Alle Beiträge von twb

Steckenpferd

Ein Holzstiel, am einen Ende ein hölzerner Pferdekopf mit zwei Griffen, und fertig ist das Spielzeugpferd. Schon in der Antike ritten Kinder auf Steckenpferden umher. Im Mittelalter sollte das Steckenpferd den Buben ritterliche Ideale vermitteln, und als Motiv ziert es sogar Familienwappen. Weil es auch in alten, heidnischen Bräuchen vorkam, gab es sogar Versuche der Kirche, das Steckenpferd zu verbieten.

In Osnabrück spielt das Steckenpferd eine ganz besondere Rolle. Auf der Treppe des Rathauses wurde 1648 der Westfälische Friede verkündet – ein Friede, der dem dreissigjährigen Krieg mit seinen Millionen von Toten ein Ende setzte. Jedes Jahr am 25. Oktober erinnern die Kinder der Stadt an diesen Friedensschluss, indem sie

Wir Reiter zieh’n durch Osnabrück!

singen und mit ihren Steckenpferden über die Rathaustreppe reiten. Heute ist das Dressurreiten und Springen auf Steckenpferden sogar eine regelrechte Trendsportart: In der finnischen Stadt Seinäjoki werden jedes Jahr Meisterschaften ausgetragen, die Hunderte von Reiterinnen und Tausende Besucher anziehen.

Auf Englisch heisst das Steckenpferd hobby-horse, vom Wort hobby, das im 15. Jh. «kleines Pferd» bedeutete und ebenso für das Kinderspielzeug stand. Die Begeisterung der Kinder übertrug sich auch auf das Wort, so dass hobby-horse im übertragenen Sinn auch «Liebhaberei» bedeuten konnte. To ride one’s hobby-horse im Sinne von «einer Lieblingsbeschäftigung nachgehen» wurde mit der Zeit zum modernen «Hobby», und umgekehrt steht auch heute noch das «Steckenpferd» für das, was wir am allerliebsten tun.

Khipu

Eine Schrift aus lauter Knoten: Die alten Inkas knüpften Botschaften in Schnüre aus Tierhaar, die sogenannten «Khipus». «Khipu» heisst wörtlich «Knoten», und ein «Khipu» sieht aus wie ein fächerförmiger Halsschmuck. Es besteht aus einer Hauptschnur, von der Dutzende von Nebenschnüren herabhängen, auf denen feine Knoten sitzen.

Bis heute wurden rund 800 «Khipus» gefunden, viele davon sind hervorragend erhalten. Die ältesten stammen von südamerikanischen Völkern des 7. Jh. n. Chr.; die meisten von den Inka, die vom 12. bis ins 16. Jh. ein Gebiet beherrschten, das von Equador über Peru und Bolivien bis nach Chile und Argentinien reichte.

Die Knoten waren keine Schrift für jedermann: Nur besonders ausgebildete Beamte waren in der Lage, sie zu knüpfen und zu lesen. «Khipus» waren denn auch eine Art Akten: 2016 wurde in Bolivien ein Lagerhaus aus dem 16. Jh. entdeckt, zusammen mit 29 Khipus, deren Knoten Zahlen bedeuten, die die gelagerte Menge an Erdnüssen, Chilis, Bohnen oder Mais festhielten. An einigen Stellen waren die Knoten aufgelöst, um bei Änderungen wieder neu geknüpft zu werden. Andere Khipus halten Steuern und geschuldete Arbeitsleistungen fest; ein ganz besonderes Khipu ist ein Kalender des Inkajahres 1532/33, mit 12 Mondmonaten plus einer Schnur mit 10 eingeschobenen Schalttagen.

Noch aufwändigere Khipus dienten dem Schriftverkehr: Ihre unterschiedlich gezwirnten und gefärbten Schnüre mit noch komplexeren Knoten bilden eine Silbenschrift für Briefe und Erzählungen. Diese Schrift allerdings lässt sich, im Gegensatz zu den Zahlenknoten, bis heute nicht entziffern.

Bezoar

Ein Bezoar ist ein kugelförmiger oder länglicher, grauer, brauner oder schwarzer und vor allem seltener Stein. Nüchtern betrachtet, ist er eine ausgesprochen unappetitliche Sache: Er entsteht im Magen eines Tieres, gelegentlich auch des Menschen, wenn sich Unverdauliches wie Haar oder Fasern verklumpt. Bei Wiederkäuern, deren Mageninhalt immer wieder umgewälzt wird, kann sich ein solcher Klumpen im Verdauungstrakt einnisten und mit der Zeit versteinern – wird das Tier geschlachtet, kommen die harten, glänzenden Kugeln zum Vorschein. So ansehnlich sie auch sein mögen: In der Tiermedizin gilt ein Bezoar als sogenannter pathologischer Gastrolith, auf Deutsch ein Magenstein.

Und doch war ein Bezoar begehrt und seinem Besitzer lieb und teuer: Besonders ansehnliche Exemplare, die vor allem von Gämsen und Bezoarziegen stammten, wurden nicht selten in Gold gefasst und als Schmuckstück um den Hals getragen. Denn Bezoaren sagte man seit der Antike einen Schutz vor Vergiftungen nach – das Wort padzahr stammt aus dem Persischen und bedeutet wörtlich «gegen Gift». Besonders europäische Herrscher, die sich vor Giftanschlägen fürchteten, hielten ihre kostbar verzierten Bezoare in Ehren – obwohl Ambroise Paré, der Leibarzt des französischen Königs, schon 1565 nachgewiesen hatte, dass der Glaube an die heilenden Steine Humbug war. Das Experiment: Ein Koch hatte Silberbesteck gestohlen und war zum Tode verurteilt worden. Ihm wurde ein Gift verabreicht und danach ein Pulver aus zermahlenem Bezoar; sieben Stunden später war der Koch tot. So findet man Bezoare heute nur noch in Pharmazie- und Medizinmuseen – und manchmal in den Schatzkammern des europäischen Hochadels.

Quengelware

Bonbons und Schokoriegel im Gestell bei der Kasse heissen deshalb «Quengelware», weil sie Kindern regelmässig die Tränen in die Augen und Eltern die Zornesröte ins Gesicht treiben. Weil Kindertränen aber ziemlich gute Argumente sind, wird Quengelware überdurchschnittlich oft gekauft. Und deshalb wird sie ganz bewusst in der sogenannten «Bückzone» platziert, wo sie Kindern förmlich ins Auge fällt. Dabei liegt die Auslage meistens auf der rechten Seite, weil die meisten Menschen Rechtshänder sind und eher Waren betrachten, die rechts ausliegen – aus diesem Grund finden sich in Supermärkten rechts die gewinnträchtigeren Waren, links dagegen die alltagsnotwendigen. An der Kasse schliesslich wäre eine Platzierung längs des Gangs ein Hindernis, weil so die Auslage nur aus dem Augenwinkel sichtbar wäre. Deshalb wird Quengelware quer zur Blickrichtung ausgelegt – und ist damit unübersehbar. Manche Supermärkte gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie vermeiden eine Präsentation in geordneten Reihen und schütten die Quengelware statt dessen in einen Regalkorb – die scheinbar nachlässig ausgelegten Artikel, absichtlich in kleine Hüllen abgepackt, suggerieren dabei einen besonders tiefen Preis, was die Bereitschaft genervter Eltern erhöht, dem Betteln der lieben Kleinen nachzugeben.

Das Prinzip «Quengelware» ist unter Beschuss geraten, weil Süssigkeiten für kindliches Übergewicht mitverantwortlich sind. Nachdem die Stadt Berkeley in Kalifornien Süssigkeiten bereits ganz aus dem Kassenbereich verbannt hat, soll das strategische Platzieren von Quengelware in Grossbritannien noch in diesem Jahr verboten werden.

Hash

#foodporn, #metoo, #art: Der Hashtag ist in aller Munde – oder besser: in aller Hand. Die sozialen Medien strotzen nur so von klickbaren Schlüsselwörtern, die immer mit einem sogenannten hash beginnen. Auch der Hash selbst kennt viele Namen. Das charakteristische Zeichen aus zwei senkrechten und zwei waagrechten Strichen heisst auf Deutsch «Doppelkreuz», «Raute», «Lattenzaun», «Kanalgitter» oder «Schweinegatter» – und auf Schweizerdeutsch meist ganz einfach «Gartehag».

Der Hashtag ist zwar eine Erfindung des Computer-Zeitalters; den Hash als typografisches Zeichen dagegen gibt es schon seit dem Mittelalter. Das römische Pfund hiess auf Latein libra pondo. Aus pondo wurde schliesslich das deutsche Pfund, und libra, ebenfalls ein Wort für «Pfund», wurde von englischen Schreibern seit dem 14. Jahrhundert abgekürzt – als «lb» mit einem darüberliegenden horizontalen Strich, um die Abkürzung anzuzeigen. Im frühen Buchdruck gab es sogar ein «lb»-Zeichen mit Überstrich, währenddem sich das handschriftliche, oft hastig hingeworfene Pfund-Zeichen verschliff und zum «Lattenzaun» wurde, den wir heute auf Englisch hash nennen.

Und der kann noch viel mehr als nur soziale Medien. In der Musik erhöht er als Ersatzzeichen für das Kreuz um einen Halbton, in Computersprachen kennzeichnet er Kommentare oder Sprungmarken. Den «Hash» finden wir auf der Telefontastatur und auf Rechenmaschinen; er bezeichnet Nummern und Parallelogramme, bedeutet Schachmatt und – in der Medizin – sogar den Bruch eines Knochens. Der Hash im Hashtag ist ein Hansdampf in allen Gassen.