Cotton, Jerry

Jerry Cotton, pardon: G-man Jerry Cotton ist ein Held, der Held der erfolgreichsten deutschen Krimiserie in deutscher Sprache. Dank ihm wissen wir, dass ein knallroter Jaguar das Ende aller Träume ist, aber dass – Folge «Die letzte Fahrt im Jaguar» – auch ein roter XK 150 ein Ende haben kann. Und nur dank ihm wissen wir, dass G-man amerikanischer Slang ist und FBI-Beamter bedeutet.

Im richtigen Leben hat Jerry Cotton Jahrgang 1954. Da schrieb der damals 31-jährige Waschmittelvertreter Delfried Kaufmann den Groschenroman «Ich suchte den Gangster-Chef», als 68. Folge der Krimireihe des deutschen Bastei-Verlags. Das Heft schlug ein wie eine Kugel aus der Smith & Wesson seines Titelhelden, und zwanzig Hefte später machte Bastei aus Jerry Cotton eine eigenständige Serie. Die Person des Autors Delfried Kaufmann blieb jahrelang streng geheim – der Verlag sprach vage von einem «Waschmittelvertreter Herr K.» –, und vor allem nicht allein: Die Welt wollte Woche für Woche ein neues Jerry-Cotton-Abenteuer sehen, und bis heute haben 100 oder je nach Quelle gar bis zu 180 Autoren nach minuziösen Verlagsvorgaben Jerry Cottons geschrieben – Vorgaben deswegen, weil Jerry nicht jedesmal andere Freunde und Kollegen haben sollte. (Feinde dagegen schon, aber die – das liegt in der Natur des Groschenkrimis – überlebten in der Regel das aktuelle Heft nicht, auf jeden Fall nicht in Freiheit.)

Dem Vertreter Delfried Kaufmann war die Figur eines FBI-Ermittlers auf einem Spaziergang mit seinem Freund, dem Autor Kurt Reis, eingefallen. Ein Held sollte er nicht sein, eher eine Parodie, eine «Juxfigur Jeremias Baumwolle». Der Welt und den Kiosken aber stand der Sinn nicht nach Witz, sondern nach blutigem Ernst. Jerry Cotton Nummer 2690 heisst «Eiskalt und ohne Skrupel». Killerin Hester endet hinter Gittern, und Jerry Cotton, mittlerweile in seinen besten Jahren, bleibt unsterblich.

Diderot, Denis

Denis Diderot war Literat. Philosoph. Universalgelehrter. Doch sein einflussreichstes Medium waren nicht Roman oder Kampfschrift, sondern vielmehr ein Lexikon. So etwas wie die «Encyclopédie» hatte die Welt des Ancien Régime nie gesehen: 17 Bände, 72 000 Artikel über die Wissenschaft, die Künste, die Berufe, über das gesamte Wissen der Zeit. Diderot trug allein 6000 Artikel bei; die restlichen stammen von 142 Wissenschaftlern aus ganz Europa, aber auch von einfachen Berufsleuten wie Buchdruckern oder Uhrmachern.

Die ersten Bände erschienen 1751, und die Leser waren begeistert. Juristen, Ärzte, Beamte, Ingenieure – alle kauften und verschlangen sie die druckfrischen Seiten. Denn die «Encyclopédie» warf ein völlig neues Licht auf die Welt: Wissenschaft statt Glaube, Vernunft statt Hörensagen, Erkenntnis statt Obrigkeitsgläubigkeit: Das war ein Frontalangriff auf das Primat der Kirche und das Gottesgnadentum der Könige. Rasch zog sich Diderot den Zorn der Mächtigen zu. Schon vor Erscheinen der ersten Bände sass er monatelang in Haft. Er wurde vorsichtig und begann, seine radikalen Ansichten in frechen Anmerkungen zu verstecken: Unter «Menschenfresserei» etwa steht der sarkastische Hinweis: «Siehe auch unter Eucharistie, Kommunion, Altar etc.».

Die Enzyklopädie war das Fundament, das den mächtigen Bau der Aufklärung erst möglich machte. Ihr Anspruch war enorm: Sie sollte, so schrieb Diderot unter dem Stichwort «Encyclopédie»,

(…) die auf der Erde verstreuten Kenntnisse sammeln und sie den nach uns kommenden Menschen überliefern, damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern auch tugendhafter und glücklicher werden, und damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdient gemacht zu haben.

Dr. Seuss

1. Oktober 1941. Die Karikatur der New Yorker Zeitung «PM» zeigt eine Mutter mit ihren beiden Kindern. Sie trägt einen Pullover mit der Aufschrift «America First», sitzt im Sessel und liest aus dem Buch vor mit dem Titel: «Adolf the Wolf»:

Und der Wolf frass die Kinder und spie ihre Knochen aus. Es waren Ausländerkinder, und darum war das nicht so schlimm.

Dieser rabenschwarze Cartoon stammt von Dr. Seuss, mit bürgerlichem Namen Theodor Seuss Geisel und von Beruf Kinderbuchautor. Dr. Seuss, 1904 in Springfield, Massachusetts, geboren, ist vor allem bekannt als Erfinder des grünen Grinch, der in einer Höhle lebt und Weihnachten hasst, aber tatsächlich war Seuss ein durch und durch politischer Mensch. Seine Cartoons für «Vanity Fair», «Life» und «PM» richteten sich immer wieder gegen die ausländerfeindliche Bewegung mit ihrem Slogan America first, die das Heil Amerikas in wirtschaftlichem Protektionismus und aussenpolitischem Isolationismus sah. Mit diesem Slogan hetzten in den 1930er-Jahren die Zeitungen des Tycoons William Randolph Hearst gegen den neugewählten Präsidenten Franklin D. Roosevelt, und am Ende wurde America first gar zum Motto amerikanischer Nazi-Sympathisanten.

From this day forward, it’s going to be only America first, America first.

Als Donald Trump am 20. Januar 2017 in seiner ersten Rede als Präsident America first zur Leitidee erhob, rief er damit Erinnerungen an dunkelste Stunden der Weltgeschichte wach, gegen die der Cartoonist Dr. Seuss ein halbes Leben lang angezeichnet hatte.

Dürrenmatt, Friedrich

«Eine Geschichte», schrieb Friedrich Dürrenmatt 1961, «ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat». So steht es in den viel diskutierten «21 Punkten zu den Physikern». Der Satz war Programm: Dürrenmatts Stücke führen kunstvoll und konsequent zum bitteren Ende, was auch nur irgendwie zum bitteren Ende geführt werden kann.

Dürrenmatt ist der Meister der gnadenlosen Konsequenz, und seine Stücke sind eigentliche Deklinationen des Tragischen. Und dennoch: Ihre Überspanntheit macht sie weniger zu Tragödien als vielmehr zu Satiren. Dürrenmatt hat einen ausgeprägten Sinn fürs Komödiantische, fürs Groteske. Seien es die genialisch-irren Physiker oder der Hühner züchtende Faun Romulus: Immer drängt das Drama zum Schwank.

Dürrenmatts Stücke gewinnen da an Tiefe, wo sie über das Plakative und das Komische hinaus ragen: «Der Besuch der Alten Dame» mit deren unmoralischem Milliardenangebot wird nicht deshalb zur Weltenbühne, weil Güllens Bewohner den Filou Alfred Ill am Ende tatsächlich dem Tod überlassen, sondern wegen des leisen, unaufhaltsamen Übergangs von moralischer Entrüstung zur unverhüllten Gier in Dialogen, die geradezu beängstigend an Stammtischdebatten oder Gemeinderatssitzungen gemahnen.

Friedrich Dürrenmatt war und bleibt ein überragender Theaterautor. Wo er seine traurigen Helden mit unbarmherzigem Scharfblick in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt, wo uns das Lachen im Hals stecken bleibt, genau da bleibt der Stückeschreiber Dürrenmatt von einer beklemmenden Modernität.

Farinet, Joseph-Samuel

Es gibt zweieinhalb Wege, um zu Geld zu kommen: arbeiten oder stehlen. Der dritte, es zu fälschen, ist bestenfalls ein halber, und wer ihn geht, steht mit einem Bein im Gefängnis.

Einer, der diesen Weg unverdrossen und mit grossem Geschick gegangen ist, war der 1845 im Aostatal geborene Bauernsohn Joseph-Samuel Farinet. Zusammen mit seinen Gehilfen fälschte Farinet nicht etwa Banknoten, wie dies die meisten seiner Berufskollegen tun, sondern vielmehr 20-Rappenstücke. Aus gutem Grund: Zum einen waren in den 1870-er Jahren 20 Rappen gutes Geld, und zum anderen genossen die Münzen das Vertrauen der Händler und Bauern, ganz anders als das Papiergeld der wegen Fehlspekulationen in Schieflage geratenen Walliser Kantonalbank.

Mehr als zehn Jahre lang brachte Farinet so viele 20-Räppler in Umlauf, dass am Ende ein Drittel aller Münzen sogenannte Farinets gewesen sein sollen. Von der schieren Menge an Falschgeld alarmiert, griff schliesslich der Bundesrat ein und verlangte von der Walliser Regierung die Festnahme des dreisten Falschmünzers. In einer Schlucht bei Saillon in die Enge getrieben, fand Farinet am 17. April 1880 den Tod – ausgerutscht und in die Tiefe gestürzt, behauptete die Polizei; kaltblütig erschossen, erzählten sich dagegen die Dörfler.

Literatur und Film haben Farinet ein Denkmal als «Robin Hood der Alpen» gesetzt, doch die Wahrheit ist viel prosaischer. Sein Leben war eine einzige Flucht: vor dem Elend und vor dem Gesetz.