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Menhir

Ein Menhir sieht ein bisschen so aus wie bei Asterix und Obelix: ein Stein, oft mannshoch, der in vorgeschichtlicher Zeit über weite Strecken hergeschleift, aufgerichtet und in den Boden eingelassen wurde. Das Dorf Carnac in der Bretagne zum Beispiel ist für seine kilometerlangen Steinreihen bekannt, und von da kommt auch das Wort «Menhir», vom bretonischen «maen», «Stein», und «hir» für «lang».

Aber Menhire gibt es auch in der Schweiz. In einem Wäldchen am Stadtrand von Yverdon stehen die sogenannten «Alignements de Clendy», drei Reihen von Menhiren, die von Nordosten nach Südwesten zeigen. Die Anlage stammt aus der Jungsteinzeit, um 4500 v. Christus; und genutzt wurde sie vermutlich über drei Jahrtausende lang. Die insgesamt 45 Steine sind unterschiedlich gross – die kleinsten messen nur einen halben Meter, die grössten sind 4,5 Meter hoch und 5 Tonnen schwer. Einige davon sind flach und kunstvoll behauen, so dass sie menschenähnliche Umrisse zeigen.

Die Anlage wurde 1887 entdeckt. Im Zug der ersten Juragewässerkorrektion war der Spiegel des Neuenburgersees gesunken, und die Menhire tauchten auf. Nur, wozu haben sie einst gedient? Astronomische Untersuchungen zeigen, dass die Steinreihen genau auf die beiden Punkte am Horizont zeigen, zwischen denen der Mond innerhalb einer Periode von 18,6 Jahren auf- und untergeht. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass die Menhire von Clendy ein Mondheiligtum waren – oder, wie wir heute sagen würden, ein steinzeitliches Mondobservatorium.

Dezimalzeit

Am 24. November 1793 beschloss der französische Nationalkonvent, dass nicht nur Masse und Gewichte, sondern neu auch die Zeit auf der Zahl 10 beruhen sollte. Das Dezimalsystem galt als Ausdruck reiner Vernunft. Wie beim Meter oder beim Gramm sollte die natürliche Zahl 10 neu auch die Grundlage der Zeitmessung sein.

Zuvor war im selben Jahr der Revolutionskalender beschlossen worden. Der hatte schon die Dezimalwochen eingeführt – vom «primdi», dem ersten Wochentag, bis zum «decadi», dem letzten. Und nun sollte also auch die Tageszeit dezimal werden. Das brachte eine gewaltige Umstellung mit sich. Jeder Tag sollte 10 Stunden haben, jede Stunde 100 Minuten, jede Minute 100 Sekunden. Auf einmal hiess es also «5 Uhr mittags», Mitternacht war um 10 Uhr.

Das klang zwar logisch, brachte aber ein ziemliches Problem mit sich. Alle notabene enorm kostspieligen Uhren hatten die Zeit bisher duodezimal (12 Stunden) und sexagesimal (60 Minuten, 60 Sekunden) gemessen. Sie wurden durch das neue Gesetz auf einen Schlag unbrauchbar. Und neue Uhren, deren Stunden und Minuten auf der 10 beruhten, mussten erst einmal gebaut werden. Bei aller Liebe zum neuen Dezimalsystem war das den Revolutionären am Ende dann doch zu teuer: Gut ein Jahr später, am 7. April 1795, wurde das Dezimalzeitgesetz ausgesetzt. In Kraft trat es nie, und die wenigen tatsächlich gebauten Dezimaluhren sind heute Museumsstücke.

Bus

Der pensionierte Oberst Stanislas Baudry ist ein gewiefter Geschäftsmann. In einem Dorf ausserhalb von Nantes besitzt er eine Mühle, die von Dampfmaschinen angetrieben wird. Das heisse Wasser seiner Maschinen, so denkt er sich, müsste sich doch weiternutzen lassen, und so lässt er gleich nebenan ein öffentliches Bad bauen. Bloss, die Stadt ist weit, und die Badegäste bleiben aus. Also lässt Baudry zu festen Zeiten Pferdekutschen fahren – von Nantes zu seinem Bad. Tatsächlich: Bei der Abfahrt sind die Wagen rappelvoll, doch beim Badehaus kommen sie leer an: Die Menschen fahren mit den Kutschen in der Stadt umher und steigen nach Belieben wieder aus. Unternehmer Baudry versteht, schliesst kurzerhand Bad und Mühle und eröffnet 1825 in der Stadt ein öffentliches Kutschennetz.

Bleibt die Sache mit dem Namen. Am Anfang heisst die Firma «Entreprise générale des dames blanches», benannt nach der damals sehr populären Oper «La dame blanche» des Komponisten François-Adrien Boieldieu. Die weissen Damen verheissen zwar reichlich Glamour, sind aber irreführend, weil der Kutschendienst ja für alle gedacht ist, egal welchen Geschlechts oder welcher Schicht. Also werden die Kutschen umbemalt und tragen neu den lateinischen Namen «Omnibus», auf Deutsch «für alle». Der Betrieb floriert, und Baudry expandiert nach Bordeaux und Paris. Bald heissen öffentliche Kutschen überall «Omnibus», später «Autobus» – und heute, kurz und bündig, einfach «Bus».

Hungerbrot

Hungerbrot ist Brot, wie es in Notzeiten gebacken wurde. Es war hart, nur etwa faustgross, und das Mehl war mit Gras, Stroh oder sogar Sägemehl gestreckt. Gebacken wurde Hungerbrot vor allem im Jahr 1816, das als «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte einging. Ein Jahr davor war der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen und hatte Zehntausende in den Tod gerissen. Milliarden Tonnen Staub, Asche und Schwefel legten sich wie ein Schleier um die Erde und liessen das Klima abkühlen. In den USA gab es im Sommer Frostnächte, in Europa Unwetter und Überschwemmungen. In der Schweiz schneite es jeden Monat, am 2. und am 30. Juli 1816 sogar bis in tiefe Lagen.

Ernteausfälle liessen die Getreidepreise in die Höhe schiessen, und Brot wurde für Arme schier unerschwinglich. Chronisten berichten, dass Menschen vor lauter Hunger sogar Gras assen. Wer kostbares Mehl besass, streckte es mit allem, was zur Hand war – in Schweden gab es Hungerbrot mit Sauerampfersamen, in Finnland mit Kiefernrinde, überall in Europa mit Eicheln. Die Fasern vermittelten zwar das Gefühl, satt zu werden, aber die Brote waren hart wie Stein und enthielten viel weniger Vitamine und Nährstoffe.

Das «Jahr ohne Sommer» brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein, und Andenken sollten die Menschen an die Hungersnot erinnern: Eine Familie aus Hohenheim bei Stuttgart bewahrt bis heute ein Kästchen auf mit zwei kleinen, trockenen Hungerbroten. Auf seinem Boden steht zu lesen: «Anno 1817 haben diese 2 Creuzer Weken 2½ Loth gewogen».

Patent Ochsner

Jakob Ochsner baut Fuhrwerke für die Landwirtschaft. Das Wagner-Handwerk hat er bei seinem Vater im schaffhausischen Oberhallau gelernt. Erst 22, wandert er 1880 nach Chicago aus und stellt fest: Hier sind nicht nur die Möglichkeiten unbegrenzt, sondern auch der Abfall, der sich in den Strassen türmt und zum Himmel stinkt.

Zurück in der Schweiz, hat Ochsner eine Idee: In Zürich fängt er an, neuartige Metalleimer mit Deckel zu bauen und dazu Müllwagen mit Containern. Der Clou: Die Eimer passen genau auf die Öffnungen der Container, und die wiederum passen exakt auf die Feuerklappen der Verbrennungsanlage. Einmal im Kübel, erblickt der Abfall nie mehr das Tageslicht. Die Abfuhr bleibt quasi staub- und geruchsfrei.

1908 wird das System Ochsner mit seinen erst viereckigen, später dann runden Eimern eingeführt. Auf dem Deckel prangt das Schweizerkreuz; spätere Modelle tragen sogar das passende Kantonswappen und eine Nummer, um Diebstahl vorzubeugen. 1926, im Todesjahr seines Erfinders, wird der Ochsnerkübel für alle Zürcher Haushalte obligatorisch, andere Städte folgen.

1930 wird der markante Kessel von Ochsner & Cie.patentiert, aus dem «System Ochsner» wird das «Patent Ochsner». In den 70er- und 80er-Jahren schliesslich wird der Eimer vom Abfallsack aus Plastik abgelöst. Heute sind die Kübel Sammlerstücke, und «Patent Ochsner» ist nur noch der Name einer Berner Mundartband.