Klischee

Berner sind langsam und behäbig, Zürcher schnell und hochnäsig. So will es das Klischee. Es ist ein Stereotyp, eine abgegriffene Vorstellung, ein gedanklicher Abklatsch – und ist es negativ besetzt, wird es gar zum ausgewachsenen Vorurteil.

Das Klischee ist uralt. Es stammt aus einer Zeit, in der Druckerpressen noch lärmende Maschinen waren, die ächzten und rasselten und penetrant nach frischer Druckfarbe rochen. Ein Klischee ist ursprünglich eine Druckform für den Hochdruck, die – im Gegensatz zu den Bleilettern – aus Kupfer, Zink oder Messing besteht und grafische Motive drucken kann. Ein Klischee muss immer eigens für seinen ganz bestimmten Zweck angefertigt werden: Auf die Metallplatte wird eine lichtempfindliche Schicht aufgebracht, das Druckmotiv anschliessend aufbelichtet. Das Licht lässt die Schicht härten, die unbelichteten Stellen dagegen bleiben wasserlöslich und lassen sich abspülen. Das Metall wird dann mit Säure weggeätzt. So bleiben nur die belichteten Partien erhöht und hinterlassen später einen Abdruck.

Das Wort «Klischee» kommt vom französischen clicher (auf Deutsch «nachbilden», «zum Druckrelief formen»). Sein Ursprung ist ein spätmittelalterliches Wort aus den Zeiten Johannes Gutenbergs: Clic ahmt das Geräusch des Druckstocks nach, der aufs Papier gepresst wird. Und wie die Form auf dem Papier Mal für Mal dieselbe Spur hinterlässt, greifen wir gern zum gedanklichen Klischee. Jedenfalls wenn‘s um Berner oder Zürcher geht.

Kodak

In «Dwayne’s Photo» ging eine Ära zu Ende: Am 31. Dezember 2010 wurde hier, im kleinen Familienunternehmen in Kansas, der buchstäblich letzte Kodachrome-Film entwickelt, jener legendäre Farbfilm, der seit seiner Einführung 1935 für Generationen von Amateuren und Profis der Inbegriff der Fotografie war.

Kodak
Alle haben wir zahllose dieser Blechhülsen mit dem lichtempfindlichen Kodak-Film sorgsam in die Kamera eingelegt: je nach Budget Farbnegativ oder Dia, 24 oder 36 Fotos lang. Auf Reisen mussten es schon ein oder zwei Dutzend sein – schwer vorstellbar in einer Zeit, in der daumennagelgrosse Chips bereits Zehntausende von Bildern speichern.

«Kodak», das war ein Kunstwort des Erfinders George Eastman, Jahrgang 1854. Eastman, ein Schulabbrecher und Postbote mit einem Wochengehalt von 3 Dollar, fand auf Umwegen den Weg in die Fotobranche. 1884 kaufte er einem Kollegen das Patent für den Rollfilm ab, und zwei Jahre später kam die erste Kamera namens «Kodak Nr. 1» auf den Markt. Der Rest ist Geschichte: Die Eastman Kodak Company ist einer der grossen Konzerne dieser Welt. Die Zeichen der Zeit allerdings haben George Eastmans Erben zu spät erkannt: Die Aktie verlor in den letzten zehn Jahren neun Zehntel ihres Werts, die weltweit 25 hoch spezialisierten Kodachrome-Grosslabors schlossen eines ums andere ihre Tore, Tausende wurden entlassen.

«Dwayne’s Photo» in Kansas hielt am längsten durch. Der buchstäblich allerletzte, an Silvester entwickelte Film enthielt ein Gruppenbild: von der Belegschaft in T-shirts mit der Aufschrift «Kodachrome 1935-2010».

Kolophonium

Kolophonium ist ein Harz, ein Baumharz von Kiefern, Fichten und Tannen. Die Baumstämme werden im Frühjahr geritzt, im Herbst wird das Harz geerntet und destilliert. So gewinnt man Terpentinöl, und zurück bleibt festes Kolophonium in Farben von Gelb bis Dunkelbraun.

Sein Name kommt von der griechischen Stadt Kolophon, dem antiken Handelszentrum für Harze, in der heutigen Türkei.

Kolophonium braucht man in der Elektronik fürs Löten oder auch für Schutzlackierungen, in der Kunst braucht man das Harzpulver für die Aquatinta-Technik, in der Heilkunde dient es als antiseptisches Räucherwerk. Und im Sport macht das Kolophonium den Handball griffiger.

Und man braucht es in der Musik. Und wie man es braucht! Ohne Kolophonium würde das Pferdehaar des Geigenbogens sanft und glatt über die Saite streichen, und zu hören wäre ein reibendes, flüsterndes Nichts. Daher wurden die allerersten Saiteninstrumente nicht mit Haar, sondern mit aufgerauhten, eingekerbten Reibstäben traktiert. Im frühen Mittelalter kam dann der mit Rosshaar bespannte Bogen in Mode. Sein Haar, mit Geigenharz eingerieben, wurde rauh und konnte so eine Saite viel weicher zum Klingen zu bringen.

Kolophonium ist nicht gleich Kolophonium, denn: Geige ist nicht gleich Kontrabass, eine Darmsaite ist nicht dasselbe wie eine aus Stahl, in den Tropen spielt sich’s anders als im Norden – je nachdem ist ein anderes Harz nötig.

Und nach dem Konzert wird dann der Kritiker von einer grossartigen Interpretation schreiben, von einer überragenden Solistin. Von Geigenharz hat noch kein Kritiker geschrieben. Eigentlich unfair: Ohne Kolophonium hätte nämlich kein Streicher auch nur einen einzigen brauchbaren Ton hervorgebracht.

Komma

Das Komma,

sagt der Duden,

ist ein Gliederungszeichen. Innerhalb eines Ganzsatzes grenzt es bestimmte Wörter, Wortgruppen oder Teilsätze voneinander oder vom übrigen Text des Satzes ab.

Das klingt, Komma, wie wir alle wissen, Komma, viel einfacher, kein Komma, als es ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass derselbe Duden volle 32 Kommaregeln kennt, an denen sich selbst die kundigsten Schreiber die Zähne ausbeissen.

In erster Linie hilft das Komma, Sinneinheiten voneinander zu trennen. Es ist keine Schikane, sondern eine Lese- und Verständnishilfe – und es vermag verschiedene Bedeutungen ansonsten identischer Sätze zu unterscheiden.

Männer sagen, Frauen können nicht Auto fahren.

ist in der Tat nicht dasselbe wie

Männer, sagen Frauen, können nicht Auto fahren.

Komma kommt zwar vom altgriechischen Wort für «Einschnitt» (daher auch der Plural «Kommata»), aber tatsächlich ist es ziemlich jung. Es wurde erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts erfunden, vom venezianischen Buchdrucker Aldo Pio Manuzio. Bis dahin wurden lediglich die Hauptsätze voneinander getrennt, mit einer sogenannten Virgel, die unserem heutigen Schrägstrich gleicht. In seiner Ausgabe der Werke Petrarcas machte Manuzio aus der Virgel einen Punkt; einzelne Perioden innerhalb des Satzes trennte er typografisch durch einen tiefgestellten Krähenfuss, dem Urahn unseres heutigen Kommas. Die Virgel selbst verschwand erst ums Jahr 1700 aus dem Fraktursatz, und als Wort hat sie bis heute überlebt – «Komma» heisst auf Italienisch und Französisch immer noch virgola und virgule.

Kultur

Je höher die Kultur, desto reicher die Sprache,

schrieb Anton Tschechow im Jahr 1892. So gesehen, ist die Sprache ausgesprochen neureich. Denn Kultur ist, zumindest in seiner heutigen Bedeutung, kein altes Wort. Seit dem 17. Jahrhundert steht das lateinische Substantiv cultura für Landbau, aber auch für Pflege – Pflege des Körpers, des Geistes. Hochkultur und Agrikultur: Bis heute steht das Wort gleichberechtigt für Landwirtschaft und für die Pflege geistiger Güter, so dass Geisteskultur streng genommen ein Pleonasmus ist, genau wir der berühmte weisse Schimmel aus der Primarschule.

Lateinisch cultura geht auf das Verb colere zurück, das bebauen, bewohnen, pflegen, oder ehren heisst. Dieser Bedeutung haftet etwas Konservatives, etwas Bewahrendes an. Aber: Auch das Wort Kultur ist durchaus modeanfällig. Die Eigenschaft «kulturell» nämlich wurde erst im 20. Jahrhundert und mit der modischen, elegant-französischen Endsilbe gebildet. Und das deutsche Kultusministerium verdankt seinen klingenden Namen dem modischen, gelehrt-lateinischen cultus, wörtlich bebaut, bewohnt. Das Kultusministerium ist aber weder für Landwirtschaft noch für Wohnungsbau zuständig, sondern vielmehr für die Bildung.

Kultur wird oft als Gegenteil von Natur verstanden und meint damit alles, was Menschen erdacht, gelernt und geleistet haben, von Kunst bis Knigge, sozusagen. Sprachlich hat die Kultur hat aber auch ihre Schattenseiten: Dass die mit dem Wort Kultur verwandte Kolonie nicht die Sprache reich macht, wie Tschechow sagt, zeigt ein Blick in die Geschichte. An Kolonien bereichert haben sich ausgerechnet Grossmächte, die damit ihre eigene humanistische Kultur Lügen straften.