Monte San Giorgio

Der Monte San Giorgio im Tessin wirkt mit seinem dichten Wald und seinen knapp 1100 Metern wenig spektakulär. Er liegt zwischen den beiden südlichen Armen des Lago di Lugano, nahe der italienischen Grenze. Der unscheinbare Berg ist ein Naturdenkmal der Superlative. Denn er führt eine 16 Meter dicke Schicht Ölschiefer, ein dunkler bis schwarzer Stein, der Rohöl enthält. Schon im 18. Jahrhundert entdeckt, wurde der Ölschiefer am Monte San Giorgio ab 1910 industriell abgebaut. Einen Ölrausch gab es nicht: Mit nur 8 Prozent gab die Schicht zuwenig her, aber das Öl, das die Arbeiter in der kleinen Fabrik bei Meride destillierten, liess sich zu einer Hautsalbe namens «Saurol» verarbeiten.

«Saurol»: Der Name kommt von der riesigen Menge bis ins letzte Detail erhaltener Fisch- und Saurierskelette, die in den Stollen zum Vorschein kamen. Vor 200 Millionen Jahren lag hier ein 100 Meter tiefes subtropisches Meeresbecken. Das ruhige Wasser auf dem Grund enthielt kaum Sauerstoff, und Tierkadaver wurden nicht gefressen oder von Strömungen weggetrieben. Seit 1924, als die Universität Zürich mit grossangelegten wissenschaftlichen Grabungen begann, wurden hier mehr als 20 000 Fossilien geborgen: Reptilien, Fische, Schnecken, Insekten, gut erhaltene Pflanzen. Einige neu entdeckte Arten tragen sogar Schweizer Namen: der Helveticosaurus, der aussah wie ein Aal mit Beinen, der Waran-ähnliche Ticinosuchus und der bis zu drei Meter lange, durchs Wasser paddelnde Ceresiosaurus, nach ceresio, dem italienischen Namen des Luganersees.

Ein weltweit einzigartiger Saurierberg: Der Monte San Giorgio gehört seit 2003 zum Welterbe der Unesco.

Muschelgeld

Die glatten Gehäuse der Kaurischnecke sind selten, schwer zu finden und kaum zu fälschen. Schon vor Jahrtausenden dienten Kaurischnecken in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Chinas als harte Währung.

Solches Muschelgeld ist bis heute in Gebrauch auf der Südseeinsel Neubritannien, einem Inselstaat, der zu Papua-Neuguinea gehört. Auf dieser Insel lebt das Volk der Tolai. Die Tolai bewirtschaften als Selbstversorger ihre eigenen Gärten, oft als Gemeinschaften von mehreren Haushalten. Auf dem fruchtbaren vulkanischen Boden gedeihen Taro- und Yamswurzeln, Süsskartoffeln, Bananenstauden und Kokospalmen.

Bezahlt wird mit Muschelgeld, das zu Geldschnüren aufgereiht wird, die «param» genannt werden und so lang sind wie die Spannweite eines Mannes mit ausgebreiteten Armen. Auf einen Faden dieser Länge passen 220 bis 240 sorgfältig zu Ringen geschliffene Schalen einer kleinen, in Papua-Neuguinea vorkommenden Meeresschnecke. Lokale Wechselstuben tauschen Muschel– in Bargeld und umgekehrt, denn Schulgebühren oder Arzt- und Spitalkosten müssen in Kina beglichen werden, der offiziellen Währung Papua-Neuguineas. Der aktuelle Wechselkurs beträgt 5 Kina für einen «param», was rund 1.20 Franken entspricht.

Das Muschelgeld besitzt für die Tolai grosse kulturelle und spirituelle Bedeutung, etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeiern. Und es ist nach wie vor die gängige Währung für Einkäufe auf dem Markt – für Reis, Gemüse und Süssigkeiten und, weil Handys auch in der Südsee allgegenwärtig sind, sogar für das Aufladen von SIM-Karten.

Pangäa

Vor 200 Millionen Jahren war der Atlantik noch ein See, Marokko grenzte an Kanada, und die Schweiz lag am Meer. Und Kontinente gab es nicht.

Oder besser: Es gab nur einen einzigen Kontinent. Im hohen Norden lag China, im Osten Iran, im Westen Mexiko, ganz im Süden Neuseeland – oder zumindest die Landmassen, die wir heute als Länder kennen. Dass der Osten Südamerikas auf Afrikas Westen passt wie ein Puzzleteil aufs andere, fiel Kartografen schon im 16. Jahrhundert auf. Das ging auch dem deutschen Geowissenschaftler Alfred Wegener so:

Die erste Idee der Kontinentverschiebungen kam mir bereits im Jahre 1910 bei der Betrachtung der Weltkarte unter dem unmittelbaren Eindruck von der Kongruenz der atlantischen Küsten, ich ließ sie aber zunächst unbeachtet, weil ich sie für unwahrscheinlich hielt.

Aber: Immer mehr geologische und erdgeschichtliche Befunde legten nahe, dass alle Erdteile einmal zu einem urzeitlichen Riesenkontinent gehört haben müssen, bevor dieser durch langsame Bewegung, die «Drift», in einzelne Teile zerbrach. Die Theorie dieser einen Rieseninsel im erdumspannenden Ozean formulierte Wegener zum ersten Mal in zwei Vorträgen 1912; den Superkontinent nannte er «Pangäa» – von pan, dem griechischen Wort für «ganz», und gaia, der poetischen Bezeichnung für «Land».

Dessen Überreste liegen bis heute buchstäblich unter unseren Füssen: In Gesteinsschichten des Monte San Giorgio im Tessin, einst eine Meereslagune, liegen die Skelette Abertausender Schwimmsaurier, die einst Pangäa bevölkert haben.

Polstab

Auf dem Weg der Sonne von Ost nach West wandert der Schatten des Stabes einer Sonnenuhr im Gegenuhrzeigersinn über das Zifferblatt und zeigt die Zeit an. Bei heutigen Sonnenuhren steht der Stab in der Regel schräg. Er zeigt auf den Himmelsnordpol – in Richtung des Polarsterns – und heisst deshalb Polstab.

Die Vorläufer von Polstabuhren hatten Schattenstäbe, die ganz einfach rechtwinklig vom Zifferblatt abstanden. Sie heissen «kanonial», weil sie in mittelalterlichen Klöstern dazu dienten, die Gebetszeiten anzuzeigen. Die älteste kanoniale Sonnenuhr der Welt haben Forscherinnen der Uni Basel 2013 im Tal der Könige in Ägypten entdeckt: ein flaches Stück Kalkstein, auf dessen glatte Vorderseite ein Arbeiter säuberlich die zwölf Tagesstunden aufgemalt hatte – vor sage und schreibe 3200 Jahren.

Der Nachteil dieser Sonnenuhren mit rechtwinkligen Schattenstäben: Sie sind ungenau. Weil der Sonnenstand von der Jahreszeit abhängt, sind die Winkel der Stundenlinien unterschiedlich – neun Uhr im Sommer ist anders als neun Uhr im Winter.

Die Lösung für dieses Problem fanden die alten Griechen: den Polstab, auf Griechisch polos, der genau im Winkel der geografischen Breite zur Mittagslinie geneigt ist – in der Schweiz sind das zwischen 46 und 47,5 Grad. Der Polstab war eine kleine Revolution der Zeitmessung: Er verläuft parallel zur Erdachse, und damit fällt die Jahreszeit nicht mehr ins Gewicht. Denn der Schatten fällt zur selben Tageszeit immer auf dieselbe Linie, unabhängig davon, ob gerade Winter oder Sommer ist.

Tschernobyl

Es ist still in Pripjat, jener Geisterstadt nördlich von Kiew, in der Ukraine, nahe der Grenze zu Weissrussland. Totenstill. Erst 1970 – zusammen mit dem Kernkraftwerk Tschernobyl – für die Arbeiter und ihre Familien gebaut, wurde Pripjat in den letzten Apriltagen 1986 vollständig geräumt.

Denn kurz zuvor, am 26. April, war Block 4 des Kraftwerks nach einer missglückten Notfallübung des Chefingenieurs Anatoli Djatlow «instabil» geworden, wie es hiess. Noch während der Turbinenmeister den Nachlauf der gewaltigen Lager prüfte, setzte im Reaktorraum eine Kernschmelze ein. Die diensthabenden Techniker bemerkten die Kettenreaktion Augenblicke zu spät, die über dem Uran hängenden Steuerstäbe klemmten im sich bereits verformenden Reaktor. Unterhalb des Betondecke bildeten sich grosse Mengen von Wasserstoffgas, eine gewaltige Explosion zerriss das Gebäude und setzte die Graphitbeschichtung in Brand, während sich der schmelzende Reaktorkern langsam in die Tiefe frass. Tagelang wüteten schwere Brände, die mit Bor, aus Helikoptern abgeworfen, mit Blei, Dolomit, Sand und Lehm, von so genannten «Liquidatoren» herbeigeschafft, erstickt werden sollten.

Bis zu 800 000 Aufräumarbeiter waren es, die die Hinterlassenschaft einer der grössten technologischen Katastrophen unserer Zeit beseitigen sollten. 1000 von ihnen wurden allein am ersten Tag tödlich verstrahlt; wieviele genau geopfert wurden, bleibt bis heute geheim.

Die Arbeiterfamilien in der Kraftwerksstadt Pripjat wurden innert Stunden aus ihren Wohnungen, die Kinder aus Schulen und Kindergärten geholt, in Busse verfrachtet und evakuiert. Noch jahrelang wurden die leeren Gebäude mit Abwärme der verbleibenden Tschernobyl-Reaktoren weiter beheizt – wenn sie verfallen, wird ihr Staub über das fruchtbare Land wehen und den Boden weiter verstrahlen.