Innovation

Von Küchengerät bis Kulturveranstaltung: Nichts, das heute nicht innovativ wäre. Innovation ist in – man möchte meinen, erst die Innovation habe den homo erectus so richtig zum homo sapiens gemacht. Doch weit gefehlt: Obwohl das Wort vom lateinischen innovare («erneuern») abstammt, ist es erst in den 1960er-Jahren aus dem Englischen ins Deutsche eingewandert. Eine echte sprachliche Innovation, möchte man meinen, denn zuvor waren die Dinge ganz einfach nur neu.

Ob innovativ oder neu: Sprachlich ist das im Grunde einerlei. Die beiden sind Zwillinge, und ihre Urmutter ist das alte indogermanische Wort navas («neu», «jung», «frisch») dessen Spuren sich in vorchristlichen indischen Tempelsprachen verliert.

Mit den Innovationen unserer Tage ist es ein bisschen wie in der Kunst: Man kann sie weder anordnen noch planen noch produzieren. Sie sind zunächst nichts als eine Behauptung. Ob die Idee, das Produkt oder die Dienstleistung irgendwann tatsächlich den Ritterschlag verdient, zeigt sich erst später, viel später. Wahre Innovation steht erst am Ende eines langen, ephemeren Prozesses, und der hat längst nicht nur mit der Genialität des Erfinders zu tun, sondern mehr noch mit Werbung und mit Markt.

Man kann’s auch umgekehrt formulieren: Wären Innovationen wirklich so zahlreich, wie uns die Werbung weismachen will, gerieten Fehlschläge nachgerade zur Ausnahme. Und wir sähen vor lauter innovativen Bäumen den Wald der Nützlichkeit nicht mehr.

Jazz

Am 13. Mai 1896 um 19.05 Uhr Ortszeit erfand Buddy Bolden in New Orleans den Jazz.

So kalauerte das Fachmagazin Jazzthing. Das ist gehobener Unsinn. Zwar sagt man vom Kornettisten Charles Joseph alias «Buddy» Bolden, er sei der allererste Bandleader des Jazz gewesen. Und tatsächlich war seine Band in New Orleans sehr beliebt. Doch was immer sie an diesem Tag erfunden hat, es wird wohl kaum der Jazz gewesen sein.

Der Jazz hat nicht einen, er hat zahllose Väter. Da waren die schwarzen Sklaven mit ihren Gesängen auf den Baumwollplantagen der amerikanischen Südstaaten, da waren die Marching Bands und die Brass Bands, die mit der Improvisation das wohl wichtigste Stilmittel mitbrachten, und da waren die Solisten mit ihren synkopischen Melodien, die – leichtfüssig, spielerisch – den Akzent von den schweren Schlägen auf die unbetonten, den sogenannten off-beat, verschoben.

Das Wort jazz taucht gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf: in den Bordellen von New Orleans, die – neben käuflicher Liebe – auch Musik und Tanz anboten. To jazz around war schwarzer Slang, der nichts anderes hiess als Geschlechtsverkehr.

Woher das Wort Jazz kommt, ist unklar – man spekuliert über kongolesische oder kreolische Wörter für Anstrengung, Antrieb, Energie, aber Gewissheit hat man keine. In der Musik taucht das Wort «Jazz» erst 1913 auf, und spätestens 1917, mit dem Erfolg der «Original Dixieland Jazz Band» und deren Tiger Rag und Saint Louis Blues, trat der Jazz seinen Siegeszug an.

Die vulgäre Herkunft ging rasch vergessen. Wie schrieb doch 1924 ein Kritiker:

Wüssten wir die Wahrheit über den Ursprung, kein anständiger Mensch würde es wagen, das Wort jazz in den Mund zu nehmen.

Karat

Mehr als 0,6 Kilo brachte er auf die Waage, der grösste je gefundene Diamant – in einer südafrikanischen Mine, die dem Unternehmer Thomas Cullinan gehörte. Den Riesenstein entdeckt hatte 1905 der Minenleiter Frederick Wells, und er gab ihm den Namen seines Chefs, «Cullinan».

Nun wiegt kein Mensch Diamanten mit der Haushaltswaage. Und auch das Kilo als Mass ist viel zu grob – Diamanten misst man in Karat. Allerdings nicht, weil das vornehmer klingt, sondern weil viel genauer gewogen werden muss. Ein metrisches Karat entspricht 0,2 Gramm, und so kleine Gewichtssteine liessen sich in der Vergangenheit kaum mit der nötigen Genauigkeit herstellen. Also, so lautet die Legende, nahm man die Samen des Johannisbrotbaums, weil die alle ziemlich genau 0,2 Gramm wiegen. Daher auch der Name – Karat oder arabisch qīrāt kommt vom Griechischen kerátion, Hörnchen, wegen der gekrümmten Schoten des Johannisbrotbaums.

Nun fanden Forscher der Universität Zürich zwar heraus, dass das Gleichmass dieser Samen nichts als ein Märchen ist – ihr Gewicht unterscheidet sich gleich stark wie bei allen anderen Pflanzen –, aber Menschen können mit erstaunlicher Sicherheit die jeweils leichtesten und schwersten Samen von Hand aussortieren. Die Körner, die übrig bleiben, wiegen im Durchschnitt genau ein Karat, mit einer Genauigkeit von einem Hundertstelgramm.

Der «Cullinan» war, als ihn der überglückliche Minenleiter aus dem Boden holte, 3106,7 Karat schwer. War, Vergangenheitsform. Der Riesendiamant wurde 1908, nur drei Jahre nach seinem Fund, von einem holländischen Diamantschleifer in über 100 Teile gespalten. Die neun grössten Brocken wurden geschliffen, sind heute Teil der britischen Kronjuwelen und liegen im Tower von London.

Latènezeit

Der Bieler Oberst Friedrich Schwab war vermögend – und ein begeisterter Sammler. In seinem Auftrag suchte der Fischer Hans Kopp 1857 am Neuenburgersee nach archäologischen Fundstücken. Schon früher waren da immer wieder Überreste prähistorischer Siedlungen entdeckt worden. Am Ausfluss der Zihl, in der heutigen Gemeinde La Tène, stiess Kopp unverhofft auf Pfähle, die aus dem flachen Seegrund ragten. Mit langen Zangen gelang es ihm, in nur einer Stunde vierzig erstaunlich gut erhaltene Eisenwaffen aus dem Wasser zu ziehen. Sie stammten aus dem 3. und 2. Jh. v. Chr., einer Zeit, in der die Kelten die Gegend besiedelt hatten.

Und das war nur der Anfang: Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. wurden am See grossangelegte Grabungen durchgeführt. Dabei entdeckten Archäologen Tausende Fundstücke: Waffen – Schwerter und Schwertscheiden, Dolche, Lanzenspitzen und Schilde –, daneben auch Schmuck, Werkzeug und Kessel. Im feuchten Boden hatte sich nicht nur Metall erhalten, sondern sogar Holz, Textilien und Flechtwerk.

Doch was um Himmels willen hatte sich da einmal befunden? Die Spekulationen reichten vom Pfahlbauerdorf, einer Fluchtburg, einer Zollstation und einem Waffenlager bis hin zum Heiligtum. Heute dagegen glauben Forscher, dass sich in La Tène einst ein Kriegerdenkmal befunden hat, in dem die Waffen einer wichtigen Schlacht zur Schau gestellt wurden.

Was der Fischer Hans Kopp in La Tène entdeckte, war für die Wissenschaft so bedeutend, dass heute die jüngere Eisenzeit in Europa ganz einfach «Latènezeit» genannt wird.

Minox

Die Fotokameras der 1930er-Jahre sind technische Wunderwerke. Doch ob Kompakt oder Spiegelreflex, ob Kleinbild- oder Rollfilm: Kameras sind gross und schwer und hängen den Fotografen wie Mühlsteine um den Hals.

Walter Zapp, 1905 im Baltikum geboren, kriegstraumatisiert, Schulabbrecher, findet in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg am Ende doch noch eine Lehrstelle als Kunstfotograf. Rasch zeigt sich: Der junge Zapp ist hoch begabt. 1934 beginnt er, in Riga eine Fotokamera zu entwickeln, die kleiner ist als alles, was die Welt je gesehen hat. Der erste Prototyp folgt zwei Jahre später, eine Art achtes Weltwunder der Fotografie: Eine hochpräzise Kamera namens «Minox», von lateinisch minor («kleiner»), aus Edelstahl, 130 Gramm und kleiner als zwei Feuerzeuge, mit fester Blende von 3,5 und Verschlusszeiten bis zu einer Tausendstelsekunde. Der Winzling braucht einen Spezialfilm, dessen Negative erst 6,5 mal 9, später 8 mal 11 Millimeter klein sind. Optik und Mechanik sind von einer unerhörten Qualität, so dass sich selbst Geheimdokumente und Pläne gestochen scharf abfotografieren lassen.

Das rief, wen wundert’s, nicht nur die Künstler, sondern auch die Schlapphüte auf den Plan. «On Her Majesty’s Secret Service» («Im Geheimdienst ihrer Majestät») von 1969 mag trotz des Drehs auf dem Schilthorn zu den dürftigeren Filmen zählen. Doch die Minox, mit der George Lazenby alias James Bond eine geheime Karte abfotografiert, liess dem Publikum die Augen übergehen.

Der Spionage-Kamera namens «Minox», jenem Meisterwerk des Erfinders Walter Zapp, war ein ungeheurer Erfolg beschieden: 75 Jahre lang wurde sie produziert. Die allerletzte lief erst 2012 vom Band.