Fernbedienung

1950. Der Fernseher ist noch ein edles Möbel aus poliertem Nussbaumholz. «Lazy Bones» heisst das neue Gerät der amerikanischen Fernsehfirma «Zenith». Der Couch potato kann im Sitzen den Sender wechseln, und seine faulen Knochen geraten nur dann in Gefahr, wenn er über die «Lazy Bones» stolpert: Diese erste Fernbedienung der Welt nämlich hängt noch an einem Kabel.

Die Stolperfalle steht in krassem Widerspruch zu den populären Science-fiction-Filmen mit ihren futuristischen Raumschiffen. Eugene F. McDonald Jr. ist ein früherer Navy-Commander und Gründer von «Zenith». Vor allem hasst er Fernsehwerbung. Eine bessere Zapp-Maschine muss her. 1955 präsentiert der Ingenieur Eugene Polley dem Chef, der sich auch in der Firma als «Commander» anreden lässt, die brandneue «Flash-matic». Die sieht aus wie eine Mischung aus Pistole und Duschbrause – und ist im Wesentlichen eine Taschenlampe. Ihr Licht wird von vier Fotozellen in den Ecken des Fernsehapparats erkannt. Zielt der Zuschauer nach oben links oder rechts, wechselt der Sender, die unteren Zellen schalten das Bild oder den Ton aus. Das wäre wirklich Science fiction – wenn nicht ab und zu die Morgendämmerung den Fernseher in voller Lautstärke losbrüllen liesse.

Und so kommt ein anderer Tüftler, der 43-jährige Physiker Robert Adler, auf den Ultraschall. Weil die Fernbedienung aber ohne Batterien funktionieren soll, baut Adler eine Art Taschenklavier mit Klangstäben aus Aluminium, deren unhörbarer Ton vom Fernseher erkannt wird. «Space Command» heisst der Apparat, der das Sofa zur Kommandobrücke und Adler zum Vater der modernen Fernbedienung macht.

Ironie der Geschichte: Adler, zeitlebens ein begnadeter Erfinder, hat das Fernsehen nie gemocht.

Festplatte

It is the business of some of us to think about the businesses of others. In businesses large and small one of the greatest problems is getting the facts and figures for making daily decisions. So we thought about creating a new kind of electronic machine to keep business accounts up-to-date and make them available – not monthly nor even daily. But immediately.

Eine Maschine, die Zahlen ausspuckt – nicht monatlich oder täglich, sondern sofort: So stellt IBM im Werbepathos von 1956 den IBM 305 Ramac vor. Das Herzstück des Supercomputers ist ein dunkel schimmernder Zylinder von der Grösse eines Kühlschranks. Dieser Klotz ist die erste Festplatte der Welt. Sie macht es möglich, gespeicherte Daten im Nu zu finden, zu lesen und anzuzeigen. In einer Welt, in der Buchhalter noch mit mechanischen Rechenmaschinen hantieren, ist der Ramac ein achtes Weltwunder. Computer mit Magnetbändern gibt es zwar schon, aber die wollen eingelegt, vor- und zurückgespult und wieder archiviert werden – das kostet Zeit und Geld.

Es hat Jahre gedauert, bis die IBM-Techniker es geschafft haben, 50 auf einer senkrechten Spindel sitzende Platten mit Magnetfarbe zu bestreichen, mit 1200 Umdrehungen pro Minute rotieren und einen beweglichen Arm dabei Daten speichern und lesen zu lassen. Diese über eine Tonne schwere Ur-Festplatte speichert 5 Megabyte – die Datenmenge eines heutigen Urlaubsfotos –, und sie ist der eigentliche Durchbruch. 25 Jahre später, 1981, sind Harddisks mit der doppelten Kapazität bereits so klein wie ein Ziegelstein. Wieder 20 Jahre später, 2001, fasst eine Festplatte bereits das Eintausendfache an Daten und ist das Herzstück des ersten iPod, und heute ist eine Harddisk noch so gross wie ein Fünffrankenstück und wiegt etwas mehr als 10 Gramm.

Übrigens: Der Ur-Rechner von 1956 funktioniert immer noch. Er steht im Museum für Computergeschichte in Mountain View, Kalifornien – und wenn die noch schnelleren, kleineren, robusteren Speicherchips die Festplatten von heute bald abgelöst haben, wird das tonnenschwere Ungetüm von damals immer noch laufen.

Freemium

Gratis kostet nichts? Quatsch. «Gratis» ist tatsächlich das bauernschlaueste Geschäftsmodell der Welt. Wer eine Gratis-App herunterlädt, will bald mehr Funktionen haben und bezahlt die teure Vollversion. Wer sein Handy gratis bekommt, bezahlt jahrelang die hohen Gebühren.

Auf Neudeutsch heisst das Modell «Freemium», von englisch free, «gratis», und premium. «Freemium» gibt’s in vielen Varianten: Das Programm oder der Dienst ist zwar unzweifelhaft gratis. Aber nur für Studenten. Oder nur 30 Tage lang. Oder mit zuwenig Speicher. Oder mit fehlenden Optionen. Oder ohne Support. Oder, ganz besonders nett, der Nachbar hat’s gratis bekommen, doch danach war leider Schluss.

Das Geschäftsmodell namens «Freemium» treibt bunte Blüten. Die jüngste Knospe sind die sogenannten «In-App-Käufe»: Das Handyspiel macht süchtig, wird aber immer schwieriger – und am Ende so vertrackt, dass man irgendwann steckenbleibt. Es sei denn, man kaufe sich zusätzliche Züge oder am besten gleich zusätzliche Leben. Für nur einen Dollar. Pro Mal, versteht sich.

Das erfolgreichste dieser Freemium-Games heisst «Candy Crush», ein Puzzlespiel mit kitschigen, knallbunten Bonbons, das täglich von bis zu 100 Millionen Menschen gespielt wird. Es stammt vom Londoner Unternehmen King Digital Entertainment, das mit «Candy Crush» zeitweise eine Dreiviertelmillion Dollar einnahm – pro Tag. Heute beschäftigt King 1500 Angestellte und macht einen Jahresumsatz von weit über 2 Milliarden Dollar. Das Geschäftsmodell namens «Freemium» ist der Goldesel des Digitalzeitalters.

Hering

Der Hering, einer der häufigsten Fische überhaupt, kommt aus dem nördlichen Atlantik. Woher aber das Wort kommt, ist unklar. Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm vermutet, «Hering» sei ursprünglich lateinisch und in Anlehnung ans einheimische «Heer» eingedeutscht worden, weil der Hering in grossen Schwärmen lebt. Tatsächlich gerät ein einzelner Hering, von seinem Schwarm getrennt, sofort in Panik.

Der Hering ist nicht bloss ein Fisch, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Die norddeutsche Hanse hatte ihren Aufstieg zur europäischen Wirtschaftsmacht massgeblich dem Heringsfang zu verdanken. Der Hering schmeckt, ist bekömmlich, enthält viel Eiweiss und war als Fastengericht im Mittelalter begehrt. Weil man ihn einfach trocknen oder, in Salz eingelegt, gut in Fässern lagern und transportieren konnte, blieb der Hering jahrhundertelang ein wichtiges Handelsgut. Das hatte seine Tücken. Massive Überfischung führte zwischen 1958 und 1975 zu drei veritablen Fischereikriegen, in denen England vor der isländischen Küste gar die Kriegsmarine auffahren liess.

Der Hering aber hat seinen eigenen Willen. Im Zweiten Weltkrieg, als der Fischfang in Skandinavien praktisch lahmgelegt war, hatte Island seine Kapazitäten massiv ausgebaut. Eine hochmoderne Heringsfabrik in Eyri in den isländischen Westfjorden wurde 1942 eröffnet, mitsamt Wohnheimen für Arbeiter und Einsalzerinnen, einer Villa für den Direktor, mit Laboren, Garagen, Wäscherei, Bäckerei und Einkaufsladen. Schon ein Jahr später ging der Fang zurück, und bald darauf musste die nagelneue Fabrik, ebenso wie viele andere, ganz aufgegeben werden. Der Hering war weitergezogen.

Inflationsziel

Das Papier, das 2010 in Washington erschien, barg Zunder. Sein Autor Olivier Blanchard, damals Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, dachte laut darüber nach, ob es nicht sinnvoll wäre, dass sich Notenbanken in guten Zeiten ein Inflationsziel von 4 Prozent setzen sollten. Im Klartext: Notenbanken sollten darauf abzielen, dass ein Dollar jährlich 4 Prozent an Wert verlöre, in 17 Jahren immerhin die Hälfte seines Werts. Ein Aufschrei war die Folge.

Das Ziel jeder Notenbank ist es, die Preise stabil zu halten. Eine Marktwirtschaft, ja der soziale Friede eines Landes hängen davon ab, dass Geld seinen Wert behält. In den Augen der Notenbanken aber heisst «Preisstabilität» nicht ein Nullwachstum, sondern vielmehr ein sachtes Ansteigen. Die Schweizerische Nationalbank, die Europäische Zentralbank und das Amerikanische Fed verfolgen unisono das Ziel eines Preisanstiegs von bis zu 2 Prozent. Die Entrüstung, die Blanchard entgegenschlug, war der vorgeschlagenen Höhe dieses Anstiegs geschuldet – bei den in Bern, Frankfurt und Washington salonfähigen 2 Prozent dauert die Halbwertszeit eines Dollars immerhin 34 Jahre.

Inflation, in Massen genossen, schmiert die Wirtschaft. Arbeitgeber profitieren, weil die Reallöhne sinken, ohne dass die Nominallöhne gekürzt werden müssten. Wenn ein Gut morgen mehr kostet als heute, wird es eher früher gekauft als später. Bei 0 Prozent Inflation fehlen diese Anreize, und im Fall einer Deflation, wenn die Preise allgemein fallen, werden Käufe in die Zukunft verschoben, weil sie dann günstiger sind. Eine geplante Inflation – ob von zaghaften 2 oder forschen 4 Prozent – ist daher vor allem eine geldpolitischer Spielraum, der eine blühende Wirtschaft vor dem Welken schützen soll.