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Muschelgeld

Die glatten Gehäuse der Kaurischnecke sind selten, schwer zu finden und kaum zu fälschen. Schon vor Jahrtausenden dienten Kaurischnecken in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Chinas als harte Währung.

Solches Muschelgeld ist bis heute in Gebrauch auf der Südseeinsel Neubritannien, einem Inselstaat, der zu Papua-Neuguinea gehört. Auf dieser Insel lebt das Volk der Tolai. Die Tolai bewirtschaften als Selbstversorger ihre eigenen Gärten, oft als Gemeinschaften von mehreren Haushalten. Auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden gedeihen Taro- und Yamswurzeln, Süsskartoffeln, Bananenstauden und Kokospalmen.

Bezahlt wird mit Muschelgeld, das zu Geldschnüren aufgereiht wird, die «param» genannt werden und so lang sind wie die Spannweite eines Mannes mit ausgebreiteten Armen. Auf einen Faden dieser Länge passen 220 bis 240 sorgfältig zu Ringen geschliffene Schalen einer kleinen, in Papua-Neuguinea vorkommenden Meeresschnecke. Lokale Wechselstuben tauschen Muschel– in Bargeld und umgekehrt, denn Schulgebühren oder Arzt- und Spitalkosten müssen in Kina beglichen werden, der offiziellen Währung Papua-Neuguineas. Der aktuelle Wechselkurs beträgt 5 Kina für einen «param», was rund 1.20 Franken entspricht.

Das Muschelgeld besitzt für die Tolai grosse kulturelle und spirituelle Bedeutung, etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeiern. Und es ist nach wie vor die gängige Währung für Einkäufe auf dem Markt – für Reis, Gemüse und Süssigkeiten und, weil Handys auch in der Südsee allgegenwärtig sind, sogar für das Aufladen von SIM-Karten.

Bildschirmschoner

Mit den Kathodenstrahl- oder Plasmabildschirmen der Achtzigerjahre gab es ein Problem: Zeigten sie lange Zeit ein und dasselbe Bild an, brannte sich dieses ein. Das Phosphor der bestrahlten Pixel nutzte sich ab, was die fluoreszierende Schicht beschädigte und eine Art dauerhaftes Phantombild hinterliess.

1983 wurden daher erste «Screensaver» programmiert, die dieses Einbrennen verhinderten und dazu die Daten mit einem Passwort schützten. Blieb der Computer eine Zeitlang unbenutzt, aktivierten sich diese Bildschirmschoner und begannen, kleine Animationen über den Bildschirm zu bewegen. 1989 kam die beliebte Sammlung von Bildschirmschonern namens «After Dark» auf den Markt. Die User hatten eine ganze Reihe von Sujets zur Auswahl, deren wohl bekanntestes die surrealen «Flying Toasters» waren: Von oben rechts glitten zufällig verteilte Toaster elegant flügelschlagend nach unten, dazwischen flogen appetitlich gebräunte Toastbrotscheiben. «Ich ging ziellos durchs Haus und in die Küche», erinnert sich Entwickler Jack Eastman, der sich damals meist nachts das Programmieren beibrachte.

In der Küche sah ich den Toaster stehen, und mein übermüdetes Hirn brachte daran Flügel an.

Die «Flying Toasters» wurden ein Renner, und Eastman bestand darauf, dass sich nicht nur Anzahl und Tempo von Toast und Brot einstellen liess, sondern sogar, wie beim richtigen Toaster, der Bräunungsgrad.

Heutige Bildschirme brauchen in der Regel keine Bildschirmschoner mehr. Für Nostalgiker aber gibt’s die fliegenden Toaster noch immer – als Progrämmchen wie ehedem, oder aber als Anleitung zum Selberprogrammieren.

Hochwacht

Atemlos stürmt Aragorn in die Halle des Königs von Rohan:

Die Leuchtfeuer von Minas Tirith, die Leuchtfeuer brennen! Gondor ruft um Hilfe!

Grimmig antwortet König Théoden:

Und Rohan wird antworten! Die Heerschau soll beginnen!

Die Szene aus «Der Herr der Ringe» handelt von den Leuchtfeuern der fiktiven Stadt Minas Tirith, die um Hilfe ruft. In der Schweiz hiessen diese Signalfeuer «Hochwachten», und sie waren dem Sprachhistoriker und Fantasy-Autor J. R. R. Tolkien durchaus vertraut.

Mit weithin sichtbaren Flammen wurde in der alten Eidgenossenschaft die Mobilisierung von Truppen ausgelöst. Hochwacht um Hochwacht entzündete das Feuer, und so wurde der Alarm über das gesamte Signalnetz hinweg weitergegeben. Hochwachten gab es in den Kantonen Luzern, Zürich, Freiburg, Thurgau, und das Netz der 156 sogenannten «Chutzen» im Kanton Bern reichte gar vom Rhein bis an den Genfersee. In nur drei Stunden konnte mit ihnen das gesamte Kantonsgebiet alarmiert werden.

Frühe Signalfeuer bestanden aus einem Baum, der mit Stroh umgeben und in Brand gesteckt wurde. Ab dem 15. Jahrhundert wurden daraus ausgeklügelte Systeme: eine bemannte Wachthütte oder ein Wachtturm, ein trockener Holzstoss, ein Visierinstrument (damit eine gewöhnliche Feuersbrunst nicht mit einem Signal verwechselt wurde), eine Eisenpfanne mit Harz oder Pech und ein Mörser. Nachts wurden Signale mit Feuer weitergegeben, tagsüber mit Rauch und bei Nebel mit einem Kanonenschuss.

Zum letzten Mal eingesetzt wurden die Hochwachten 1870 im Deutsch-Französischen Krieg. Heute dagegen dienen sie nur noch als Messpunkte der Landesvermessung – und, ihrer Aussicht wegen, als beliebte Wanderziele.

Diderot-Effekt

Denis Diderot, der Pariser Aufklärer und Philosoph, war gelegentlich bei Marie Thérèse Geoffrin zu Gast, die für ihre literarischen Salons bekannt war, aber eben auch für ihre zudringlichen Gefälligkeiten. Diderot hatte Madame Geoffrin einen Gefallen getan, und sie schenkte ihm dafür einen neuen scharlachroten Hausrock. Das war fatal:

Mein alter Rock passte mir so gut, dass ich mich ausnahm wie von Künstlerhand gemalt,

schrieb Diderot 1768 in einem Essay:

Der neue, steif und förmlich, macht mich zur Schneiderpuppe. Ich sehe aus wie ein reicher Tagedieb.

Das Geschenk setzte einen Teufelskreis in Gang. Die schäbigen Möbel hatten wunderbar zum verschlissenen Rock gepasst. Doch nun verspürte Diderot das zwanghafte Bedürfnis, alte Möbel, die nicht mehr passten, durch bessere zu ersetzen – den Rohrstuhl durch einen Maroquinsessel, das schäbige Pult durch einen eleganten Sekretär, das schlichte Bücherbrett durch einen kostbaren Intarsienschrank.

Der kanadische Anthropologe Grant McCracken nannte dieses psychologische Phänomen 1990 den «Diderot-Effekt»: Der Kauf eines neuen Gegenstandes stört das zuvor harmonische Gesamtbild und zwingt zur Korrektur. Ein passendes Folgeprodukt wird angeschafft, das wieder zu stören beginnt und eine weitere Korrektur verlangt – eine Kettenreaktion des Konsums, die sich Marketing und Werbung mit immer noch begehrenswerteren Produkten zunutze machen und der man sich nur schwer entziehen kann. Es sei denn, man kommt wie Diderot zum Schluss:

Bewahrt eure alten Freunde. Mein Beispiel soll euch lehren: Die Armut hat ihre Freiheiten, der Reichtum seine Zwänge.

Haselnuss

1942 tobte rund um die Schweiz der Zweite Weltkrieg, und der Schokoladenhersteller Camille Bloch bekam ein Problem: Kakao wurde knapp und teuer. Doch Not macht erfinderisch, und so liess Bloch dunkle Schokolade in flache Formen giessen und mit ganzen Haselnüssen belegen, deren Import aus der faktisch neutralen Türkei problemlos möglich war. Dazu kam eine weiche Masse, die ebenfalls zur Hauptsache aus gemahlenen Nüssen bestand.

Dieser Riegel namens «Ragusa» ist eine Kalorienbombe, und das liegt nicht nur an der Schokolade. Eine einzige getrocknete Haselnuss enthält – bei einem durchschnittlichen Gewicht von 1,2 Gramm – rund 8 Kilokalorien und speichert damit gleichviel Energie wie 10 Gramm Kartoffeln.

Nüsse können zwar Allergien auslösen, aber sie sind sehr gesund. Eine 2015 erschienene Studie der Universität Maastricht legt nahe, dass schon 10 Gramm Nüsse pro Tag das Risiko senken, in den nächsten zehn Jahren zu sterben. Wer regelmässig Nüsse isst, leidet statistisch gesehen weniger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Zu allen Zeiten haben die Menschen Haselnüsse gesammelt, getrocknet, gelagert und gegessen – vor 230’000 Jahren der «homo erectus», in der Mittelsteinzeit die ersten Bauern, und selbst in einem Kochbuch der alten Römer, verfasst vom Feinschmecker Marcus Gavius Apicius, findet sich eine Liste von Lebensmitteln, die in keiner römischen Küche fehlen durften, darunter – neben Walnüssen, Pinienkernen und Mandeln – natürlich Haselnüsse.