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Sacco di Roma

Atemlos hasteten die 42 Schweizergardisten und Papst Clemens VII durch den «Passetto di Borgo», den Gang, der als gewöhnliche Mauer getarnt ist und der vom Vatikan zur Engelsburg führt. Der Ausbruch gelang, und der Papst erreichte die Festung unversehrt.

Der «Sacco di Roma», die Plünderung Roms an diesem 6. Mai 1527, ging als beispielloses Kriegsverbrechen in die Geschichte ein. Der hemmungslose Raubzug der grösstenteils reformierten Söldnertruppen Karls V, des gewählten, aber noch ungekrönten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs, geriet gänzlich ausser Kontrolle. Führerlos und ausser Rand und Band zogen die Landsknechte brandschatzend, vergewaltigend und mordend durch die Strassen. Kirchen und Paläste wurden ausgeraubt, Adligen enorme Lösegeldsummen abgepresst, Bürgern unter Folter alles abgenommen, was von Wert war. Alle Schweizergardisten, mit Ausnahme der 42 päpstlichen Fluchthelfer, wurden auf dem Petersplatz getötet.

Die Zahl der zivilen Opfer ging in die Zehntausende; über 90 Prozent der Kunstschätze Roms wurden gestohlen oder zerstört. Bis heute gedenkt die Schweizergarde der Gräuel – wenn sie jeweils am 6. Mai ihre neuen Rekruten vereidigt.

Eine letzte Spur dieses schwarzen Tages kam erst Jahrhunderte später an den Tag. Auf dem Fresko «Disputa del Sacramento», einem berühmten Gemälde des Renaissancemalers Raffael im Vatikan, entdeckten Restauratoren 1999 den Namen «Luther», von hasserfüllten Söldnern eingeritzt, als wohl grösste denkbare Schmähung der katholischen Kirche.

Heinrich, süsser

Heinrich Wilhelm Kurz, gelernter Sattler aus dem hessischen Nidderau, war ein leidenschaftlicher Erfinder. Von ihm stammen Skizzen für eine Waschmaschine, einen Pfannkuchenwender, Stehaufmännchen, eine Auflaufbremse, eine Einzelradaufhängung für Fuhrwerke und einen Toilettenaufsatz für Kleinkinder. Und für einen Gegenstand, den wir noch heute täglich benutzen: den Zuckerstreuer.

Davor nämlich kam der Zucker aus der Dose. Jeder bediente sich mit seinem Löffel, die Menge war mehr oder weniger zufällig, und ausserdem konnte man nicht sehen, ob die Dose bald leer war. Kurzens Zuckerstreuer löste gleich eine ganze Reihe von Problemen. Er war aus Glas und mit einem Schraubdeckel hygienisch verschlossen. Durch den Deckel lief ein Rohr, das beim Kippen immer genau dieselbe Zuckermenge aufnahm und durch das abgeschrägte Ende abgab.

Bürokratie war seine Sache nicht, und Kurz starb 1934 als armer Mann. Seine Einfälle aber hatte er säuberlich in einem Büchlein notiert, das Jahre später seinem Enkel Theodor Jacob in die Hände fiel. Der meldete die Erfindung seines Grossvaters 1953 zum Patent an; ein Jahr später begann die Produktion.

Blieb die Sache mit dem Namen. Die Patentschrift sprach von einem «Portionierer für granuliertes Streugut». Weil das viel zu sperrig war, und um seinem erfinderischen Grossvater Heinrich Kurz die Ehre zu erweisen, wurde der Zuckerstreuer auf den Namen getauft, den man in Deutschland noch heute kennt: «Süsser Heinrich».

Hungerstein

«Wenn du mich siehst, dann weine», steht auf dem mächtigen Basaltblock auf dem Grund der Elbe in der tschechischen Stadt Děčín. In normalen Zeiten liegt der Stein metertief unter Wasser. Doch sinkt der Pegel stark, taucht die eingemeisselte Schrift auf. Trockenheit bedeutete zu allen Zeiten Hungersnot, weil die Ernte verdorrte und Versorgungsschiffe bei Niedrigwasser nicht fahren konnten. Die bei Dürre auftauchenden Steine heissen deshalb «Hungersteine», und sie tragen nicht nur Warnungen, sondern auch den Pegelstand und die Jahreszahl der Dürrejahre. Die ältesten Steine stammen aus dem 15. Jahrhundert und zählen damit zu den ältesten hydrologischen Denkmälern; neuere Steine dagegen wurden noch im 19. und 20. Jahrhundert behauen.

Hungersteine gibt es in vielen Flüssen, der Elbe etwa, der Mosel, der Weser, dem Neckar und dem Rhein. 1923 schrieb der deutsche Reiseschriftsteller Alfons Paquet über Hungersteine bei Bingen, «die jahrzehntelang im Wasser verborgen sind und bei ihrem Auftauchen Zeichen von Menschenhand verraten», und 1898 berichtete die Linzer Tages-Post über Steine bei Schaffhausen, «die nur sehr selten sichtbar würden, und in die man jedesmal, wenn sie sich zeigten, das Datum ihres Erscheinens einmeissle».

Wenn sie sichtbar sind, gilt den Hungersteinen grosse Aufmerksamkeit. Bei Dürre wurde der berühmte Stein bei Děčín gar zum Wallfahrtsort. Das rief 1938 einen findigen Wasserpumpenfabrikanten auf den Plan, der unterhalb der Hungerwarnung den Slogan anbringen liess: «Weine nicht, wenn es trocken ist: Spritze das Feld!»

Sexagesimalsystem

Was uns die Zehn ist, war den alten Babyloniern die Sechzig: Das Sexagesimalsystem (vom lateinischen Wort sexagesimus, der Sechzigste) ist weit intuitiver, als man meinen könnte. Mit ihm lässt sich nämlich effizient zählen, mit den Fingern einer Hand bis zwölf und mit beiden Händen sogar bis 60. Das geht so: Für die Zahl eins berührt der Daumen das obere Fingerglied des kleinen Fingers derselben Hand, für die Zahl zwei das mittlere und für drei das untere Fingerglied des kleinen Fingers. Für die Zahl vier geht es dann mit dem oberen Glied des Ringfingers weiter, bis das Dutzend am unteren Ende des Zeigefingers erreicht ist. Mit der anderen Hand streckt man dann für jedes volle Dutzend einen Finger aus. Noch heute wird in Teilen der Türkei, im mittleren Osten und in Indien auf diese Weise gezählt.

Um 3300 v. Chr., in Sumer, dem heutigen südöstlichen Irak, war das Sexagesimalsystem noch ein reines Additionssystem – die fragliche Zahl ergab sich aus dem Addieren der einzelnen Ziffern. Ab 2000 v. Chr. dagegen entwickelten die Babylonier daraus ein modernes Stellenwertsystem, das genauso funktioniert wie unser heutiges Dezimalsystem, nur eben auf der Basis von 60: Einstellige Zahlen reichten so von 1 bis 59, zweistellige bis 3599.

Babylon war die führende Wissenschaftsnation der Zeit, und weil sich die babylonische Astronomie allmählich über Ägypten und Griechenland nach Europa ausbreitete, rechnen wir heute noch bei Winkelgraden, Stunden, Minuten und Sekunden mit Zahlen aus längst vergangenen Zeiten.

Jackpot

«Jackpot» ist Englisch und kommt von jack, dem Buben im Kartenspiel, und pot für «Topf». Sein Ursprung ist eine Eröffnungsvariante des besonders im Wilden Westen beliebten draw poker. Bevor die Karten ausgeteilt werden, legt jeder Spieler einen festgelegten Betrag in den pot, also in die Tischmitte. Danach teilt der Geber aus und fragt der Reihe nach jeden Spieler, ob er zwei oder mehr Buben in der Hand halte. Tut das keiner, ist die Runde beendet, der Einsatz verbleibt im Jackpot, und die Karten werden neu ausgegeben. Erst wenn ein Spieler tatsächlich zwei oder mehr jacks hat, beginnt das eigentliche Spiel, dessen Gewinner am Ende den gesamten Jackpot einstreichen kann.

Den Jackpot kennen wir vor allem vom Lotto. Die Regeln sind hier ganz ähnlich: Der Jackpot besteht aus der Gesamtheit der Spieleinsätze, und solange niemand die Bedingungen für einen Gewinn erfüllt, erhöht sich die Gewinnsumme immer weiter. Da kann eine Menge Geld zusammenkommen. Am 23. August 2014 traf ein Spieler mit den Lottozahlen 3, 4, 7, 21, 22, 23 und der Glückszahl 2 ins Schwarze und gewann den bisher grössten Jackpot der Schweiz im Umfang von 48,6 Mio. Franken.

Gewinne, ob im Lotto oder beim Pokern, wecken nicht selten ungezügelten Neid. Als der Revolverheld «Wild Bill» Hickok 1876 im Saloon einer Goldgräbersiedlung im US-Bundesstaat South Dakota beim Pokern sass, wurde er von «Broken Nose» Jack McCall hinterrücks erschossen, der tags zuvor Unsummen an Hickok verloren hatte. Das Blatt des Opfers – zwei schwarze Asse, zwei schwarze Achten – heisst seitdem dead man’s hand, das Blatt des toten Mannes.