Kader

All animals are equal – alle Tiere sind gleich, erklären die Schweine in George Orwells satirischem Roman «Animal Farm». Das sind Menschen auch: vor dem Gesetz und vor der Grippe. Wenn es aber um Einfluss und Einkommen geht, dann hört jede Gleichheit auf. Dann treten sie auf den Plan: die Kader, die Kaste der Führenden in Wirtschaft, Technik, Politik, Militär und Sport.

Kader
Kader
Ein Franzose, der sich über die Rüge seines Vorgesetzten ärgert und ihn insgeheim une tête carrée nennt, hat recht. Das hat nicht etwa mit einer Verunglimpfung der Kader zu tun, sondern allein mit der Herkunft des Wortes. «Kader» kommt vom französischen cadre, Rahmen, Einfassung. Cadre bedeutete im 19. Jahrhundert eine erfahrene Heeresabteilung, eine gut trainierte Sportmannschaft. Der Ursprung ist das lateinische quadrus, viereckig. Kader und Quader sind also enge Verwandte, und wenn Deutsche ihre unbeliebten Chefs «Quadratschädel» nennen, dann stehen ihnen die Engländer mit blockhead in nichts nach.

Ganz besonders beliebt waren Parteikader, Armeekader, ja selbst Reisekader ausgerechnet im Reich des Proletariats, in der Sowjetunion. Doch auch wenn der Sowjetkommunismus ausgedient hat – die Kader, wie sie übrigens auch auf russisch heissen, sind alles andere als Auslaufmodelle. Selbst in der durch und durch republikanischen Schweiz werden Kader gleich in hellen Scharen herangezogen: Die Telefonbücher listen allein hierzulande gegen zweitausend Kaderschulen auf.

Warum der Kaderberuf so ungemein attraktiv ist? Auch das wussten George Orwells Schweine schon. Alle Tiere sind gleich. Aber einige sind eben gleicher als alle anderen.

Ketzer

Von den Ketzern sagt man, dass sie den Hintern von Katzen küssen, damit ihnen in deren Gestalt Luzifer erscheine.

Dies schreibt im 12. Jahrhundert der französische Theologe Alain de Lille. Dass «Ketzer» von «Katze» kommt, war dabei ebenso kreuzfalsch wie die bösartige Unterstellung, dass die Andersgläubigen den Teufel anbeteten. Denn das Wort «Ketzer» kommt vom den Katharern, von griechisch katharoi, «die Reinen». Der Katharismus war eine mächtige religiöse Laienbewegung, die vom 12. bis zu ihrem Untergang im 14. Jahrhundert vor allem in Südfrankreich glühende Anhänger fand. Eine ihrer Hochburgen war die Stadt Albi, weshalb die Katharer auch Albigenser genannt wurden.

Sie selbst nannten sich «veri christiani» oder «bonshommes», «die wahren Christen» und «gute Menschen». Die Katharer glaubten an eine strikte Zweiteilung der Welt, in eine von Gott geschaffene, ewige, spirituelle Welt und eine materielle, von Verfall gezeichnete, die vom Teufel beherrscht wird. Sie waren Asketen: Die Strenggläubigen, Männer und Frauen, die dem inneren Kreis angehörten und «perfecti» oder «perfectae» genannt wurden, führten ein entbehrungsreiches Leben – vegetarische Kost, keine Sexualität, keine Ehe.

Die zentrale Schrift der Katharer war das Johannesevangelium, das alte Testament lehnten sie als Beschreibung eines bösartigen Schöpfergottes ab. Und sie besassen ihre eigene Hierarchie. Damit zogen sie den Zorn der römisch-katholischen Kirche auf sich. 1179 wurden sie offiziell exkommuniziert, und dreissig Jahre später begann der Albigenserkreuzzug, ein Massaker im Namen der Inquisition. Die mächtigen Katharerfestungen wurden belagert, eine um die andere eingenommen, die Gläubigen zu Tausenden hingemetzelt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Kirsche

Die Kirsche gehört zur Schweiz wie das Fondue und die Schokolade. Der Baum heisst auf Wissenschaftslatein prunus avium, was auf Deutsch «Vogelkirsche» heisst, weil Vögel die Früchte genauso mögen wie wir Menschen. Der Kirschbaum ist anspruchslos und gedeiht auch in höheren Lagen. Auf 450 Hektaren, umgerechnet der Fläche eines kleineren Dorfs, werden in der Schweiz jährlich über 3000 Tonnen Tafelkirschen geerntet; dazu kommen noch mehr Industrie- und Brennkirschen, die zu Konserven oder zu Schnaps verarbeitet werden.

Mit Schweizer Bauern ist gut Kirschen essen, und das haben wir dem Römer Lucius Licinius Lucullus zu verdanken. Lucullus, ein Zeitgenosse Cäsars und Ciceros, war nicht nur Feinschmecker, sondern vor allem Soldat. Sein Erzfeind hiess Mithridates, seines Zeichens Herrscher über das Königreich Pontos am Schwarzen Meer. General Lucullus marschierte im Jahr 74 v. Chr. mit einem römischen Heer nach Osten, wo er Mithridates binnen weniger Jahre vernichtend schlug.

Aus Pontos brachte Lucullus gewaltige Reichtümer mit. Zwischen all den Schätzen und Gefangenen, die der General beim Triumphzug durch die Strassen Roms zur Schau stellte, befanden sich auch geheimnisvolle Bäumchen aus der Stadt Giresun, deren cerasi genannte Früchte sich die Legionäre keck über die Ohren hängten. Die Bäumchen waren ein grosser Erfolg: In den folgenden 120 Jahren, so berichtet Plinius der Ältere in seiner «Historia Naturalis», breiteten sie sich über ganz Europa und bis nach Britannien aus. Und aus den exotischen cerasi, der Kriegsbeute eines römischen Feldherrn, sind unsere Kirschen geworden.

Latènezeit

Der Bieler Oberst Friedrich Schwab war vermögend – und ein begeisterter Sammler. In seinem Auftrag suchte der Fischer Hans Kopp 1857 am Neuenburgersee nach archäologischen Fundstücken. Schon früher waren da immer wieder Überreste prähistorischer Siedlungen entdeckt worden. Am Ausfluss der Zihl, in der heutigen Gemeinde La Tène, stiess Kopp unverhofft auf Pfähle, die aus dem flachen Seegrund ragten. Mit langen Zangen gelang es ihm, in nur einer Stunde vierzig erstaunlich gut erhaltene Eisenwaffen aus dem Wasser zu ziehen. Sie stammten aus dem 3. und 2. Jh. v. Chr., einer Zeit, in der die Kelten die Gegend besiedelt hatten.

Und das war nur der Anfang: Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. wurden am See grossangelegte Grabungen durchgeführt. Dabei entdeckten Archäologen Tausende Fundstücke: Waffen – Schwerter und Schwertscheiden, Dolche, Lanzenspitzen und Schilde –, daneben auch Schmuck, Werkzeug und Kessel. Im feuchten Boden hatte sich nicht nur Metall erhalten, sondern sogar Holz, Textilien und Flechtwerk.

Doch was um Himmels willen hatte sich da einmal befunden? Die Spekulationen reichten vom Pfahlbauerdorf, einer Fluchtburg, einer Zollstation und einem Waffenlager bis hin zum Heiligtum. Heute dagegen glauben Forscher, dass sich in La Tène einst ein Kriegerdenkmal befunden hat, in dem die Waffen einer wichtigen Schlacht zur Schau gestellt wurden.

Was der Fischer Hans Kopp in La Tène entdeckte, war für die Wissenschaft so bedeutend, dass heute die jüngere Eisenzeit in Europa ganz einfach «Latènezeit» genannt wird.

Lazarett

Die alte Republik Venedig war nicht nur eine Grossmacht des Mittelalters, sondern auch eine Vorreiterin in Sachen öffentliche Gesundheit. Im 14. Jahrhundert erfanden die venezianischen Behörden nicht nur die Quarantäne, die vorsah, dass mit der Pest in Berührung gekommene Reisende 40 Tage lang isoliert werden sollten («Quarantäne» kommt von der biblischen Zahl 40); aus Venedig stammt auch das Lazarett, in das sie anschliessend gebracht wurden, wenn sie vor Ablauf der «quarantena» höllische Kopfschmerzen, glühendes Fieber und dunkle, eitrige Beulen bekamen.

Der «Lazzaretto Vecchio», 1423 gegründet, war ein Pestspital auf einem 220 Meter langen und 145 Meter breiten Inselchen, in sicherer Distanz vom Stadtkern entfernt. Hier stand die Kirche Santa Maria di Nazareth, von deren Namen angeblich unser heutiges Lazarett abstammen soll. (Tatsächlich aber kommt der Name vom heiligen Lazarus und vom italienischen Wort für Aussätzige, lazzaro.) Mit einem heutigen Spital hatte dieses Ur-Lazarett wenig zu tun. Die Ärzte wusste noch nichts von Ansteckungswegen oder Pestbakterien und führten die Seuche auf ein Ungleichgewicht der Körpersäfte und auf stickige, modrige Lüfte zurück. Behandeln hiess waschen, zu Ader lassen und allem voran isolieren.

Heute ist das Lazarett ein Behelfsspital in Krisengebieten oder im Krieg, und seit 1949 steht es laut den Genfer Konventionen unter strengem völkerrechtlichem Schutz. Im 14. Jahrhundert dagegen war das Lazarett vor allem ein Ort zum Sterben: Seit 2007 haben Archäologen auf Venedigs flacher Pestinsel mehr als 1500 Skelette geborgen, die man dort in Einzel- und Massengräbern verscharrt hatte. Der «Lazzaretto Vecchio» ist heute unbewohnt und dient nur noch als Tierheim für streunende Hunde.