Damoklesschwert

Ob Schuldenkrise oder Klimaerwärmung: An Damoklesschwertern ist kein Mangel. Warum das Schwert über unseren Köpfen hängt, hat uns im Jahr 45 v. Chr. der römische Politiker Marcus Tullius Cicero erzählt. Damokles, ein Höfling, war im Palast von Dionysios eingeladen, dem Tyrannen der sizilianischen Stadt Syrakus. Er bestaunte die opulente Tafel, wandte sich an den Gastgeber und bekannte, wie sehr er ihn um diesen ungeheuren Reichtum beneide. Der Fürst schmunzelte und bot Damokles an, es doch einfach selbst ausprobieren und einen ganzen Tag lang in die Herrscherrolle zu schlüpfen.

Damokles war begeistert: Gebadet und mit kostbaren Ölen parfümiert, liess er sich auf dem goldenen Thron nieder, und vor ihm wurden die erlesensten Speisen aufgetürmt. Da glitt sein Blick in die Höhe, und über sich sah Damokles ein Schwert in der Luft schweben, aufgehängt an einem einzigen Pferdehaar. Die bösartig funkelnde Spitze war drohend auf seinen Kopf gerichtet – als Zeichen dafür, dass Macht und Luxus nur um den Preis tödlicher Gefahr zu haben sind. Schlagartig verging Damokles der Appetit, vergessen waren Diener und Delikatessen, und er floh in Panik.

Die Geschichte ist uralt – Cicero hat sie vermutlich beim griechischen Geschichtsschreiber Diodoros gelesen und in einer seiner philosophischen Schriften als Beispiel für nur allzu vergängliches Glück aufgeführt. Seitdem hängt ein sprichwörtliches Schwert über dem Scheitel eines jeden, der die Gefährlichkeit seines Tuns zwar erkennt, die Bedrohung um der Bequemlichkeit willen aber in den Wind schlägt.

Das war auch beim Tyrannen Dionysios im 4. Jahrhundert v. Chr. nicht anders: Machtkämpfe und ein bewaffneter Putsch machten seiner Dynastie ein gewaltsames Ende.

Daumen drücken

Daumen drücken die Menschen, seit sie Daumen haben. Die Redensart war schon im alten Rom gang und gäbe:

Das Sprichwort sagt, dass wir den Daumen drücken sollen, wenn wir jemanden mögen,

schrieb Plinius der Ältere in seiner «Historia Naturalis». Wenn der Imperator im Zirkus das Publikum aufforderte, über das Schicksal eines Gladiators zu entscheiden, hielt die johlende Menge entweder den Daumen nach unten – damit war der Pechvogel dem Tod geweiht –, oder aber es drückte den Daumen, wie wir es tun, und der Gladiator blieb am Leben.

Auch den alten Germanen galt der Daumen als «Glücksfinger» mit übernatürlichen Kräften. Ihn einzuschlagen und mit den vier übrigen Fingern zu drücken war eine Art Bannzauber gegen Dämonen und Hexen; die Gebrüder Grimm nennen noch 1816 in ihren «Deutschen Sagen» den Brauch, mit nächtlichem Daumendrücken einem Alptraum vorzubeugen:

Wenn der Alp drücket, und man kann den Daumen in die Hand bringen, so muss er weichen.

Der Grund für die Sonderstellung des Daumens liegt auf der Hand: Der Verlust eines der vier Finger ist zu verschmerzen, doch ohne Daumen, den kräftigsten aller Finger, kann man ein Werkzeug nicht mehr halten. Besonders makaber: Selbst nach dem Tod seines Besitzers wurde dem Daumen Zauberkraft zugeschrieben: Daumen gehenkter Diebe wurden nicht selten geraubt, in Gold oder Silber gefasst und von abergläubischen Spielern in der Tasche getragen.

Das Daumendrücken ist seit jeher vor allem eine germanische Sitte. In Frankreich oder England ist der Aberglaube an die Magie der Finger zwar ebenso verbreitet. Nur werden hier keine Daumen gedrückt, sondern («croiser les doigts», «keep one’s fingers crossed») die Finger gekreuzt.

Dessert

Das Dessert ist das Sahnehäubchen des Banketts, dabei gehört es eigentlich schon gar nicht mehr dazu: Das Wort kommt vom französischen desservir, «abtragen» – ein Dessert ist also das, was kommt, wenn das Geschirr des Hauptgangs abgetragen ist. Für ein formvollendetes Dessert wird der Tisch abgeräumt, werden die Hände gewaschen und wird ein frisches Tischtuch ausgebreitet.

Das Dessert als solches ist noch gar nicht so alt. Die heutige Abfolge von Gängen bürgerte sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts ein. Davor konnte es durchaus sein, dass die Gäste das Dessert im Salon zu sich nahmen, oft stundenlang, beim Plaudern und Umherschlendern. In Frankreich und England wurde beim sogenannten ambigu das Dessert gleichzeitig mit allen anderen Gerichten kunstvoll drapiert – opulente Tafeln dieser Art sind auf Renaissance- und Barockgemälden zu sehen.

Was genau ein Nachtisch zu sein hatte, hing stets von der jeweiligen Zeit und Kultur ab: Süssspeisen aller Art, Kuchen und Konfekt, Früchte, Käse, Nüsse, in Japan und China auch ein Glückskeks mit philosophischem Sinnspruch. Beim Gastmahl des Trimalchio, beschrieben vom römischen Senator und Autor Titus Petronius im 1. Jh. n. Chr., umfasste allein das Dessert gleich mehrere Mahlzeiten: Drosselfleischpastete, Quitten, Rosinen und Nüsse, Schweinefleisch in Form einer gebratenen Gans, dazu Fisch, Austern und Schnecken. Wohl bekomm’s!

Eile mit Weile

«Beginnen darf, wer eine 5 gewürfelt hat. Kommt ein Stein auf ein Feld, das von einem feindlichen Stein besetzt ist, so wird dieser geschlagen und muss noch einmal von vorne anfangen.» So steht es in der Anleitung zu «Eile mit Weile». «Eile mit Weile» ist ein Spiel mit einer langen Geschichte. «Dieses ausserordentlich interessante Spiel hat sich in kurzer Zeit so viele Freunde erworben, dass es als wirklich gediegene Unterhaltungsgabe jedermann aufs beste empfohlen werden kann», lobt eine Spielanleitung schon ums Jahr 1900.

Doch «Eile mit Weile» ist viel älter: Es stammt vom altindischen «Pachisi» ab, einem Spiel, das schon im 6. Jh. gespielt wurde. «Pachisi» ist komplexer, weil es stärker auf Strategie und Taktik fokussiert. Die vier Spieler bilden zwei gegnerische Teams, und gespielt wird nicht mit Würfeln, sondern mit fünf, sechs oder sieben Kaurischnecken, bei denen die oben liegenden Öffnungen gezählt werden. Weil in «Pachisi» die Spieler in der Mitte beginnen, das Brett im Gegenuhrzeigersinn umrunden und am Ende wieder im Zentrum ankommen, vermuten Spieleforscher fernöstliche Symbolik: Menschen werden geboren und ziehen in die Welt hinaus, erleiden Schicksalsschläge, werden wiedergeboren – und gelangen am Ende ins Paradies.

Auch «Pachisi» zog in die Welt hinaus und kam im 17. Jh. nach Grossbritannien. Mit etwas einfacheren Regeln wurde das Spiel nach 1900 in der Deutschweiz zu «Eile mit Weile», in der Romandie zu «Hâte-toi lentement», in Norditalien zu «Chi va piano va sano» oder in Deutschland zu «Mensch ärgere dich nicht» – und eroberte so die Familientische Europas.

Erdstall

Ein Erdstall ist ein Tunnelsystem meist unter einem Bauernhof, in der Nähe einer Kirche oder eines Friedhofs. Mit Ställen für Vieh hat der Erdstall nichts zu tun: Das Wort «Stall» kommt hier vielmehr vom bergmännischen «Stollen». Tatsächlich besteht ein Erdstall aus bis zu 50 Meter langen Gängen mit einem engen Durchschlupf, mit Kammern, Stufen, Bänken und Nischen. Allein in Bayern gibt es über 700 davon, doch auch in Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, seltener auch in Frankreich, Spanien und Irland wurden Erdställe entdeckt. Alle wurden sie fast zeitgleich Ende des 13. Jahrhunderts aufgegeben.

Von wem sie erbaut wurden, wann und zu welchem Zweck, liegt dagegen völlig im Dunkeln. Die Archäologie weiss vor allem, was ein Erdstall nicht ist: Für ein Lager sind Erdställe zu eng und zu niedrig, und ausserdem wurden in ihnen kaum Spuren menschlicher Nutzung gefunden. Auch ein Fluchtort waren sie kaum, weil sie nur einen Eingang haben und Flüchtende im Fall einer Entdeckung in der Falle gesessen hätten. Auch als Notunterkunft kommen sie nicht in Frage, weil es in Erdställen kalt ist und ein Feuer den Sauerstoff aufgebraucht hätte. Eine Theorie besagt, dass Erdställe sogenannte «Leergräber» waren, symbolische Gräber für weit entfernte Tote, Soldaten etwa, die fern der Heimat gefallen waren. Andere Forscher deuten Erdställe als eine Art Wartesaal für die Seelen Verstorbener; dafür spricht, dass die Anlagen genau zu der Zeit aufgegeben wurden, als die Kirche damit begann, die Lehre vom Fegefeuer zu verbreiten.

Solange aber keine hieb- und stichfesten Belege gefunden werden, bleiben Erdställe, was sie sind: ein grosses Rätsel.