Farinet, Joseph-Samuel

Es gibt zweieinhalb Wege, um zu Geld zu kommen: arbeiten oder stehlen. Der dritte, es zu fälschen, ist bestenfalls ein halber, und wer ihn geht, steht mit einem Bein im Gefängnis.

Einer, der diesen Weg unverdrossen und mit grossem Geschick gegangen ist, war der 1845 im Aostatal geborene Bauernsohn Joseph-Samuel Farinet. Zusammen mit seinen Gehilfen fälschte Farinet nicht etwa Banknoten, wie dies die meisten seiner Berufskollegen tun, sondern vielmehr 20-Rappenstücke. Aus gutem Grund: Zum einen waren in den 1870-er Jahren 20 Rappen gutes Geld, und zum anderen genossen die Münzen das Vertrauen der Händler und Bauern, ganz anders als das Papiergeld der wegen Fehlspekulationen in Schieflage geratenen Walliser Kantonalbank.

Mehr als zehn Jahre lang brachte Farinet so viele 20-Räppler in Umlauf, dass am Ende ein Drittel aller Münzen sogenannte Farinets gewesen sein sollen. Von der schieren Menge an Falschgeld alarmiert, griff schliesslich der Bundesrat ein und verlangte von der Walliser Regierung die Festnahme des dreisten Falschmünzers. In einer Schlucht bei Saillon in die Enge getrieben, fand Farinet am 17. April 1880 den Tod – ausgerutscht und in die Tiefe gestürzt, behauptete die Polizei; kaltblütig erschossen, erzählten sich dagegen die Dörfler.

Literatur und Film haben Farinet ein Denkmal als «Robin Hood der Alpen» gesetzt, doch die Wahrheit ist viel prosaischer. Sein Leben war eine einzige Flucht: vor dem Elend und vor dem Gesetz.

Fender, Leo

Sie heissen Telecaster, Stratocaster, Precision Bass und Jazz Bass. Sie haben zweierlei gemeinsam: Sie sind elektrisch, und sie heissen – Fender. Und noch etwas: Sie haben Musikgeschichte geschrieben. Zum Beispiel in den Händen des genialen Bassisten Jaco Pastorius.

Meilensteine des Jazz, undenkbar ohne den gelernten Buchhalter Leo Fender. Der eröffnete 1938 in Fullerton, Kalifornien, ein Radiogeschäft, und begann wenig später, quasi nebenher Hawaiigitarren und Verstärker zu bauen. 1946 sattelte er um und gründete die Fender Electrical Instrument & Co. Und vier Jahre später war sie da: die erste in Serie gebaute Elektrogitarre der Welt, die Telecaster. Sie bestand – und besteht bis heute – aus einem massiven Holzklotz aus Erlen- oder Eschenholz, mit eingesetzten single-coil-Pickups, also Ein-Spulen-Tonabnehmern, und einem aufgeschraubten Gitarrengriffbrett. Dann war da der Fender Precision Bass, die erste elektrische Bassgitarre mit Bundstäben. Kurz darauf: die nächste Erfindung: die Stratocaster. Diese futuristische Gitarre sah ein bisschen aus wie ein 1952er Chevrolet – tatsächlich liess sich Fender von den Autobauern inspirieren –, und sie besass einen neuartigen Hebel, mit dem sich der Ton beugen liess.

Leo Fenders Kundenliste liest sich wie ein Who is Who: Eric Clapton, Jimi Hendrix, Mark Knopfler, Bruce Springsteen – und natürlich David Gilmour von Pink Floyd mit seinem unsterblichen Solo im Song «Another Brick in the Wall part II». Leo Fender musste die Firma 1965 an CBS verkaufen; er starb 1991 an Parkinson. Er hatte sich Zeit seines Lebens geweigert, selbst Gitarre zu spielen.

Fibonacci

Das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben.

Dies schrieb kein Geringerer als Galileo Galilei, und er muss dabei an ein ganz bestimmtes Buch gedacht haben: an den liber abbaci, auf Deutsch «Rechenbuch», des Leonardo da Pisa, kurz Fibonacci genannt. Fibonacci, um 1180 in Pisa geboren, war der wohl bedeutendste Mathematiker des Mittelalters. Sein Vater war Notar der Kaufleute von Pisa in Algerien, und seinen Sohn liess er im Rechnen mit den neuen indisch-arabischen Ziffern von null bis neun unterrichten. Fibonacci sog dieses Wissen gierig auf, und sein Rechenbuch von 1202 ist noch heute bekannt – wegen einer seiner Rechenaufgaben: Wie vermehren sich Kaninchen im Lauf der Zeit? Fibonacci rechnete: Kaninchen werden nach einem Monat geschlechtsreif. Ein Paar ist nach einem Monat immer noch allein, nach zwei Monaten dagegen sind es zwei. Das ältere dieser beiden Paare bekommt wieder Junge, macht nach drei Monaten drei, nach vier Monaten fünf. 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 – jede nächste Zahl ist die Summe der vorangegangenen zwei.

Die Fibonacci-Folge ist berühmt. Und das ist erstaunlich, denn Fibonacci wäre ein miserabler Kaninchenzüchter gewesen: Seiner Rechnung zufolge hätten die Tierchen nämlich ewig leben müssen. Und trotzdem folgt die Natur dieser Fibonacci-Folge: Eine Ananas, ein Kaktus, ein Tannzapfen, eine Sonnenblume – Schuppen und Samen bilden Spiralen, die je nach Betrachtungsweise nach rechts oder nach links drehen. So weit, so gut, nur: Wie viele dieser rechts– und linksdrehenden Spiralen es gibt – es sind immer und ohne Ausnahme zwei aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen.

Wenn also Mathematik die Sprache der Natur ist, dann hat Fibonacci aus Pisa ihre Grammatik geschrieben.

Goldberg, Rube

Reuben Lucius Goldberg, Jahrgang 1883, war Ingenieur mit Abschluss an der University of California in Berkeley. Seine wahre Leidenschaft aber galt dem Zeichnen, zuerst als Cartoonist in San Francisco, später in New York. Für seine politischen Karikaturen in der «New York Sun» erhielt Rube Goldberg 1948 den Pulitzer-Preis. Seine bekannteste Figur aber ist Professor Lucifer Gorgonzola Butts, und der ist über die Massen komisch. In diesem Comic kommen immer wieder die kompliziertesten Maschinen zur Bewältigung der einfachsten Aufgaben vor. Diese hier erklärte Goldberg in einem Film von 1940 gleich selbst:

Kellner setzt Katze B auf den Geschirrstapel A. Katze B sieht ausgestopfte Maus C. Katze springt auf Maus und betätigt damit Hebel D, der brennende Kerze E an Zündschnur F hält, worauf Bombe G explodiert, was ganz sanft Tür H öffnet.

Unsinnige Apparate wie dieser Türöffner machten die nach ihrem Zeichner benannten «Rube-Goldberg-Maschinen» zum Inbegriff unnötig komplizierter Technik.

Goldbergs detailverliebte Mechanismen erinnern an Patentschriften, und sie ziehen Nerds bis heute in ihren Bann. Auf Youtube versuchen sich Rube-Goldberg-Tüftler gegenseitig zu überbieten, mit Hunderten komplexester Konstruktionen mit Kugeln und schiefen Bahnen, Rädern und Hebeln, Glaskolben und Bunsenbrennern, ja selbst Kaninchen und Goldhamstern, die nach minutenlanger Arbeit am Ende nichts anderes vollbringen als etwa das Umblättern einer Zeitung. Rube Goldberg und sein verrückter Comicprofessor hätten ihre helle Freude daran.

Gotthelf, Jeremias

Es mag grössere Schriftsteller gegeben haben als ihn, dessen Pseudonym Jeremias Gotthelf Programm war. Besonders der späte Gotthelf, immer wieder als missionarischer Reaktionär verschrieen, ist ein sperriger Klotz in der Schweizer Literaturgeschichte. Werke wie der Doppelroman «Uli der Knecht» und «Uli der Pächter» gehören zwar zur Schweizer Allgemeinbildung, andere Romane aus derselben Zeit wie «Jakobs Wanderungen» sind dagegen völlig unbekannt geblieben.

Jeremias Gotthelf alias Albert Bitzius, Jahrgang 1797, war Sohn des Pfarrers von Murten, und wie der Vater, so der Sohn: Gotthelf studierte Theologie und wurde, nach verschiedenen Stationen im Kanton Bern, Pfarrer in Lützelflüh. Hier, im beschaulichen Emmentaler Dorf, entstand eines der grössten literarischen Werke der Zeit: Die Gesamtausgabe umfasst 24 Bände und 8000 Seiten, Predigten, Kalendergeschichten und Briefe füllen weitere 18 Bände. Auch wenn Gotthelfs Deutsch mit Berner Dialekt durchsetzt ist: Die meisten Leser fand er, ausgerechnet, in Deutschland. Selbst Schweizer Zeitgenossen wie Gottfried Keller stiessen sich an Gotthelfs Volkstümelei, selbst wenn – oder vielmehr gerade weil – solches im Deutschland der 1840er Jahre grosse Mode war.

Solche Kritik liess Gotthelf kalt. Er sorgte sich nicht um seinen Ruf, sondern um Menschen. Was ihn kümmerte, waren Armut und Verwahrlosung, was er anprangerte, waren Egoismus und Gottlosigkeit. Als Gotthelf 1854 an einem Schlaganfall starb, hinterliess er ein literarisches und politisches Zeitgemälde, das seinesgleichen sucht. Um es mit dem Germanisten Walter Muschg zu sagen: «Gotthelf, dieser Aussenseiter, war der einzige, der sich mit Dickens, Balzac oder Dostojewskij vergleichen lässt.»

Höchste Zeit, wieder einmal Gotthelf zu lesen.