Himmel, siebter

Der siebte Himmel liegt in Tourismusreklamen. Schenkt man ihnen Glauben, dann ist dieser siebte Himmel eine höchst irdische Sache und befindet sich vorzugsweise auf Kreuzfahrtschiffen und in Wellnesshotels.

Siebter Himmel
Siebter Himmel
Höchst irdisch ist die Vorstellung vom Himmel im Plural in der Tat. Und das seit über zweitausend Jahren. Schon im vierten Jahrhundert vor Christus teilte Aristoteles den Himmel in sieben durchsichtige Sphären ein. Auf jeder dieser Schalen, so lehrte der grosse Philosoph, bewege sich einer der sieben damals bekannten Himmelskörper Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn. Der Saturn, der mit blossem Auge immer noch gut sichtbar ist, galt als Grenze zum letzten, siebenten, Himmel und erhielt den Beinamen «Hüter der Schwelle».

Das äusserste Gewölbe, der «siebte Himmel», galt Aristoteles als der Bereich, der die Welt mit ihren Sonnen, Planeten und Monden gegen das endlose Nichts abschliesst, als das feinstoffliche Ende aller Materie und dem Paradies vergleichbar, eine Welt allein des Geistes, der göttlichen Vollkommenheit.

Und so hielt die Vorstellung von den sieben Himmeln in die Weltreligionen Einzug. Im zwischen 70 und 135 nach Christus entstandenen apokryphen «Testament der 12 Patriarchen» trägt ein Kapitel den Namen: «Höre nun von den sieben Himmeln». Im Talmud finden sie sich ebenso wie im Koran: «Allah ist’s, der die sieben Himmel erhöht hat ohne Säulen, die ihr seht», steht in der 13. Sure zu lesen. Der vollkommene siebte Himmel ist diesen religiösen Vorstellungen zufolge der Ort des Rechts, der Gerechtigkeit, des unendlichen Friedens, ja des Schöpfers selbst.

Und ganz bestimmt kein Fünfsternehotel.

Hokuspokus

Gezaubert haben wir als Kinder schon lange vor Harry Potter. Unsere Zauber waren vielleicht nicht ganz so wirkungsvoll, dafür waren sie umso rascher gelernt: «Hokuspokus», und das Zimmer war aufgeräumt, auch wenn das die Eltern etwas anders sahen.

Der Wunsch, zaubern zu können, ist so alt wie die Menschheit. Und fast genauso alt ist das Wort «Hokuspokus».

hocus pocus schwarz und weisz,
fahre stracks auf mein geheisz
schuri muri aus den knaben,

lässt schon um 1700 der deutsche Schriftsteller Christian Reuter seinen Antihelden Schelmuffsky deklamieren.

Viele Sprachforscher sehen in «Hokuspokus» eine Verballhornung der katholischen Liturgie: Hoc est enim corpus meum, spricht der Priester während der Wandlung: «Dies ist nämlich mein Leib» – gemeint ist der Leib Jesu Christi. Das gemeine Volk, das kein Latein verstand, soll nur Hokuspokus mitbekommen haben. Eine durchaus zauberhafte Erklärung, aber am Ende doch nur etymologischer Hokuspokus.

Die Wirklichkeit ist prosaischer: Hocus, auf Englisch hoax, bedeutet Schabernack, lateinisch hocus pocus soviel wie Taschenspieler. Das später auch ins Deutsche übersetzte Buch «Hocus Pocus Iunior» des Engländers Elias Piluland von 1634 erzählt vom Sohn eines Gauklers, und in Thomas Adys ungefähr gleich alter Geschichte «Candle in the Dark» brüstet sich ein Trickkünstler, The Kings Majesties most excellent Hocus Pocus zu sein.

«Hokuspokus», nichts als Gaukelei: Daran wird es wohl gelegen haben, dass das verzauberte Kinderzimmer am Ende doch noch aufgeräumt werden musste.

Humbug

Es ist gut, daß das Papier zu Ende geht, die letzte Seite enthält nichts als Humbug, wie der Engländer sagt,

schrieb die deutsche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff 1835 in einem Neujahrsbrief an ihren Freund Christoph Bernhard Schlüter. Das war zwar etwas kokett – die Droste war eine ebenso amüsante wie geistreiche Briefeschreiberin –, aber das Wort «Humbug» ist tatsächlich englisch. Ob es allerdings von to hum («summen») und bug («Käfer») abstammt, ist blosse Spekulation.

Humbug ist Unfug, und den hatten auch Studenten der Tuskegee University, Alabama, im Sinn. George Washington Carver, seit 1896 einer der ersten schwarzen Professoren der USA, war bekannt für sein enormes landwirtschaftliches und zoologisches Wissen. Heimlich bastelten seine Schüler aus verschiedenen Insektenteilen eine angeblich neue Art zusammen, um Carver dann zu fragen, was das denn sein könnte. Nach eingehender Betrachtung des eigenartigen Präparats brummte er: «Did it hum?» («Hat es gesummt?») Die Studenten bejahten. Worauf Carver zurückgab: «This is a humbug».

Wann immer etwas bedeutsam klingt, tatsächlich aber Unsinn, wenn nicht gar Schwindel ist, dann nennen wir es Humbug. Und auch wenn Humbug Quatsch ist, Kokolores, Larifari, Mumpitz, Nonsens oder Stuss, machte das Wort doch Wissenschaftsgeschichte. Als 1846 der amerikanische Chirurg John Collins Warren einem mit Äther narkotisierten Patienten erfolgreich einen Tumor aus dem Nacken operierte, sprach er den berühmten Satz:

Gentlemen, das ist kein Humbug!

Das war es tatsächlich nicht: Die Operation gilt als Geburtsstunde der wissenschaftlichen Anästhesie.

Idiotikon

Nein. Das Idiotikon ist kein Nachschlagewerk für Dorftrottel, sondern dessen genaues Gegenteil. Es ist ein historisches Wörterbuch, das in dereinst 17 Bänden mit 180 000 Stichwörtern die Schweizer Dialekte vom Mittelalter bis heute dokumentieren will. Und damit ist das Idiotikon eines der ehrgeizigsten Buchprojekte der Schweiz. 150 Jahre hat es schon auf dem Buckel: Am 15. Juni 1862 wurde der «Verein für ein schweizerdeutsches Wörterbuch» gegründet, dessen Initiant Fritz Staub ursprünglich ein vierbändiges Handbuch im Sinn hatte. Doch das Projekt wuchs und wuchs in typisch schweizerischer Langsamkeit. Eine kleine Redaktion, akribische Genauigkeit und ein Wust von Daten haben aus dem Idiotikon ein Generationenwerk gemacht. Noch immer werten die Mitarbeiter Zettel aus dem 19. Jahrhundert aus, auf denen Pfarrer und Lehrer eigentümliche Dialektbegriffe notiert hatten. Pfifolter und Gaggelaari, sirache und löie: Zehntausende von Stichwörtern werden geografisch und wortgeschichtlich ergründet. Nur in der Gegenwart ist das Idiotikon noch nicht so ganz angekommen. Ein Natel gibt es nicht, und selbst aalüte («anrufen») – die erste Telefonzentrale in Zürich wurde immerhin schon 1880 in Betrieb genommen – sucht man vergebens.

Im Januar 2012 ist das Idiotikon immerhin beim Buchstaben Z angelangt, und in zehn Jahren soll der letzte Band veröffentlicht sein. Darin blättern kann man jederzeit: idiotikon.ch ist die Onlineausgabe, deren Suche die Schwierigkeiten elegant umschifft, die sich aus den höchst unterschiedlichen Schreibweisen ergeben.

Von Tschoopelatz bis Gloschlibändel: Das Idiotikon ist ein sperriges Werk. Sein Name kommt nicht von Idiot, sondern vielmehr von Idiom, dem griechischen Wort für «sprachliche Eigentümlichkeit».

Jassen

Einen Schweizer Stammtisch ohne Politik mag es geben – einen ohne Jass dagegen kaum. Nichts ist so urschweizerisch wie das Jassen.

Das Wort aber ist es nicht: Der «Jass» ist vielmehr Importware aus den Niederlanden. Schweizer Söldner, so nimmt man an, brachten das Jassen aus Holland mit, und der Jass, der Trumpfbauer, ist also (ebenso wie die Trumpf-Neun, das holländische Nell) ein Ausländer. Auch das Spiel ist keineswegs made in Switzerland: Spielkarten kommen aus Ostasien und sind vermutlich über die Seidenstrasse nach Europa eingewandert.

Die ältesten Spielkarten der Deutschschweiz stammen aus dem Jahr 1470. Sie liegen im Historischen Museum Basel und tragen die Farben Schellen, Schilten, Eicheln und Federn. Sie werden einem Basler Maler zugeschrieben, da der Schilten-Under einen Baslerstab auf der Brust trägt. Die Farbe «Rosen» übrigens kam erst später dazu, da die ursprünglichen Federn angeblich zu stark ans Rupfen von Hühnern erinnerte.

Das Wort «Jass» ist vermutlich eine Verkürzung von Paljas (in vielen Schweizer Dialekten Paiass), auf Deutsch «Hanswurst» oder «Narr». Tatsächlich lässt sich nur ein Narr in die Karten blicken – auch wenn die genau dafür gemacht sind: Spielkarten sind deshalb punktsymmetrisch, damit man sie auch dann noch erkennen kann, wenn sie kopfstehen.

Ob schweizerisch oder nicht, interessiert längst niemanden mehr. Jasskarten sind nach dem Standard ISO-216 auf das Format A8 genormt. Und auch von gestern sind sie nicht: Gejasst wird heute, neben dem Stammtisch, im Internet und per iPhone-App.