Serviette

Wenn’s um Tischmanieren geht, waren die alten Römer Barbaren. Im «Gastmahl des Trimalchio», das uns der römische Dichter Titus Petronius in seinem Roman «Satyricon» vor Augen führt, tragen Dutzende Sklaven die erlesensten Speisen auf: In Honig und Mehl gebackene Haselmäuse, mit lebendigen Drosseln gefüllte Kuchenteigschweine und in Pfeffersauce schwimmenden Bratfisch. Unerlässliches Requisit dieses Inbegriffs der Dekadenz: Die lateinische mappa, die Serviette. Genaugenommen waren es deren zwei: Die grössere diente dazu, die mit teuren Stoffen bezogene Liege vor Flecken zu bewahren, die kleinere wurde in der linken Hand gehalten und diente als Mundtuch.

Mit Rom ging im 5. Jahrhundert auch die Serviette unter. Im dunklen Mittelalter pflegte man sich den Mund mit dem Ärmel und die Finger mit dem Tischtuch abzuwischen. Erst im 16. Jahrhundert entdeckte der Adel die Serviette neu. Das französische Wort bedeutet wörtlich «kleine Dienerin», und tatsächlich pflegten Bedienstete mit dem «Tellertuch», wie es auf Deutsch hiess, das Gedeck der hohen Gäste abzuwischen.

Ob Damast, Leinen oder Papier: Ohne Serviette nehmen wir heute keinen Happen mehr zu uns. Bei McDonald’s gibt’s zum Burger gleich ein halbes Dutzend davon. Meistens jedenfalls: Der 59-jährige Webster Lucas hatte Anfang 2014 zu seinem Big Mac eine einzige Papierserviette erhalten; eine zweite sei ihm, seiner Hautfarbe wegen und «aus rassistischen Gründen», verweigert worden. Einen Gratis-Burger zur Beschwichtigung schlug Lucas aus und verklagte McDonald’s stattdessen auf Schadenersatz. Im Umfang von 1,5 Millionen Dollar.

Smiley

Er ist eine Ikone des Glücklichseins: der gelbe Kreis mit zwei Punkten und einem aufwärts gerichteten Bogen, den wir als strahlendes Lächeln interpretieren und der in der Notation Semikolon-Bindestrich-Klammer mittlerweile jeden zweiten Satz ziert.

«Emoticon» nennt man solch stilisierte Fröhlichkeit, und zur Welt kam der Smiley – korrekt übrigens mit -ey und nicht etwa mit -ie geschrieben – im Jahr 1953. Um den Kitschfilm «Lili» mit Leslie Caron in der Hauptrolle bekannt zu machen, schalteten die Verleiher handgezeichnete Inserate, die zur Untermalung des Versprechens «Today you’ll laugh, cry, love» von drei lachenden, weinenden und liebenden Ur-Smileys geziert wurden. Der moderne Smiley – gelber Kreis, ovale schwarze Augen, Grübchen – ist bereits die Version 2.0. Gezeichnet hat ihn im Dezember 1963 der amerikanische Kriegsveteran und Werbegrafiker Harvey Ball, in 10 Minuten und im Auftrag einer Versicherung, die nach einer feindlichen Übernahme mit lustigen Anstecknadeln das Betriebsklima wieder heben wollte. Die Anstecker verbreiteten sich epidemisch, von den Angestellten und deren Familien übers ganze Land.

Der gelbe Strahlemann wirbt heute für alles, wofür es sich zu werben lohnt und macht viele Menschen reich. Allen voran den französischen Unternehmensberater Franklin Loufrani: Der meldete 1971 ein leicht verändertes Grinsen zum Patent an, das er sich zur Kennzeichnung der guten Nachrichten seines Auftraggebers «France Soir» angeblich selbst ausgedacht hatte. Loufrani ist heute Multimillionär und hält die Smiley-Nutzungsrechte in über 80 Ländern.

Erfinder Harvey Ball dagegen ging bis zu seinem Tod 2001 leer aus. Das Honorar für seinen Ur-Smiley waren gerade mal 45 Dollar.

Spiegel

Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Mal für Mal bestätigt der Spiegel, die schönste aller Frauen sei sie. Schneewittchen wächst heran, bis der Spiegel endlich erkennt:

Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.

Das eigene Gesicht zu betrachten, ist dem Menschen nicht gegeben. Dazu ist eine spiegelnde Oberfläche nötig. Die Physik besagt, dass der Ausfallswinkel eines Lichtstrahls, der auf einen ebenen Spiegel trifft, genau so gross ist wie sein Einfallswinkel. Deshalb sehen wir jedes Detail, wie es ist – scheinbar, denn: Der Spiegel zeigt nie die Realität, sondern immer nur deren seitenverkehrte Reflexion. Diese Brechung hat die Menschen schon immer fasziniert: In der griechischen Mythologie verliebt sich der bildschöne Narziss unglücklich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser.

Die ersten Spiegel, so nehmen Archäologen an, werden tatsächlich flache, mit Wasser gefüllte Schalen gewesen sein – oder mühevoll polierte Oberflächen, etwa des schwarzen Vulkansteins Obsidian. Die Herstellung von Bronze machte die Sache einfacher: In Mesopotamien wurden um 3000 v. Chr. erste Bronzespiegel hergestellt, Spiegel, von denen schon das Alte Testament erzählt und die im alten Ägypten und Rom bereits gang und gäbe waren.

«Spiegel» kommt vom lateinischen speculum, «Abbild», und Verhaltensforscher sehen im Erkennen des eigenen Spiegelbildes bei Tieren oder kleinen Kindern ein Zeichen von Intelligenz und Abstraktionsvermögen. Selbst im Digitalzeitalter ist der Spiegel so faszinierend wie eh und je. Was einst Narziss die Quelle, ist uns heute das Handy und seine Frontkamera.

Spiel des Lebens

Mathematik, mit Leib und Seele: John Horton Conway, Jahrgang 1937 und Professor in Princeton, entspricht nicht ganz dem kreidestaubigen Klischee. Denn er hat eine Schwäche: das Spielen. Für andere wäre «Unterhaltungsmathematik» eine Beleidigung. Nicht für John Conway.

1970 dachte er sich ein «Spiel für null Spieler» aus, wie er es augenzwingernd nannte. Das geht so: Man stelle sich ein unendlich grosses Schachbrett vor. Legt man einen Spielstein auf ein Feld, kann dieser Stein maximal acht Nachbarn haben, dann nämlich, wenn auf jedem umliegenden Feld ebenfalls ein Stein liegt. Conway streute wahllos Steine auf sein Brett und stellte sich dabei vor, jeder sei ein Lebewesen. Die virtuelle Natur sollte drei einfachen Regeln folgen: Ist ein leeres Feld von drei angrenzenden Zellen umgeben, dann entsteht darauf eine neue Zelle. Eine lebende Zelle, die zwei oder drei Nachbarn hat, bleibt am Leben; hat sie nur einen oder aber mehr als drei Nachbarn, geht sie zugrunde, je nachdem an Einsamkeit oder Übervölkerung.

Runde für Runde verändert sich so das Spiel, das Conway «Life» nannte, Spiel des Lebens. Nächtelang brütete er über seinen Spielsteinen – und entdeckte dabei faszinierende Muster: Figuren, die krabbeln können, Figuren, die sich in die Unendlichkeit ausdehnen – und dann urplötzlich in sich zusammenfallen.

Studenten dient das Spiel heute als Fingerübung im Programmieren, und Wissenschaftler sehen in ihm so genannte «zelluläre Automaten». Noch heute gibt es ganze Forscherteams, die das «Game of Life» in potenziell unendlichen Räumen erforschen.

Conway selbst hatte nichts als sein Spielbrett zur Verfügung. Und seinen ungebremsten Spieltrieb. So kommt es, dass die Conway-Krabbelfigur, der so genannte «Gleiter», zum Symbol geworden ist: nicht für die Gilde der Mathematiker, sondern der Computer-Hacker.

Spintrien

Die seltsamen Metallplättchen müssen den Archäologen die Schamröte ins Gesicht getrieben haben: 20 bis 23 Millimeter im Durchmesser, aus Bronze oder Messing, auf der Rückseite eine römische Zahl von 1 bis 16, auf der Motivseite ein Paar beim Sex, mit viel Liebe zum Detail, in immer anderen Positionen. Eine Art in Metall geschlagenes Kamasutra aus dem alten Rom. Die rätselhaften erotischen Münzen werden heute «Spintrien» genannt, weil der römische Schriftsteller Sueton im 2. Jahrhundert n. Chr. junge männliche Prostituierte als «Spintria» bezeichnet hatte.

Die Spintrien, wie sie auch in Pompeji gefunden wurden, geben der Wissenschaft bis heute Rätsel auf. Lange nahm man an, sie seien Jetons für Theater oder Bordelle gewesen, also eine Art Ticket oder Gutschein. Heute gilt als wahrscheinlich, dass viele davon aus ein und derselben Prägewerkstatt stammen und zwischen 22 und 37 n.Chr. geschlagen wurden – als Geldersatz, weil es verboten war, Münzen, die das Porträt des Kaisers Tiberius trugen, ins Bordell mitzunehmen.

Ob die teils sehr gut erhaltenen Spintrien eine Art Ersatzwährung in der Halbwelt war, oder vielleicht Figuren eines längst vergessenen Spiels oder am Ende doch bloss Garderobenmarken – ihr genauer Zweck bleibt unbekannt. Sicher ist nur, dass im kaiserzeitlichen Rom die Darstellung erotischer Szenen Alltag war. An den Hauswänden von Pompeji sind viele erotische Fresken zu finden. Und so glaubte man lange, dass die untergegangene Stadt am Vesuv ungewöhnlich viele Freudenhäuser gehabt haben müsse. Alles falsch: Freizügige Szenen, an die Wand gemalt, waren in römischen Kneipen und Schlafzimmern völlig normal.