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Gabel

Anfang des 11. Jahrhunderts heiratete ein Mitglied der venezianischen Dogenfamilie eine Prinzessin aus Byzanz, und die benutzte beim Essen ein Gäbelchen mit zwei Zinken. Ein Skandal: Wie konnte sie es wagen, die Speisen nicht mit den von Gott gegebenen Händen anzufassen? Für Hildegard von Bingen war die Gabel eine Verhöhnung des Herrn. «Gott behüte mich vor dem Gäbelchen», soll Martin Luther gesagt haben, und noch 1897 verbot die britische Navy ihren Matrosen das Essen mit der als unmännlich geltenden Gabel.

Im Gegensatz zum Messer hatte es die Gabel schwer.

Während ich einen saftigen Braten verzehrte,

berichtet um 1600 ein französischer Chronist,

bemerkte ich vier Herren, die nicht ein einziges Mal das Fleisch mit den Fingern berührten. Sie führten Gabeln zum Mund und beugten sich tief über ihre Teller. Da ich keine Erfahrung besass, wagte ich nicht, es ihnen nachzutun, und ass nur mit meinem Messer.

Im 18. Jahrhundert allerdings wendet sich das Blatt für die Gabel. Dem Adel beginnt es peinlich zu werden, sich beim Essen die Finger schmutzig zu machen. Wer nicht mit der Gabel umgehen kann, ist ein Tölpel. Und mit der Industrialisierung schliesslich wird die zuvor handgeschmiedete Gabel zum Massenprodukt. Sie besteht neu aus Edelstahl, bekommt in der Regel vier Zinken, wird etwas breiter und gewölbter. Und heute, wenn’s nicht gerade um Fastfood geht, ist das Essen ohne Gabel bei uns nur noch etwas für kleine Kinder – oder für Barbaren.

Meilenstein

Sie waren eine Art Vorläufer unseres heutigen Navis, jene runden, mehr als mannshohen Säulen entlang wichtiger Römerstrassen. In den Stein eingemeisselt waren Namen und Ehrentitel des jeweiligen Kaisers und die Entfernung zur nächstgelegenen Stadt, angegeben in milia passuum, also in tausend Doppelschritten (umgerechnet etwa 1,5 Kilometer). Auf Lateinisch hiessen die Säulen miliaria, ein Wort, von dem unsere heutige «Meile» abstammt. Das miliarium aureum auf dem Forum in Rom war der Ursprung aller Meilensteine. Es war eine Säule aus vergoldeter Bronze mit den Strassennamen und Entfernungen in die wichtigsten Städte des Reichs. In gallischen und germanischen Provinzen dagegen, wo früher Kelten gelebt hatten, trugen die Steine Distanzangaben in keltischen Leugen und heissen deshalb «Leugensteine».

Römische Meilensteine gab es bereits im 3. Jh. v. Chr, doch die meisten stammen aus der Kaiserzeit, also aus den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung. Auch in der Schweiz wurden Meilensteine aufgestellt – einer davon wurde 2013 von einem Bauern in der Waadtländer Gemeinde Pompaples entdeckt. Die Inschrift nennt Mark Aurel und Lucius Verus, die von 161 bis 169 n. Chr. gemeinsam als römische Kaiser amtierten; darunter stand die Distanz von 39 Meilen bis Aventicum, das heutige Avenches. So sind römische Meilensteine heute zwar keine Wegweiser mehr, dafür aber wichtige Zeugen römischer Verwaltungsgeschichte.

Bücherrad

Dies ist eine schöne künstliche Maschine, die sehr nützlich ist, weil man mit ihr in einer grossen Menge Bücher blättern kann, ohne sich von der Stelle zu bewegen.

So beschreibt der italienische Ingenieur Agostino Ramelli 1588 das von ihm erfundene Bücherrad. Diese Lesemaschine sieht ein bisschen aus wie ein Wasserrad für Bücher. Es besteht aus einem Holzgestell und zwei mannshohen Radscheiben. Dazwischen befinden sich acht Lesepulte, die von Zahnrädern so bewegt werden, dass die aufgeschlagenen Bücher ihre Neigung stets behalten und nicht zu Boden fallen. Auf diese Weise kann ein Leser durch einfaches Drehen zwischen verschiedenen Bänden und Textstellen hin und her springen – das Bücherrad gilt deshalb auch als eine Art Kindle des 16. Jahrhunderts.

Das Bücherrad wird im 700-Seiten-Wälzer mit dem Titel «Die verschiedenen und kunstvollen Maschinen des Capitano Agostino Ramelli» als einer von insgesamt 195 Apparaten beschrieben und abgebildet. Im Grunde war das Bücherrad unnötig kompliziert: Solche epizyklischen Getriebe waren bis dahin nur in astronomischen Uhren verbaut worden. Vermutlich auch deshalb hat Ramelli selbst nie ein solches Bücherrad gebaut, es ging ihm vor allem darum, sein mathematisches Genie unter Beweis zu stellen.

Ob es Bücherräder tatsächlich gegeben hat, ist nicht bekannt, doch aufwändige Nachbauten sind in einer ganzen Reihe europäischer Museen zu sehen.

Polstab

Auf dem Weg der Sonne von Ost nach West wandert der Schatten des Stabes einer Sonnenuhr im Gegenuhrzeigersinn über das Zifferblatt und zeigt die Zeit an. Bei heutigen Sonnenuhren steht der Stab in der Regel schräg. Er zeigt auf den Himmelsnordpol – in Richtung des Polarsterns – und heisst deshalb Polstab.

Die Vorläufer von Polstabuhren hatten Schattenstäbe, die ganz einfach rechtwinklig vom Zifferblatt abstanden. Sie heissen «kanonial», weil sie in mittelalterlichen Klöstern dazu dienten, die Gebetszeiten anzuzeigen. Die älteste kanoniale Sonnenuhr der Welt haben Forscherinnen der Uni Basel 2013 im Tal der Könige in Ägypten entdeckt: ein flaches Stück Kalkstein, auf dessen glatte Vorderseite ein Arbeiter säuberlich die zwölf Tagesstunden aufgemalt hatte – vor sage und schreibe 3200 Jahren.

Der Nachteil dieser Sonnenuhren mit rechtwinkligen Schattenstäben: Sie sind ungenau. Weil der Sonnenstand von der Jahreszeit abhängt, sind die Winkel der Stundenlinien unterschiedlich – neun Uhr im Sommer ist anders als neun Uhr im Winter.

Die Lösung für dieses Problem fanden die alten Griechen: den Polstab, auf Griechisch polos, der genau im Winkel der geografischen Breite zur Mittagslinie geneigt ist – in der Schweiz sind das zwischen 46 und 47,5 Grad. Der Polstab war eine kleine Revolution der Zeitmessung: Er verläuft parallel zur Erdachse, und damit fällt die Jahreszeit nicht mehr ins Gewicht. Denn der Schatten fällt zur selben Tageszeit immer auf dieselbe Linie, unabhängig davon, ob gerade Winter oder Sommer ist.

Sakko

Man trägt ihn in der Freizeit und im Büro, zur Anzughose oder auch zu Jeans, zu Leder- oder zu Turnschuhen: den sportlich-eleganten «Sakko» – auf Englisch heisst er denn auch sports jacket, in den USA sack coat. Der Sakko ist mit dem figurbetonten «Jackett» verwandt, das aus dem Gehrock entstand, bei dem man die antiquierten Schösse wegliess. Doch im Gegensatz zum vornehmen Jackett war der schlichtere, gerade geschnittene Sakko anfangs eher für die Arbeiterklasse gedacht. Von einem Sack, vom italienischen «sacco», hat er auch seinen Namen. Heute sind die Grenzen fliessend – ein Sakko oder ein Jackett sind heute in der Regel ein und dasselbe.

Der Sakko ist eine ein- oder zweireihige Jacke traditionell aus Schurwolle, manchmal auch aus Baumwolle oder Leinen, Cord oder Tweed, und mit einem Fasson – so heisst sein markantes, umgeschlagenes Revers. Aussen trägt der Sakko zwei aufgesetzte Taschen und zwei, seltener drei oder sogar noch mehr Knöpfe. Er wird entweder offen getragen oder aber mit einem, und nur einem, geschlossenen Knopf.

Der Grund dafür liegt im ausgehenden 19. Jahrhundert, genauer, beim englischen Kronprinzen Albert Edward und späteren König Edward VII. Edward war modebewusst, aber sehr beleibt, und er schaffte es beim besten Willen nicht, seinen Sakko vollständig zuzuknöpfen. Weil also der untere Knopf des königlichen Sakkos stets offenstand, gingen Adel und Hofstaat dazu über, aus Respekt vor Edward den unteren Knopf ebenfalls offen zu lassen. Das war praktisch, und es liess sich auch besser reiten. Und so wird der Sakko bis heute, wenn überhaupt, nur oben zugeknöpft.