Ghettoblaster

JVC RC-M90 oder Sharp GF-777: Sie waren die ungekrönten Könige der späten 1970-er und der 1980-er Jahre. Sie waren mit Tragegriff versehene Hi-Fi-Anlagen der Sonderklasse: 10 bis 15 Kilo schwer und mit bis zu 100 Watt Leistung, und sie pflegten Batterien zu fressen wie Kühe Gras. Mit ihrer Soundgewalt vermochten sie ganze Strassenzüge leerzufegen; nicht umsonst nannte man sie auf Englisch boombox oder ghetto blaster – von Englisch to blast, «in die Luft jagen». Tragbar waren sie mit Einschränkungen – mit mehr oder weniger elegantem Schwung pflegte sich der breaker die koffergrossen Kraftwerke auf die Schulter zu wuchten, um anschliessend mit rhythmischem Hüftschwung die hämmernden Bässe durchs Viertel zu tragen.

Ghettoblaster
Der Ghettoblaster war in den USA nicht nur Musikmaschine, sondern Programm. In den Vierteln sozial benachteiligter Schichten wurde der Ghettoblaster rasch zum Instrument einer Strassenkultur, die sich «Hip-hop» nannte und die eigentliche music battles auszutragen pflegte, Breakdance-Duelle, bei denen die b-boys genannten Tänzer gegeneinander antraten, sich zu Boden fallen liessen, um dort mit atemberaubend akrobatischen Drehungen und Sprüngen ihrem Protest lautstark Ausdruck zu geben.

Die «Rock Steady Crew», 1977 in der New Yorker Bronx entstanden, war eine dieser Gruppen. Ihre Tanzakrobaten mit Fantasienamen wie «Crazy Legs» oder «Frosty Freeze» trugen dazu bei, dass aus dem New Yorker Hip-Hop eine weltweite Bewegung wurde – und die Soundmaschine namens Ghettoblaster zum Statussymbol.

Goldberg, Rube

Reuben Lucius Goldberg, Jahrgang 1883, war Ingenieur mit Abschluss an der University of California in Berkeley. Seine wahre Leidenschaft aber galt dem Zeichnen, zuerst als Cartoonist in San Francisco, später in New York. Für seine politischen Karikaturen in der «New York Sun» erhielt Rube Goldberg 1948 den Pulitzer-Preis. Seine bekannteste Figur aber ist Professor Lucifer Gorgonzola Butts, und der ist über die Massen komisch. In diesem Comic kommen immer wieder die kompliziertesten Maschinen zur Bewältigung der einfachsten Aufgaben vor. Diese hier erklärte Goldberg in einem Film von 1940 gleich selbst:

Kellner setzt Katze B auf den Geschirrstapel A. Katze B sieht ausgestopfte Maus C. Katze springt auf Maus und betätigt damit Hebel D, der brennende Kerze E an Zündschnur F hält, worauf Bombe G explodiert, was ganz sanft Tür H öffnet.

Unsinnige Apparate wie dieser Türöffner machten die nach ihrem Zeichner benannten «Rube-Goldberg-Maschinen» zum Inbegriff unnötig komplizierter Technik.

Goldbergs detailverliebte Mechanismen erinnern an Patentschriften, und sie ziehen Nerds bis heute in ihren Bann. Auf Youtube versuchen sich Rube-Goldberg-Tüftler gegenseitig zu überbieten, mit Hunderten komplexester Konstruktionen mit Kugeln und schiefen Bahnen, Rädern und Hebeln, Glaskolben und Bunsenbrennern, ja selbst Kaninchen und Goldhamstern, die nach minutenlanger Arbeit am Ende nichts anderes vollbringen als etwa das Umblättern einer Zeitung. Rube Goldberg und sein verrückter Comicprofessor hätten ihre helle Freude daran.

Hauptsendezeit

20.15 Uhr ist eine Zäsur. Sie teilt den Tag in ein Vorher und Nachher. Das Davor ist Arbeit und Alltag, das Danach hingegen ist Inbegriff von Feierabend und Freizeit. Vom Sonderfall Schweiz einmal abgesehen, beginnt in Europa Punkt viertel nach Acht der Film.

Nur ist 20.15 Uhr als Uhrzeit etwas schräg. In all den Jahrzehnten hat uns das Radio beigebracht, dass wirklich Wichtiges immer zur vollen Stunde stattfindet. Genau genommen ist das auch beim deutschen Fernsehen so, wo die sogenannte «Hauptsendezeit» ihren Ursprung hat. Am Anfang des deutschen Nachkriegsfernsehens, am 26. Dezember 1952, stand um 20 Uhr die allererste Ausgabe der «Tagesschau» auf dem Programm. Die aus dem Off kommentierten Berichte handelten von der Rückkehr des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower aus Korea, dem neuen Fernsehstudio in Hamburg, einem Fussball-Länderspiel und einer Eisrevue – alles Filme, die man für die Kinowochenschau nicht hatte brauchen können. Diese erste «Tagesschau» dauerte 15 Minuten – das Zweitwichtigste begann erst danach: ein Unterhaltungsprogramm mit dem Titel «Eine nette Bescherung», moderiert vom legendären Entertainer Peter Frankenfeld und gesendet aus einem notdürftig umgebauten, stickigen Hamburger Luftschutzbunker.

Bis heute beginnen Krimi und Spielfilm eisern um 20.15 Uhr. In ganz Europa hat sich, allen Medienrevolutionen zum Trotz, dieses schräge Viertel gehalten. In ganz Europa? Nein. Ein unbeugsames helvetisches Fernsehen SRF hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Auf den 1. Januar 1980 wurde die Schweizer «Tagesschau» um 10 Minuten verlängert. Also beginnt sie seither schon um 19.30 Uhr – und der Film um acht.

Helveticus

Lieber junger Freund!,

so beginnt das Vorwort:

Wenn die Schulstunden beendet und die Aufgaben erledigt sind, beginnt der Teil des Tages, der dir gehört. Jetzt kannst du dich frohen Herzens nach eigener Neigung unterhalten, sei es mit Spiel und Sport, sei es mit einer interessanten Liebhaberei.

Es sind die ersten Zeilen der ersten Ausgabe von «Helveticus», jenem in Leinen gebundenen, gut 300 Seiten starken urschweizerischen Jugendbuch.

Dieser erste Band erschien im Kriegsjahr 1941 im Berner Hallwag-Verlag, und mit Jugend waren ausschliesslich Buben, mit Spiel Belehrung gemeint.

Blättere im Helveticus und schon hast du etwas gefunden, was dich fesselt und an dem du Freude hast. Diese Seiten wurden eigens für euch, junge Freunde, von Leuten geschrieben, die eure Wünsche und Neigungen kennen und genau wissen, an was für Dingen und Beschäftigungen ihr euch begeistern könnt. Der Helveticus wird dir sicher zu einem guten Kameraden werden, der dich unterhält und mit vielseitigen Anregungen deine Freizeit interessant auszufüllen vermag.

Trotz dieser schulmeisterlich kreidestaubigen Einleitung war der fortan im Jahresrhythmus erscheinende «Helveticus» der Renner der Schulbibliothek: mit Beiträgen wie «Hat es überhaupt Pfahlbauer gegeben?», «Die Beduinen Arabiens» und, unangefochtener Höhepunkt des jeweiligen Bandes, mit minutiösen Bastelanleitungen für ein Hygrometer mit Drahtzeiger und Frauenhaar oder – Gipfel der Bastlerträume – gar ein Teleskop mit handgeschliffenem Hohlspiegel.

Bubenträume mögen heute «Playstation» heissen oder «World of Warcraft», doch bis zum allerletzten Band im Jahr 1988 hiessen sie «Helveticus».

iPod

Die neue Uniform: Das sind nicht mehr Messingknöpfe mit Schweizerkreuz wie zu Grossvaters Zeiten. Die neue Uniform: das sind zwei weisse Ohrstöpsel und, irgendwo tief in der Tasche, ein iPod. Auf der Strasse, im Zug, auf dem Rad: Der iPod ist allgegenwärtig.

pod ist eine technische Abkürzung für plug-on device; ein direkt anschliessbares Gerät. Das englische Wort pod aber ist älter – ein pod ist ein Saatgutbehälter, eine Schale, ein Gefäss. Das von Apple kultivierte kleine i ist nichts anderes als die Abkürzung für Internet. Der Name – iPod – muss irgendwann im Jahr 2000 entstanden sein, als Visionäre und Techniker bei Apple eine zigarettenschachtelkleine Computerfestplatte entwickelten, die nicht Daten, sondern vielmehr Musik speichern und auch gleich abspielen sollte. Der Rest ist Geschichte, nein, Legende: Weit über 100 Millionen Menschen haben bis heute einen iPod gekauft.

Man stelle sich vor: Vor zwanzig Jahren war eine Festplatte gross und schwer wie ein Ziegelstein und laut wie ein Heizlüfter. Sie verfügte über einen Speicher von 20 Millionen Byte und fasste umgerechnet vierzigtausend Buchseiten. Wer damals über dieses technische Wunder staunte, der schüttelt heute nur noch verständnislos den Kopf. Denn der kleinste iPod hat heute noch die Grösse einer Wäscheklammer und bietet schon Platz für eine ganze Bibliothek. Sein grosser Bruder kann 40 000 Songs speichern. Das ist, ohne eine einzige Wiederholung, drei Monate lang Musik rund um die Uhr. Und mit dem kleinen i für Internet macht Apple auch Ernst – der iPod fasst nicht mehr nur Musik, sondern gleich noch drahtloses Internet dazu. Und die Fotosammlung und die Lieblingsfilme ebenso.

Da wollen wir gar nicht mehr wissen, worüber wir in 20 Jahren den Kopf schütteln werden.