Lucullus, Lucius Licinius

Lucius Licinius Lucullus, ein Zeitgenosse Cäsars und Ciceros, war Soldat. Sein Erzfeind hiess Mithridates, seines Zeichens Herrscher über das Königreich Pontos am Schwarzen Meer. Die pontische Streitmacht war gefürchtet – wegen ihrer Kriegsflotte und ihrer schlagkräftigen Kavallerie. General Lucullus marschierte im Jahr 74 v. Chr. mit einem römischen Heer nach Osten, wo er Mithridates binnen weniger Jahre vernichtend schlug.

Der Ruhm und die gewaltigen Schätze, die Lucullus während seines Kleinasien-Feldzugs angehäuft hatte, weckten Neid. Eine von Rom geschürte Meuterei und eine Intrige im Senat führten am Ende zur schmachvollen Absetzung. Vor den Toren Roms wartete Lucullus jahrelang verbittert auf den ihm zustehenden Triumphzug, baute in der Zwischenzeit Luxusvillen und legte riesige Gärten an. In Neapel liess er Verliese in den Fels schlagen, in denen Dutzende pontischer Kriegsgefangener vor sich hin vegetierten, weil Lucullus sie dem Volk vorzuführen und anschliessend zu erdrosseln gedachte.

Glorreicher General und schwerreicher Gastgeber: Die Gastmähler des Lucullus – von Diners zu sprechen, wäre eine krasse Untertreibung – dienten weniger dem Stillen des Hungers als vielmehr der Selbstdarstellung. Je exklusiver die Speise (jede erdenkliche Art von Gemüse, Fisch und Fleisch, bis hin zu Pfauenhirnragout oder gebratenen Flamingozungen), desto höher der Status des Gastgebers. Lucullus war auch der allererste, der die damals noch unbekannten Kirschbäume importieren und anpflanzen liess. Und so steht sein Name heute für Luxus in einem Ausmass, von dem das gemeine Volk nicht einmal zu träumen wagte.

Murphy’s Law

Es scheint ein Gesetz zu sein. Und es lautet: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein fallendes Butterbrot auf seiner Butterseite landet, ist proportional zum Wert des Perserteppichs. Das ist Murphy’s Law. In aller Kürze und englisch: shit happens.

Murphys Gesetz kennen wir alle. Und es ist so alt wie die Menschheit. Da gibt es zum Beispiel den englischen Vers, den eine Zeitung in Ohio 1841 abdruckte:

I never had a slice of bread – particularly large and wide
That did not fall upon the floor – and always on the buttered side.

Wieder das fallende Butterbrot, aber das kennen Sie ja schon. Eine andere Version von Murphys Law, so fand die American Dialect Society heraus, stammt vom Ingenieur Alfred Holt. Der erklärte 1877 an einer Konferenz: Alles, was auf hoher See schiefgehen kann, wird früher oder später schiefgehen.

Murphys Namen trägt das Gesetz seit 1949. Da arbeitete Captain Edward A. Murphy auf der Edwards Luftwaffenbasis in Kalifornien. Als Ingenieur war er für das Projekt MX 981 zuständig, das messen sollte, wieviel Bremskraft ein Mensch aushalten kann, dann etwa, wenn er mit dem Schleudersitz aus einem Jet katapultiert wird. Er liess einen Schimpansen auf eine Zentrifuge schnallen, beschleunigte, bremste und stellte fest – Ergebnis: null. Die Messgeräte zeigten nichts an. Grund: Sie waren von einem Techniker genau falschherum verkabelt worden. Und Murphy stellte fest: Was für fallende Butterbrote gilt, gilt auch für wissenschaftliche Experimente.

Ob das nun die wahre Geschichte von Murphys Law ist? Wer weiss das schon. Immerhin stand sie zwar auf der offiziellen Website der Edwards Air Force Base. Aber wahr? Auch die Airforce scheint Zweifel zu haben. Im Januar 2007 wurde die nette Anekdote sang- und klanglos gelöscht.

Nelson, Horatio

Horatio Nelson war krank, oft und heftig – Zeit seines Lebens litt Englands berühmtester Admiral ausgerechnet an der Seekrankheit.

Und doch sollte die See seine Heimat werden. Sohn eines Reverend, lernte er schon als Bub segeln, und mit nur 12 Jahren heuerte er wie viele andere bei der Royal Navy an, nicht als Bootsjunge, sondern – weil sein erster Kapitän ein Onkel war – gleich als Midshipman und damit Offiziersanwärter. Nelsons offenkundiges Talent und die Protektion seines Onkels waren die steife Brise in den Segeln seiner Karriere.

Die Klippen waren gesundheitlicher Natur. Einmal zwang die Malaria Nelson von Bord, später das Gelbfieber, schliesslich Holzsplitter, die sich beim Treffer einer französischen Festungskanone in sein rechtes Auge gebohrt hatten, am Ende eine spanische Musketenkugel, die eine Amputation seines rechten Arms nötig machte.

Dennoch kletterte Nelson die Wanten von Militär und Adel hoch, wurde Vizeadmiral und Graf, als königlicher Dank für eine ganze Reihe gewonnener Gefechte.

Seine letzte, vier Stunden dauernde Seeschlacht schlug Nelson 1805 an Bord seines Flaggschiffs «HMS Victory» am Kap Trafalgar. Überragender Taktiker, der er war, brachte er den vereinigten Flotten Frankreichs und Spaniens eine vernichtende Niederlage bei. Auf Deck von einem französischen Scharfschützen getroffen, starb der Admiral, kurz nachdem man ihm von seinem überwältigenden Sieg berichtet hatte.

Damit der Leichnam nicht zerfiel, wurde Nelson in einem vollen Brandyfass nach London zurückgebracht. Sein Grab liegt in der St. Pauls Cathedral, sein Denkmal am Trafalgar Square, sein Schiff im Trockendock in Portsmouth. Unter Deck: noch immer das geschichtsträchtige Fass.

Panorama

Thun, 1809: Der junge Mann, das Gesicht voller Rasierschaum, setzt gerade das Rasiermesser an. Nebenan flicht eine Frau ihr Haar, derweil ihr die Magd das Schürzenband zu einer Schleife bindet. Es sind zwei von zahllosen Details auf einem gigantischen, über die Massen realistischen Gemälde, das uns einen Augenblick im Alltag des Städtchens vor Augen führt. Gigantisch, in der Tat: Das 360-Grad-Panoramabild, vom Basler Marquard Wocher gemalt, ist 7,5 Meter hoch und sage und schreibe 38 Meter breit. In einem eigenen Rundbau in Thun ausgestellt, bietet es einen atemberaubenden Blick über Schloss, Alpenkette und Umland und lässt den Betrachter in belebte Gassen und gar in die Fenster blicken. Die perfekte Illusion.

Es war kein geringes Wagnis, das Wocher auf sich nahm. Der Aufwand war enorm: Auf einem Dach hatte er sich eine hölzerne Plattform bauen lassen, von der aus er Unmengen von Skizzen anfertigte. Zurück in Basel, malte er fünf Jahre lang, ohne jede Hilfe, das grösste Bild seines Lebens.

Das gemalte Panorama ist ein Kind der industriellen Revolution und ein Massenmedium der ersten Stunde. Das aufstrebende Bürgertum suchte Unterhaltung und Illusion. Reisen war kaum erschwinglich, und Rundum-Panoramen machten es möglich, Unerreichbares zu erleben. Besonders beliebt war Geschichte: Von den fünf erhaltenen Panoramen der Schweiz zeigt eines die Schlacht bei Murten 1476, ein anderes den Grenzübertritt der 87 000 Soldaten der Bourbaki-Armee im Jura 1871.

Das beschauliche Thun-Panorama konnte da nicht mithalten. Eine Weile in Basel ausgestellt, fand es trotz Publikumserfolgen am Ende keinen Käufer. Maler Wocher starb 1830 in bitterer Armut.

Razzia

Grosseinsatz der Polizei, Waffen und Drogen beschlagnahmt, Mafiosi in Haft. Und wieder berichten die Medien über eine erfolgreiche Razzia. Ein sperriges Wort: «Razzia» kommt aus dem Arabischen und bedeutet ursprünglich «Schlacht» oder «Raubzug».

Streng genommen war die Razzia bei den Beduinen eine Sache der Gesetzesbrecher, nicht seiner Hüter. Wenn nach einer winterlichen Dürre oder einer Viehseuche die Kamele verendeten und der Proviant knapp wurde, unternahmen Krieger kurze Überfälle auf feindliche Sippen oder Stämme. Sofern eine solche Razzia nicht im Schutz der Nacht geschah und nach bestimmten Regeln ablief, galt sie nicht als ehrenrührig, ganz im Gegenteil: Den Moralvorstellungen der Wüste zufolge waren solche Razzien gleichsam sportliche Wettkämpfe, deren Teilnehmer Blutvergiessen nach Möglichkeit vermieden und deren Preis die Beute war. Sogar die Feldzüge des Propheten Mohammed auf der arabischen Halbinsel werden vom muslimischen Geschichtsschreiber Ibn Ishaq im 8. Jh. als غزوة, als «Beutezug», bezeichnet.

1830 begann die Kolonialmacht Frankreich mit der Eroberung Algeriens, und so hielt die Razzia Einzug ins militärische Vokabular, als Begriff für blutige Vergeltungsschläge gegen aufrührerische Berberstämme, die von einem grossarabischen Reich träumten und die französischen Soldaten mit Waffengewalt aus Algerien vertreiben wollten.

Wüstenkodex und Kolonialismus sind Geschichte. Heute gehört die Razzia nur noch in den Polizeijargon – und in die vermischten Meldungen.