Skara Brae

Der Wind und die Gischt gehören zu Orkney, der Inselgruppe nördlich von Schottland, wie das Salz zum Meer. Sie sind schuld daran, dass hier keine Bäume wachsen. Und das ist ein Segen.

Denn Menschen pflegen mit dem zu bauen, was sie haben. In waldigen Mitteleuropa war das Holz, und bis auf Stümpfe im Seegrund, die von Pfahlbauern zeugen, ist von Bauten der Jungsteinzeit kaum etwas übrig geblieben.

Auf Orkney ist das anders. Hier bauten die Menschen vor 4500 Jahren mit Stein, dem feinkörnigen, rötlichen Sandstein, der sich dank seiner Schichtung leicht in ebene Platten spalten lässt. Und so hat auf Orkney ein ganzes Dorf aus der Jungsteinzeit überdauert – perfekt erhalten, fast so, als sei es gestern erst von seinen Bewohnern verlassen worden. Skara Brae wird das Dorf genannt, und dass es überhaupt entdeckt wurde, ist wieder dem Wetter zu verdanken. Nachdem die Mauern jahrtausendelang von einer Sanddüne bedeckt waren, riss im Winter 1850 ein schwerer Sturm Teile der Küste ins Meer, und erste Umrisse wurden sichtbar.

Skara Brae ist heute ausgegraben und konserviert. Die Siedlung besteht aus insgesamt neun Häusern und einer Werkstatt, deren Dächer zwar fehlen, deren Inneneinrichtung jedoch gut erhalten ist: Bettkästen, Wandnischen, Feuerstellen, Hausaltäre und rechteckige Wassertanks, in denen die Napfschnecken frisch gehalten wurden, die man als Köder zum Fischen benötigte. Die Bewohner fingen Dorsche, hielten Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine, bauten Gerste an und buken Brot. Und lebten in ihren wind- und wasserdichten, gut beheizten Steinhäusern so behaglich, wie das möglich war – gänzlich unbehelligt von Sturm und Gischt, die noch vorher da waren.

Spaghetti

Heisses Wasser, etwas Salz und eine Handvoll Spaghetti: Pasta, so könnte man sagen, sind das erste Fertiggericht der Geschichte.

Einer sehr langen Geschichte. Teigwaren stammen aus dem nördlichen China. Am Ufer des Gelben Flusses fanden Archäologen einen 4000 Jahre alten Topf, in dem sich noch Reste von Spaghetti befanden. Eine gigantische Flut hatte das jungsteinzeitliche Dorf überrollt, mit Mann und Maus und mitsamt dem Spaghettitopf, der kopfüber im Schlamm steckenblieb. In seinem Inneren bildete sich ein Vakuum, in dem die Teigwaren aus Hirsemehl überdauerten – bis zum Augenblick ihrer Entdeckung: Mit dem Ausgraben des Topfs gelangte das Jahrtausende alte Nudelknäuel an die frische Luft. Den Forschern blieb gerade genug Zeit, diese Ur-Spaghetti zu fotografieren; danach zerfielen sie vor ihren Augen zu Staub.

Nach Italien gelangten die Pasta lange vor Christi Geburt. In Gräbern der Etrusker, einem Volk in Norditalien, das später im römischen Reich aufging, finden sich farbenprächtige Fresken, die Nudelbrett, Nudelholz und Mehlsäckchen zeigen. Im 12. Jahrhundert, so berichtet der muslimische Geograph al-Idrisi, wurden auf Sizilien itryya bereits in grossen Mengen hergestellt. Itryya, in süditalienischen Dialekten trie, waren fadenförmige Spaghetti aus Hartweizen, die getrocknet und später in Salzwasser gekocht wurden.

Im vorindustriellen Italien waren Spaghetti eine Delikatesse, die, weil sehr aufwändig, grossen Festen vorbehalten war. Erst die maschinelle Verarbeitung des Nudelteigs machte aus den Teigwaren, was sie heute sind: eine Mahlzeit auf die Schnelle.

Spitzmaus

Die Spitzmaus ist gar keine Maus: Sie zählt nicht zu den Nagetieren, sondern zu den Insektenfressern und ist damit eine Verwandte des Maulwurfs. Es gibt Hunderte von Arten, doch nur 10 leben auch in Mitteleuropa. Mit zwischen 5 und 10 Zentimetern ist die Spitzmaus klein, und sie ist sehr anpassungsfähig. Sie lebt an Land und im Wasser. Landspitzmäuse markieren ihr Territorium mit einem penetranten Duft (weshalb sie zwar von Katzen gefangen, aber nicht gefressen werden); Wasserspitzmäuse haben an den fünf Zehen ihrer Füsschen eine Art Schwimmhaut aus Borsten.

Für gewöhnlich ändern sich Körpermasse von Tieren nicht mehr, sobald sie ausgewachsen sind. Bei der Spitzmaus ist das anders. Organe und sogar Knochen beginnen sich auf den Winter hin zurückzubilden; im Februar wachsen die Tiere wieder. Das hat seinen Preis: Weil auch das Spitzmaushirn im Winter kleiner ist, sind die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Ausserdem wachsen die Tiere nicht so stark, wie sie vorher geschrumpft sind; sie sind im Frühling also etwas kleiner als vor dem Winter – ein enorm entbehrungsreicher Prozess, der zeigt, wie anpassungsfähig Säugetiere sein können.

Bleibt die Frage, warum die Spitzmaus so heisst, obwohl sie keine ist. 1942 beschloss die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde, die Spitzmaus in die ältere Bezeichnung «Spitzer» umzubenennen. Als Adolf Hitler davon in der Zeitung las, bekam er einen Wutanfall und liess den Zoologen befehlen, diese «derartig blödsinnige Umbenennung» unverzüglich wieder rückgängig zu machen – unter Androhung längerer Aufenthalte «in Baubataillonen an der russischen Front». Weshalb die Spitzmaus bis heute Spitzmaus heisst.

Zehnt

Der Zehnt ist die älteste Steuer der Geschichte. Und dass es 10 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge sein sollten, steht schon in der Bibel:

Von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben,

verspricht Jakob, nachdem er im Traum die Himmelsleiter und die auf- und absteigenden Engel gesehen hat. Der Zehnt war seit jeher in vielen Kulturen bekannt und wurde vom frühen Christentum übernommen. Der Kirchenzehnt war für den Unterhalt des Pfarrers bestimmt, später zusätzlich auch des Bischofs, für Kirchenverwaltung, Schul- und Armenwesen. Im Jahr 1140 legte der in Bologna lehrende Kirchenrechtler Gratian erstmals ein formelles Regelwerk für den Zehnten fest.

Der Zehnt, das waren längst nicht immer 10 Prozent. Je nach Qualität des Ackerlandes konnte er bis zu einem Drittel betragen; gelagert wurde er in den sogenannten Zehntscheunen, nach der Kirche oft das grösste Gebäude im Dorf. Beim Erfinden von Zehnten war die Kirche ziemlich kreativ. Es gab den Grosszehnten auf Getreide und Grossvieh, den Kleinzehnten (andere Feldfrüchte), den Fruchtzehnten (Obst, Gemüse), den Weinzehnten, den Heu-, Holz- und Fleischzehnten. Auf frisch gerodetes Ackerland stand der Neubruchzehnt, auf Bergwerke der Bergzehnt, neue Kreuzzüge wurden mit dem (zeitlich befristeten) Kreuzzugszehnt finanziert.

Mit dem Einmarsch Napoleons 1798 wurde der Zehnte kurzzeitig abgeschafft, nur um kurz darauf aufs Neue eingeführt zu werden. Seine endgültige Ablösung durch staatliche Steuern zog sich über Jahrzehnte hin und verlief, ganz nach gutschweizerischer Manier, von Kanton zu Kanton verschieden.

Zwetschge

In einem Schweizer Obstgarten stehen Kirsch-, Apfel- und Birnbäume – und ganz bestimmt ein Zwetschgenbaum. Dieser Tage erfreut sich der grosser Beliebtheit: Am Ende des Sommers werden die Zwetschgen geerntet, und einer alten Schweizer Tradition zufolge kommt am eidgenössischen Buss- und Bettag, dem jeweils dritten Sonntag im September, ein Zwetschgenkuchen auf den Tisch.

Was wir da zwar mit viel Genuss, aber wenig Wissen verzehren, ist ein eigentliches Wunderwerk der Natur. Der Baum zählt wie alle anderen Obstbäume zur grossen Familie der Rosengewächse. Zwetschgenholz ist dunkel und hart – die Farbe geht dabei von dunklen Brauntönen bis ins Violette – und eignet sich ausgezeichnet für Schmuck, Einlegearbeiten oder Musikinstrumente. Die Zwetschge, je nach Region auch Quetsche oder Bauernpflaume genannt, ist etwas spitzer, fester und kleiner als die eng verwandte Pflaume. Und der Zwetschgenkern lässt sich wesentlich leichter aus dem Fruchtfleisch lösen. Zwetschgen sind natürliche Abführmittel, und sie enthalten eine Menge Beta-Carotin und Kalium. Ihre Haut ist glatt und hat einen Belag, den so genannten Duftfilm, der aus einem natürlichen Wachs besteht.

Das Rezept für einen Zwetschgenkuchen nach Schweizer Art ist denkbar einfach: Teig, reichlich Zwetschgen, dazu Rahm, Eier, Zucker und geriebene Haselnüsse. Allerdings: Mit dem Namen ist das schon schwieriger. Das Wort Zwetschge kommt, genau wie das englische damson, vom lateinischen prunus damascunum, auf Deutsch Damaszenerpflaume. Damaskus war das antike Zentrum des Pflaumenhandels. Im zweiten Jahrhundert vor Christus kam die Zwetschge von Syrien über Griechenland nach Europa.

Und seither, am Ende des Sommers, auch hierzulande auf den Tisch.