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Bus

Der pensionierte Oberst Stanislas Baudry ist ein gewiefter Geschäftsmann. In einem Dorf ausserhalb von Nantes besitzt er eine Mühle, die von Dampfmaschinen angetrieben wird. Das heisse Wasser seiner Maschinen, so denkt er sich, müsste sich doch weiternutzen lassen, und so lässt er gleich nebenan ein öffentliches Bad bauen. Bloss, die Stadt ist weit, und die Badegäste bleiben aus. Also lässt Baudry zu festen Zeiten Pferdekutschen fahren – von Nantes zu seinem Bad. Tatsächlich: Bei der Abfahrt sind die Wagen rappelvoll, doch beim Badehaus kommen sie leer an: Die Menschen fahren mit den Kutschen in der Stadt umher und steigen nach Belieben wieder aus. Unternehmer Baudry versteht, schliesst kurzerhand Bad und Mühle und eröffnet 1825 in der Stadt ein öffentliches Kutschennetz.

Bleibt die Sache mit dem Namen. Am Anfang heisst die Firma «Entreprise générale des dames blanches», benannt nach der damals sehr populären Oper «La dame blanche» des Komponisten François-Adrien Boieldieu. Die weissen Damen verheissen zwar reichlich Glamour, sind aber irreführend, weil der Kutschendienst ja für alle gedacht ist, egal welchen Geschlechts oder welcher Schicht. Also werden die Kutschen umbemalt und tragen neu den lateinischen Namen «Omnibus», auf Deutsch «für alle». Der Betrieb floriert, und Baudry expandiert nach Bordeaux und Paris. Bald heissen öffentliche Kutschen überall «Omnibus», später «Autobus» – und heute, kurz und bündig, einfach «Bus».

Hungerbrot

Hungerbrot ist Brot, wie es in Notzeiten gebacken wurde. Es war hart, nur etwa faustgross, und das Mehl war mit Gras, Stroh oder sogar Sägemehl gestreckt. Gebacken wurde Hungerbrot vor allem im Jahr 1816, das als «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte einging. Ein Jahr davor war der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen und hatte Zehntausende in den Tod gerissen. Milliarden Tonnen Staub, Asche und Schwefel legten sich wie ein Schleier um die Erde und liessen das Klima abkühlen. In den USA gab es im Sommer Frostnächte, in Europa Unwetter und Überschwemmungen. In der Schweiz schneite es jeden Monat, am 2. und am 30. Juli 1816 sogar bis in tiefe Lagen.

Ernteausfälle liessen die Getreidepreise in die Höhe schiessen, und Brot wurde für Arme schier unerschwinglich. Chronisten berichten, dass Menschen vor lauter Hunger sogar Gras assen. Wer kostbares Mehl besass, streckte es mit allem, was zur Hand war – in Schweden gab es Hungerbrot mit Sauerampfersamen, in Finnland mit Kiefernrinde, überall in Europa mit Eicheln. Die Fasern vermittelten zwar das Gefühl, satt zu werden, aber die Brote waren hart wie Stein und enthielten viel weniger Vitamine und Nährstoffe.

Das «Jahr ohne Sommer» brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein, und Andenken sollten die Menschen an die Hungersnot erinnern: Eine Familie aus Hohenheim bei Stuttgart bewahrt bis heute ein Kästchen auf mit zwei kleinen, trockenen Hungerbroten. Auf seinem Boden steht zu lesen: «Anno 1817 haben diese 2 Creuzer Weken 2½ Loth gewogen».

Patent Ochsner

Jakob Ochsner baut Fuhrwerke für die Landwirtschaft. Das Wagner-Handwerk hat er bei seinem Vater im schaffhausischen Oberhallau gelernt. Erst 22, wandert er 1880 nach Chicago aus und stellt fest: Hier sind nicht nur die Möglichkeiten unbegrenzt, sondern auch der Abfall, der sich in den Strassen türmt und zum Himmel stinkt.

Zurück in der Schweiz, hat Ochsner eine Idee: In Zürich fängt er an, neuartige Metalleimer mit Deckel zu bauen und dazu Müllwagen mit Containern. Der Clou: Die Eimer passen genau auf die Öffnungen der Container, und die wiederum passen exakt auf die Feuerklappen der Verbrennungsanlage. Einmal im Kübel, erblickt der Abfall nie mehr das Tageslicht. Die Abfuhr bleibt quasi staub- und geruchsfrei.

1908 wird das System Ochsner mit seinen erst viereckigen, später dann runden Eimern eingeführt. Auf dem Deckel prangt das Schweizerkreuz; spätere Modelle tragen sogar das passende Kantonswappen und eine Nummer, um Diebstahl vorzubeugen. 1926, im Todesjahr seines Erfinders, wird der Ochsnerkübel für alle Zürcher Haushalte obligatorisch, andere Städte folgen.

1930 wird der markante Kessel von Ochsner & Cie.patentiert, aus dem «System Ochsner» wird das «Patent Ochsner». In den 70er- und 80er-Jahren schliesslich wird der Eimer vom Abfallsack aus Plastik abgelöst. Heute sind die Kübel Sammlerstücke, und «Patent Ochsner» ist nur noch der Name einer Berner Mundartband.

Cyanometer

Ein Cyanometer ist ein einfacher Ring aus Karton. Seine Segmente zeigen, von hell bis dunkel, alle möglichen Blautöne an. Hält man das Cyanometer gegen den Himmel, findet man stets ein Blau, das zur aktuellen Himmelsfarbe passt.

Erfunden hat das Cyanometer der Genfer Naturforscher Horace Bénédict de Saussure in den 1760er-Jahren. De Saussure erkannte, dass der Blauwert auf den Wassergehalt der Luft schliessen lässt: Je blauer der Himmel, desto weniger Dampf, je weisser, desto mehr. De Saussure trug die Blautöne mit Wasserfarbe auf insgesamt 53 Papierstreifen auf, die er auf einen Pappring klebte, von weiss, das de Saussure mit «0» bezeichnete, über alle Blautöne hinweg bis hin zu schwarz , das den Wert «52» trug.

Solche Cyanometer pflegte de Saussure an befreundete Wissenschaftler abzugeben mit dem Ziel, das Himmelsblau an möglichst vielen verschiedenen Orten zu ermitteln. Tatsächlich trug der junge Alexander von Humboldt 1802 ein solches Cyanometer bei sich, als er in Ecuador den 6263 Meter hohen Chimborazo bestieg, der damals als höchster Berg der Erde galt. Der Aufstieg war beschwerlich, und die Alpinisten kämpften mit der Höhenkrankheit. Erst auf dem Gipfel klarte das Wetter auf und gab den Blick frei auf das dunkelste Blau, das bis dahin je gemessen wurde: 46 Grad auf dem Cyanometer.

Das Blau des Himmels messen kann heute jedermann: De Saussures Cyanometer gibt’s, ganz einfach, als App.

Meton-Zyklus

Der Astronom Meton lebte im 5. Jh. v. Chr. in Athen. Von ihm ist wenig bekannt – ausser dass er den nach ihm benannten Meton-Zyklus beschrieb, der ein astronomisches Rätsel löste. Mit dem Mond ist es nämlich so eine Sache: Seine Phasen lassen sich schlecht mit dem Kalenderjahr in Einklang bringen. Genau wie heute beruhte das Jahr im alten Griechenland auf dem Lauf der Sonne und hatte, etwas anders als heute, zwölf Monate zu 30 Tagen plus fünf Zusatztage. Ein Mondmonat dagegen, das ist die Zeit von Neu- bis Neumond, dauert rund 29,5 Tage, so dass sich die Kalender- und die Mondmonate immer leicht gegeneinander verschieben.

Astronomen hatten nun herausgefunden, dass 19 Jahre und 235 Mondphasen fast haargenau gleich lang sind. 19 zu 235 – mit diesem Meton-Zyklus liessen sich Sonnen- und Mondkalender endlich präzise miteinander in Beziehung bringen.

Allerdings nur fast: Ein Jahrhundert später stellten Wissenschaftler nämlich fest, dass vier Meton-Zyklen – also 76 Jahre – um einen Tag zu lang sind. Ohne diesen überschüssigen Tag ergab sich so neu ein Jahr von 365¼ Tagen – und das hiess nichts anderes, als dass man einmal in vier Jahren einen zusätzlichen Schalttag einfügen musste. Julius Cäsar höchstpersönlich übernahm diesen vierjährlichen Schalttag, und so ist es Cäser – und davor dem Griechen Meton – zu verdanken, dass der Februar in Schaltjahren 29 Tage hat.