Myst

September 1993. Der Computer war noch ein Arbeitstier, sein Käfig das Büro, sein Bildschirm eine Flimmerkiste. Da löste ein brandneues Game bei den Fans ein Raunen aus. Das Spiel hiess «Myst», von mystery, dem englischen Wort für Rätsel, erfunden von den beiden Brüdern Rand und Robyn Miller.

Myst
Allerdings: Nur die wenigsten konnten es überhaupt spielen. «Myst» lief anfänglich nur auf einem Mac mit hoch auflösendem Farbbildschirm und CD-ROM, vor 20 Jahren ein unerschwinglicher Luxus. Dazu war «Myst» ganz anders als andere Games. Kein Spielstand. Kein Schiessen. Kein Sterben. Sondern vielmehr eine einsame, surreale, mit zahllosen liebevollen Details gestaltete, menschenleere Insel, deren Vergangenheit es Schritt für Schritt zu enträtseln galt. Und so tauchten die Spieler ein in die Welt der missratenen Brüder Sirrus und Achenar, ihres überforderten Vaters Atrus, seinen genialen Maschinen und seinen magischen Büchern, die moderne E-Books um Jahrzehnte vorwegnahmen.

Das Spielen bestand vor allem aus Denkarbeit. Die Rätsel waren so verflixt schwierig, dass man den «Myst»-Spieler auch abseits des Computers unschwer an seinem abwesenden Blick und dem stets in Griffweite befindlichen Notizblock erkennen konnte. Die Kritiken waren euphorisch, das Spiel und seine Nachfolger ein Riesenerfolg: Neun Jahre lang war «Myst» das meistverkaufte Computergame; von den ersten drei Versionen wurden über 12 Millionen Stück verkauft.

Die Firma der beiden Miller-Brüder gibt es immer noch. Sie liegt in Spokane im US-Bundesstaat Washington, laut Firmenporträt «192 Billionen Kilometer vom nächsten bewohnbaren Planeten entfernt». «Myst» selbst liegt etwas näher: im Museum of Modern Art in New York, als Spiel im Web und, natürlich, als App auf dem Handy.

Notaphon

Achtung, Achtung, hier Notaphon, Name und Adresse des Teilnehmers, sprechen Sie bitte jetzt.

Wer 1946 den deutschen Erfinder Willy Müller und dessen Firma Phonova AG in Küsnacht am Zürichsee anruft, hört die Nachricht eines der ersten Anrufbeantworter der Schweiz. Das neue Gerät, ein sogenannter «Telephonograph», ist der Neuen Zürcher Zeitung eine volle Seite wert. Tatsächlich gibt es einiges zu erklären:

Bei Abwesenheit des angerufenen Telephonteilnehmers schaltet sich der vollautomatische Telephonograph ein, nimmt die Meldung entgegen und spricht diese später dem Angerufenen zu, gleichgültig nach welcher Telephonstation der Welt.

Das «Notaphon», wie das Gerät heisst, ist zwar nicht der erste Anrufbeantworter der Welt, aber der bisher kleinste. Es hat die Masse und das Gewicht eines der damaligen Röhrenradios, und in seinem Inneren dreht sich eine 32 Zentimeter grosse Magnettonplatte, eine halbe Stunde lang aufzeichnen kann – ein technischer Durchbruch. Die über zwei Dutzend Regler, Tasten und Lämpchen setzen ein gründliches Handbuchstudium voraus. Und schon 1946 hat der Datenschutz oberste Priorität: Das Gerät lässt sich nur mit Schloss und Schlüssel entsperren, und will man die Nachrichten aus der Ferne und per Telefon abhören, horcht eine Funktion namens «Geheimschloss» auf ein Passwort aus gesprochenen Vokalen.

Das Notaphon,

jubelt 1948 die Militärzeitschrift «Pionier»,

ist ein Präzisionsgerät voller Eleganz, das durch seinen geringen Platzbedarf und seine Betriebssicherheit den Anforderungen an das moderne Leben ganz und gar entspricht.

Oktobass

Hector Berlioz war hell begeistert.

Herr Vuillaume, Geigenbauer in Paris, dessen vortreffliche Geigen sehr gesucht sind, hat die Familie der Streichinstrumente mit einer schönen und mächtigen Individualität bereichert: mit dem Okto-Baß. (…) Dieses Instrument hat Töne von merkwürdiger Gewalt und Schönheit, voll und stark, ohne Rauheit. Es würde in einem großen Orchester außerordentliche Wirkungen hervorbringen und sollte bei Musikfesten, falls die Zahl der Instrumentalisten 150 übersteigt, wenigstens in dreifacher Besetzung vorhanden sein.

Dies schreibt der Komponist in seiner Instrumentationslehre. Das Instrument, das der Pariser Geigenbauer Jean-Baptiste Vuillaume 1850 auf Berlioz‘ Wunsch nach einem noch voller klingenden Bass hin gebaut hatte, war tatsächlich enorm: Der Oktobass mit seinen drei Saiten, deren Stimmung eine Oktave unterhalb des Cellos liegt, misst volle dreieinhalb Meter. Das Griffbrett ist so lang und die Saiten sind so dick, dass der Musiker, auf einem eigens dafür gebauten Podest stehend, den Oktobass nur mit einem Mechanismus aus Hebeln oder Pedalen spielen kann. Die wenigen modernen Nachbauten sind sogar noch eine Oktave tiefer gestimmt: Der tiefste Ton schwingt bei für das menschliche Ohr nicht mehr hörbaren 16 Hertz.

Erfinder Vuillaume baute Zeit seines Lebens nur gerade drei Oktobässe, deren einer gar 1867 in London einem Grossbrand zum Opfer fiel. Und obwohl 2016 das Orchestre symphonique de Montréal unter seinem Chef Kent Nagano den Oktobass offiziell eingeführt hat, ist diese Riesin unter den Bassgeigen eine ausgesprochene Seltenheit geblieben.

PacMan

«PacMan» hat Jahrgang 1980 und ist ein gelber Kreis mit einem nach rechts geöffneten, dreieckigen Mund. Und er ist ein gefrässiger Kerl. Er frisst kleine rosa Punkte und vor allem, bei geschicktem Spielen, eines der vier bunten Gespenster, die ihm auf die Pelle rücken.

PacMan

Und vor allem frass er, ratzeputz, das Taschengeld einer ganzen Generation. Bis Ende der 1990-er Jahre spielte PacMan allein in den USA 2,5 Milliarden Dollar ein – in 25-Cent-Münzen, die man gegen jeweils drei PacMan-Leben tauschte. PacMan war ein Videogame. 1980, als die Wissenschaft noch mit dem ersten Personalcomputer schwanger ging und an ein Web noch nicht zu denken war, war das ein schrankgrosser Kasten mit einem gewölbten Bildschirm, einem Joystick zum Steuern des gefrässigen Protagonisten und, eben, einem nicht minder gefrässigen Münzeinwurf.

Dabei sah es im Mai 1980 so aus, als wäre das neue Videogame des japanischen Herstellers Namco ein Flop. Die Spielhallen der aufgehenden Sonne liebten «Space Invaders» oder «Asteroids» und liessen den schmatzenden Punkt beinah verhungern. Auch amerikanische Marketingleute übersahen das an einer Messe vorgestellte Game komplett. Bis einige wenige Spielsalons aufs Geratewohl Namcos Neuling orderten – und vom Andrang eines restlos begeisterten Publikums förmlich überrannt wurden.

PacMan zählt heute zu den wichtigsten Spielen der Computergeschichte und ist nicht mehr einfach ein Game, sondern Mitbegründer einer neuen Kunstgattung. Zu finden ist PacMan heute auf dem Spartphone, im Web – und, zusammen mit 13 weiteren Games, im Museum of Modern Art in New York.

Pastorius, Jaco

Vor 35 Jahren erschien in den USA Party Down, eine Platte mit Rhythm ’n‘ Blues. Unter einem Pseudonym, und nur für einen einzigen Track, spielte da zum allerersten Mal der Bassist John Francis Pastorius. Und der wusste schon damals: I am the best bass player in the world. Das war eine Tragödie. Denn Jaco, wie ihn der Jazz nennt, war tatsächlich der grösste Bass-Spieler der Welt. An sich, an seiner Kunst und an seinem Anspruch sollte er zerbrechen – an Drogen und Alkohol, bis er, erst 36 und sternhagelvoll, in Fort Lauderdale und im Streit mit einem Türsteher buchstäblich erschlagen wurde.

Jaco Pastorius, Jahrgang 1951, war Sohn eines Jazzschlagzeugers und begann ebenfalls an den Drums. Ein gebrochenes Handgelenk – Jaco war begeisterter Sportfan – zwang ihn an ein anderes Instrument: an den Elektrobass, aus dem er mit einem Buttermesser kurzerhand die Bünde herausbrach, die Fugen mit Kitt füllte und das Griffbrett mit Bootslack überzog. Dieser Fretless-Bass war viel schwerer zu spielen, aber wo‘s für andere Bassisten nachgerade unmöglich wurde, fing der Autodidakt Jaco gerade erst an.

Jaco Pastorius war ein Komet von einem Musiker, sein Leben eine Flugbahn. Den Jazzbass hat Jaco gleichsam neu erfunden. Zuvor war der vor allem Begleitinstrument gewesen, quasi der basso continuo des Jazz. Bis Jaco kam. Der machte den Bass zum Soloinstrument, und das mit einer geradezu wütenden Virtuosität.

Jacos Soloalbum von 1976 trug den sehr selbstbewussten Titel: «Jaco Pastorius». Sowas konnte sich nur ein Schnösel leisten, der auf den ersten Ton klar machte: Hier spielt niemand anderes als der grösste Bassist der Welt.