Hungerbrot ist Brot, wie es in Notzeiten gebacken wurde. Es war hart, nur etwa faustgross, und das Mehl war mit Gras, Stroh oder sogar Sägemehl gestreckt. Gebacken wurde Hungerbrot vor allem im Jahr 1816, das als «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte einging. Ein Jahr davor war der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen und hatte Zehntausende in den Tod gerissen. Milliarden Tonnen Staub, Asche und Schwefel legten sich wie ein Schleier um die Erde und liessen das Klima abkühlen. In den USA gab es im Sommer Frostnächte, in Europa Unwetter und Überschwemmungen. In der Schweiz schneite es jeden Monat, am 2. und am 30. Juli 1816 sogar bis in tiefe Lagen.
Ernteausfälle liessen die Getreidepreise in die Höhe schiessen, und Brot wurde für Arme schier unerschwinglich. Chronisten berichten, dass Menschen vor lauter Hunger sogar Gras assen. Wer kostbares Mehl besass, streckte es mit allem, was zur Hand war – in Schweden gab es Hungerbrot mit Sauerampfersamen, in Finnland mit Kiefernrinde, überall in Europa mit Eicheln. Die Fasern vermittelten zwar das Gefühl, satt zu werden, aber die Brote waren hart wie Stein und enthielten viel weniger Vitamine und Nährstoffe.
Das «Jahr ohne Sommer» brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein, und Andenken sollten die Menschen an die Hungersnot erinnern: Eine Familie aus Hohenheim bei Stuttgart bewahrt bis heute ein Kästchen auf mit zwei kleinen, trockenen Hungerbroten. Auf seinem Boden steht zu lesen: «Anno 1817 haben diese 2 Creuzer Weken 2½ Loth gewogen».