabet mit seinen kurzen und langen Signalen lässt sich auch das Stricken nutzen, um Buchstaben und Botschaften zu codieren.
Im ersten Weltkrieg warb die französische Spionin Louise de Bettignies unter ihrem Tarnnamen Alice Dubois Strickerinnen an. Die perfekt zweisprachige Bettignies arbeitete von Lille aus für den britischen Geheimdienst. Sie rekrutierte Frauen, die in der Nähe von Bahnhöfen oder Gleisanlagen lebten, und liess sie minutiös beobachten: Wie viele Züge der Deutschen kamen an, wie viele fuhren ab? Was hatten sie geladen? Waren es Waggons mit Soldaten oder Güterzüge mit Geschützen und Panzern? Stricken galt dabei als völlig unverdächtig, also sassen die Frauen tagsüber am Fenster und strickten ihre Informationen, statt sie auf Papier zu schreiben, in Form eines eigens dafür entwickelten Codes ganz einfach in ihre Schals. Eine Fallmasche stand für Truppentransporte, eine linke für Artilleriezüge und so weiter. Am Ende wurden die Stricksachen in die Geheimdienstzentrale geschmuggelt, und die Muster verrieten den Agenten des MI6 die Truppenbewegungen des Feindes.
Stricken als Spionage: Mit ihren eigenen Mitteln wollten sich die Briten später auf keinen Fall selbst schlagen lassen. Im Zweiten Weltkrieg war in Grossbritannien das Verschicken von Strickanleitungen verboten.