Risiko

Wenn Sie alle Risiken vermeiden wollen, haben Sie bald keine Risiken mehr zu vermeiden, weil Sie nicht mehr im Geschäft sind.

Solcherlei Logik stammt von Joe Ackermann, dem Noch-Chef der Deutschen Bank und Bald-Chef der Zürich-Versicherung.

Was heute an den Märkten in aller Munde ist, hatte früher ganz einfach mit Mut zu tun – ob mit dem Mut des Seefahrers oder dem des Ritters, darüber streitet die Sprachwissenschaft bis heute. Risiko geht, so sagen die einen, auf das griechische rhizikon oder das spanische risco zurück, auf Deutsch «Klippe». Die anderen sind davon überzeugt, dass Risiko von einem frühromanischen Verb rixicare abstammt, auf Deutsch «streiten, Widerstand leisten». Und so streiten die Forscher munter weiter, auch wenn beide, die Seefahrer und die Turnierkämpfer, den schlagenden Beweis schuldig bleiben.

Ob zu Wasser oder zu Land: Der Kampf mit den Wellen und der gegen den Gegner war unberechenbar. Und eben diese Unkalkulierbarkeit war zu allen Zeiten der Schrecken der Kaufleute. Ob ihre Schiffsladung an Klippen zerschellte oder einem Krieg zum Opfer fiel – das Geschäft war und blieb ein Wagnis.

Wie der Kaufmann mit diesem Risiko umgeht, das beschreibt die so genannte Entscheidungstheorie. Schielt er nach dem grössmöglichen Gewinn und setzt alles auf eine Karte, ist er risikoaffin. Entscheidet er dagegen allein nach sachlichen Kriterien, ist er risikoneutral, geht er auf Nummer sicher, dann ist er risikoscheu. Und die Ackermänner dieser Welt wissen: Vermeidet der Kaufmann das Risiko ganz, dann ist er bald keiner mehr.

Rubinstein, Jon

Wie jedes Jahr lud Apple Ende Februar 2001 zur Kultmesse, auf der der oberste Apple-Chef Steve Jobs jeweils seine neuesten Gadgets vorstellt. Der Konferenzsaal an der «Macworld» in Tokio war restlos ausgebucht, und Jobs sprach: Digitalkameras und Organizer hätten längst ihren Siegeszug angetreten, nur die Musikplayer, das wohl wichtigste Requisit des modernen Menschen, seien nach wie vor «gross und sperrig oder aber klein und nutzlos», ihre Software «unglaublich hässlich». Das Publikum hörte gebannt hin – volle 12 Minuten lang unterbrach kein Applaus das Evangelium des Steve Jobs, bis dato ein Rekord.

Nur einer fehlte im Saal: der Apple-Entwicklungschef Jon Rubinstein. Der nutzte die Messe für eine Stippvisite bei den Ingenieuren von Toshiba. Die führten ihm voller Stolz ihre neueste Errungenschaft vor: eine nur viereinhalb Zentimeter kleine Computerfestplatte mit einer Kapazität von 5 Gigabyte. Auf Rubinsteins verblüffte Frage, wozu dieser Winzling denn dienen sollte, herrschte betretenes Schweigen: Toshiba hatte schlicht keine Ahnung.

Jon Rubinstein dagegen schon. Kurzerhand lieh er sich das Minilaufwerk aus, führte es seinem Chef Steve Jobs vor und machte sich ans Werk. Nur acht Monate später war er geboren: der allererste iPod von der Grösse einer Handseife, mit gerundeten Kanten, elegant verchromtem Rücken, blau leuchtendem Display und Platz für 1000 Songs.

Ein Wunderding. Zusammen mit der Musiksoftware iTunes und dem Music Store machte der iPod Apple zum Giganten: Bis heute sind gegen 300 Millionen Stück verkauft, und das laufende Geschäftsjahr wird für Apple ein glänzendes sein: mit einem Gewinn von über 20 Milliarden Dollar.

Sabotage

Moses hob den Stab und schlug ins Wasser, vor Pharao und seinen Beamten. Und das Wasser verwandelte sich in Blut. Die Fische starben, und der Strom begann zu stinken, so dass die Ägypter das Wasser nicht mehr trinken konnten.

Die erste der zehn Plagen, die über Ägypten kamen, ist, je nach Standpunkt, eine gerechte Strafe – oder aber eine frühe Form von Sabotage. Ein Saboteur ist, wer mit Absicht staatliche, wirtschaftliche oder militärische Einrichtungen schädigt, sei es durch passiven Widerstand oder durch gezielte Beschädigung oder Zerstörung.

Das Wort kommt vom französischen sabot, wörtlich «Holzschuh», auch «Bremsklotz» oder «Hemmschuh». Ende des 19. Jahrhunderts diskutierte die französische Arbeiterbewegung Sabotageakte als legitimes Mittel des Klassenkampfs. Im grossen französischen Eisenbahnerstreik von 1910 zerschlugen die Arbeiter die sabots genannten Halterungen der Schienen, um die Züge zum Entgleisen zu bringen.

Die zerstörerische Idee machte Schule: Vordenker der in den USA gegründeten Gewerkschaft «Industrial Workers of the World» propagierten in vielbeachteten Broschüren die Sabotage von Maschinen und Anlagen als wirksame Waffe der Arbeiterbewegung. «Sabotage», so schrieb 1916 die Aktivistin und spätere Kommunistin Elizabeth Gurley Flynn, sei «der bewusste Entzug der industriellen Effizienz des Arbeiters». «Ich werde nicht versuchen, Sabotage zu rechtfertigen. Wenn die Arbeiter Sabotage aber für nötig halten, macht sie das automatisch zur moralischen Sache.»

Das sieht der Staat heute naturgemäss etwas anders. Laut schweizerischem Militärstrafrecht steht auf Sabotage eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.

Safir

Jacob Schmidheiny und sein Freund Anton Dufour waren jung, und sie waren Autonarren. Dufour war der erste Ostschweizer gewesen, der einen eigenen Wagen besass. 1907 gründeten die beiden die Autofabrik «Safir», eine Abkürzung für «Schweizer Automobil-Fabrik in Rheineck», einen Steinwurf vom heutigen Flughafen St. Gallen-Altenrhein entfernt.

Schmidheiny und Dufour stammten aus Industriellenfamilien, und Bescheidenheit war ihre Sache nicht. Schnelle Tourenwagen wollten sie bauen, dazu Busse und Lastwagen. Schon ein Jahr später, 1908, zog «Safir» ins Zürcher Industriequartier, dahin, wo heute der Prime Tower steht.

Unsere Kunden sprechen sich höchst anerkennend aus über die Rentabilität der von uns bezogenen Lastwagen,

rühmte der Firmenprospekt:

Geringster Benzinverbrauch, geringste Unterhaltskosten, geringste Gummiabnützung,

dazu Medaillen an Langstrecken-Testfahrten in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Belgien. Der 50 PS starke, maximal 97 km/h schnelle Tourenwagen mit seinem Kardanantrieb sei in der fünfwöchigen englischen Konkurrenzfahrt im Herbst 1907 «ohne jeden Defekt» angekommen und habe «den grössten Erfolg» errungen.

Dem Unternehmen dagegen war weniger Erfolg beschieden: Gegen die Wirtschaftskrise und die Konkurrenz im In- und Ausland kam «Safir» nicht an. Schon 1910, nach der Produktion weniger Dutzend Fahrzeuge, wurde der Betrieb wieder eingestellt. Gründer Jacob Schmidheiny aber machte weiter von sich reden: als Nationalrat, als Alleininhaber der gleichnamigen Ziegelei und als oberster Chef der Maschinenfabrik Escher Wyss.

Scheitern

Scheitern ist ganz einfach die Gelegenheit, nochmal von vorn anzufangen, nur diesmal intelligenter. Ehrlich zu scheitern, ist keine Schande. Eine Schande ist es nur, sich vor dem Scheitern zu fürchten.

Das schrieb 1922 der legendäre Autobauer Henry Ford in seiner Autobiografie «My Life and Work». Er musste es wissen: Obgleich ein Industriepionier von Weltrang, war Henry Ford tatsächlich ein Meister im Scheitern. Seine erste Autofirma, die Detroit Automobile Company, war, kaum gegründet, schon wieder bankrott. Seine Karriere als junger Autorennfahrer: ein Flop. Seine brasilianische Retortenstadt «Fordlândia» mit ihren Kautschuk-Plantagen für die Reifenherstellung: ein Desaster.

Scheitern will gelernt sein: Ohne Henry Ford wären das Auto und die industrielle Fertigung nicht, was sie heute sind. Und doch ist Scheitern verpönt, es einzugestehen, ist tabu. Das liegt nicht nur an der zwanghaft schönfärberischen Selbstdarstellung moderner Manager, sondern auch an der Herkunft des Wortes. «Scheitern» kommt nämlich von «zu Scheitern werden», und damit gemeint ist das Schicksal eines Schiffes, das an den Klippen zerschellt. Der hölzerne Rumpf, von der Brandung unerbittlich gegen den harten Fels gedrückt, gibt nach. Planken und Spanten, Gerüst und Aussenhaut des Schiffs, brechen auseinander und werden buchstäblich zu Scheitern – das Wort ist mit «scheiden» verwandt und bedeutet ursprünglich «das Gespaltene».

Und doch: Wer aus Furcht, zu scheitern, jedes Wagnis bleiben lässt, wird gar nicht erst zur See fahren, geschweige denn die Industrie revolutionieren wie ein Henry Ford.