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Zahlen, gerade

Gott erfreut sich ungerader Zahlen,

schreibt der römische Dichter Vergil in einem seiner Hirtengedichte. Es erzählt von Amaryllis, die von ihrem Daphnis verlassen worden ist und nun einen Liebeszauber anwendet, der den Geliebten wieder zu ihr zurückbringen soll – sie knüpft drei Knoten in buntes Tuch, weil sie weiss: Die Zahl drei ist ungerade, und das freut den Liebesgott Amor.

Gerade Zahlen sind ganze Zahlen, die sich ohne Rest durch zwei teilen lassen; bei ungeraden Zahlen bleibt immer 1 übrig. Was Zahlen aber mit einer Geraden zu tun haben, das erschliesst sich erst aus der Sprachgeschichte. Im Gotischen hiess «Zahl» rathjo. «Zählen» hiess garathian, ein Wort, das irgendwann mit dem Adjektiv «gerade» verschmolz und im 15. Jh. den Weg in die Mathematik fand. Gerade Zahlen waren also sozusagen zum Zählen da. Und an diese Wortgeschichte erinnert noch immer die Redensart «fünfe gerade sein lassen», ein Appell, es nicht immer ganz so genau zu nehmen.

Das gotische rathjo kommt ursprünglich von der lateinischen ratio, auf Deutsch «Vernunft». Und hier schliesst sich der Kreis: Die Mathematik kennt nämlich nicht nur gerade und ungerade Zahlen, sondern auch die sogenannt «rationalen Zahlen». Darunter versteht man alle ganzen Zahlen, positiv und negativ, aber auch alle Bruchzahlen. Rationale Zahlen sind also 0, 1, 2, 3 usw., dazu -1, -2, -3 usw, und ebenso Zahlen wie 1/3 oder -0,2.

Übrigens: Der Liebeszauber der Amaryllis mit den drei Knoten – eine ungerade, natürliche Zahl – bringt den geliebten Daphnis am Ende tatsächlich zurück.

Billard

Es war sein Lieblingsspiel: Der Kupferstich von 1694 zeigt Frankreichs König Louis Quatorze beim Billard mit seinem Bruder Philippe, dem Herzog von Orléans, und seinen adligen Freunden. Die königliche Partie war dem heutigen Billard schon sehr ähnlich – langer Tisch mit seitlicher Bande, damit die Kugeln nicht zu Boden fielen, die Queues, mit denen die Kugeln gestossen wurden. Doch nicht alles war gleich: Auf dem Tisch standen Hindernisse wie Stäbe oder Bögen, und die Queues waren krumm und sahen ein bisschen aus wie die Schläger beim Minigolf. Von ihnen kommt im übrigen auch das Wort: Ein billard war der krumme Stab, den man zum Spielen brauchte, und der wiederum kam von bille, dem Wort für «Kugel».

Schon zu Zeiten des Sonnenkönigs war Billard ziemlich international: Das Buch «The Compleat Gamester», 1674 in London gedruckt, beschreibt Billard als ebenso kultiviert wie genial. Es komme ursprünglich aus Italien, steht da, und es werde in allen Ländern Europas gespielt, ganz besonders in England, wo es in vielen Städten schon öffentliche Billardtische gebe.

Heute sind die Queues lang und gestreckt, und auf dem Tisch stehen keine Hindernisse mehr. Und doch ist Billard nicht gleich Billard: Heute wird Pool gespielt, Snooker, Karambolage oder Russisches Billard, um nur die bekanntesten zu nennen. Das Völkerverbindende aber ist geblieben: Als wohl erste Sportart überhaupt führte Billard 1873 in New York Profi-Weltmeisterschaften durch, und noch heute erzielen WM-Spitzenpartien im Sportfernsehen hohe Einschaltquoten.

Hygiene

«Hygiene» kommt von der griechischen Göttin Hygieia. Verehrt wurde sie im alten Athen, wo sie als Göttin der Reinlichkeit und der Gesundheit galt. Dem Mythos zufolge war Hygieia eine Tochter des Asklepios, dessen Stab mit der gewundenen Schlange noch heute das Symbol der Medizin ist. Aus Hygieias Namen wurde das heutige Wort «Hygiene», das in fast allen Sprachen so heisst.

Sauberkeit und Gesundheit hängen eng zusammen. Sauberes Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene sind Grundvoraussetzungen für Gesundheit und Wohlbefinden, schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Grosse Fortschritte haben dazu geführt, dass die Zahl tödlicher Durchfallerkrankungen zwischen 1990 und 2015 weltweit auf die Hälfte zurückgegangen sind.
Wie wichtig sauberes Wasser und Kanalisation sind, wussten die Menschen schon vor Jahrtausenden. Jungsteinzeitliche Dörfer auf der schottischen Insel Orkney besassen schon vor 5000 Jahren Frischwassertröge und Abwasserkanäle, und wie wichtig Hygiene im alten Rom war, zeigen die prachtvollen Thermen der Kaiserzeit mit ihren riesigen Kalt- und Warmwasserbecken, die 2000 bis 3000 Badegäste pro Tag aufnehmen konnten.

Im alten Griechenland, in den Tempeln der Hygieia, gab es daneben noch eine andere Sitte: Während des rituellen Tempelschlafes erhofften sich die Menschen heilende Träume – oder zumindest Träume von Heilmitteln, die ihre Beschwerden lindern sollten.

Stein des Anstosses

Im alten Rom und in den Städten des Mittelalters herrschte geschäftiges Treiben. Vor allem Händler mit ihren sperrigen Pferdefuhrwerken hatten es schwer, durch die engen Gassen zu kommen. Wer an diesen schmalen Strassen ein Haus besass, konnte davon ein Liedchen singen: Immer wieder schrammte ein Wagen, dessen Lenker sich verschätzt hatte, an der Hausmauer vorbei und hinterliess Schäden – davon zeugt auch die Redensart «die Kurve kratzen».

Findige Baumeister begannen deshalb die exponierten Mauern mit massiven, kniehohen Steinen zu schützen, sogenannten Pollern, Prellsteinen oder Radabweisern. Diese Steine standen etwas vor, sodass ein Wagen, der die Kurve zu eng nahm, den Stein rammte und die gemauerte Fassade verschont blieb. Die Steine mussten etwas weniger hoch sein als die Radnabe und leicht zum Haus hin geneigt, so dass beim Anstoss das Wagenrad nicht blockierte, sondern bloss abrutschte. Höhere Steine hätten die Radachse beschädigt, deren Reparatur kostspielig gewesen wäre. Die schützenden Steine zählten bald zum Stadtbild und fanden Eingang in die Lutherbibel. «Und der Herr wird ein Heiligtum sein und ein Stein des Anstosses», sagt der Prophet Jesaja – damit gemeint ist, dass sich die Heiden an diesem Stein stossen und zu Fall kommen, die Gläubigen dagegen unversehrt bleiben.

Auch wenn das sprachgeschichtlich nicht gesichert ist: Von solchen Prellsteinen soll der sprichwörtliche «Stein des Anstosses» kommen. Damit wir, wenn wir es mal allzu eilig haben, nicht die Kurve kratzen.

Viertel, akademisches

Zeitangaben an der Uni waren keine einfache Sache. Im Vorlesungsverzeichnis waren zwar Ort und Uhrzeit angegeben, zum Beispiel 9 Uhr. Nur hiess das eben nicht 9.00 Uhr, sondern vielmehr 9.15 – eine alte akademische Tradition, das sogenannte «akademische Viertel». Und das ging auf die Gründung der ersten Universitäten im Mittelalter zurück. Dozenten unterrichteten nicht auf einem Campus, sondern in ihren Wohnhäusern, die über die ganze Stadt verteilt waren. So bürgerte sich die Regel ein, dass eine Vorlesung spätestens zur vollen Stunde endete und die nächste eine Viertelstunde später begann. Das gab den Studenten Zeit für den Fussweg.

In alten Verzeichnissen hiess das akademische Viertel auf Lateinisch cum tempore, abgekürzt «c. t.» und auf Deutsch «mit Zeit». Um das Ganze noch komplizierter zu machen, gab es auch die Zeitangabe magno cum tempore, «m. c. t.», eine halbe Stunde später; in seltenen Fällen sogar maximo cum tempore, «mm. c. t.», eine Dreiviertelstunde später. Sine tempore dagegen, wörtlich «ohne Zeit», hiess sinngemäss «genau zur vollen Stunde».

Das akademische Viertel ist aus der Mode gekommen; an der Uni Zürich etwa wurde es im Wintersemester 2006/2007 abgeschafft. Heute heisst 9 Uhr meistens tatsächlich neun Uhr. Um allerdings nach dieser jahrhundertelangen Zeitenverwirrung Klarheit zu schaffen, sagt man dann zur Sicherheit und auf Englisch «9 Uhr sharp».