Archiv für das Jahr: 2018

Monte San Giorgio

Der Monte San Giorgio im Tessin wirkt mit seinem dichten Wald und seinen knapp 1100 Metern wenig spektakulär. Er liegt zwischen den beiden südlichen Armen des Lago di Lugano, nahe der italienischen Grenze. Der unscheinbare Berg ist ein Naturdenkmal der Superlative. Denn er führt eine 16 Meter dicke Schicht Ölschiefer, ein dunkler bis schwarzer Stein, der Rohöl enthält. Schon im 18. Jahrhundert entdeckt, wurde der Ölschiefer am Monte San Giorgio ab 1910 industriell abgebaut. Einen Ölrausch gab es nicht: Mit nur 8 Prozent gab die Schicht zuwenig her, aber das Öl, das die Arbeiter in der kleinen Fabrik bei Meride destillierten, liess sich zu einer Hautsalbe namens «Saurol» verarbeiten.

«Saurol»: Der Name kommt von der riesigen Menge bis ins letzte Detail erhaltener Fisch- und Saurierskelette, die in den Stollen zum Vorschein kamen. Vor 200 Millionen Jahren lag hier ein 100 Meter tiefes subtropisches Meeresbecken. Das ruhige Wasser auf dem Grund enthielt kaum Sauerstoff, und Tierkadaver wurden nicht gefressen oder von Strömungen weggetrieben. Seit 1924, als die Universität Zürich mit grossangelegten wissenschaftlichen Grabungen begann, wurden hier mehr als 20 000 Fossilien geborgen: Reptilien, Fische, Schnecken, Insekten, gut erhaltene Pflanzen. Einige neu entdeckte Arten tragen sogar Schweizer Namen: der Helveticosaurus, der aussah wie ein Aal mit Beinen, der Waran-ähnliche Ticinosuchus und der bis zu drei Meter lange, durchs Wasser paddelnde Ceresiosaurus, nach ceresio, dem italienischen Namen des Luganersees.

Ein weltweit einzigartiger Saurierberg: Der Monte San Giorgio gehört seit 2003 zum Welterbe der Unesco.

Bahnhofsuhr

I han en Uhr erfunde, wo geng nach zwone Stunde blybt stah.

Die Uhr des Berner Liedermachers Mani Matter, die immer wieder stehenbleibt, hatte ein Vorbild: Die Schweizer Bahnhofsuhr. Sie ziert in vielfacher Ausführung jeden Bahnhof der SBB. Erfunden wurde sie 1944, vom Ingenieur und Selfmade-Designer Hans Hilfiker. Hilfiker erfand am laufenden Band: Allein für die SBB entwarf er Spezialkräne, Perrondächer, Fahrplanprojektoren und ganze Dienstgebäude.

Seine Uhr war ein radikaler Bruch mit den verschnörkelten Zifferblättern aus der Zeit des Jugendstils: Weisser Hintergrund, eine Minuteneinteilung aus strengen Rechtecken, schwarze Zeigerbalken, ein schlanker roter Sekundenzeiger mit einer roten Scheibe, die an die Kelle des Bahnhofsvorstehers erinnert und das sekundengenaue Ablesen der Uhr auch aus Distanz ermöglicht. Hilfikers Design war so elegant, zeitlos und funktional, dass sich heute fast alle Bahnhofsuhren der Welt daran orientieren.

«I han en Uhr erfunde, wo geng nach sächzg Sekunde blybt stah»: Wie in Mani Matters Lied bleibt auch Hilfikers Bahnhofsuhr immer wieder stehen, jede Minute einmal: Immer bei exakt null Sekunden gibt die Hauptuhr einen elektrischen Impuls und stellt so die Ganggenauigkeit aller Bahnhofsuhren sicher. Weil eine sekundengenaue Synchronisation bei der Einführung 1947 noch nicht möglich war, läuft der Sekundenzeiger immer ein bisschen zu schnell, legt dann auf zwölf Uhr eine kleine Pause ein und wartet rund eineinhalb Sekunden lang auf das Signal zum Weiterdrehen. Bis auf den heutigen Tag.

CFA-Franc

Der CFA-Franc ist die offizielle Währung des Senegal und 13 weiterer Länder in Zentral- und Westafrika mit insgesamt 155 Millionen Einwohnern. Die Länder gehören zu den einstigen Kolonien Frankreichs in Afrika, und diese dunkle Vergangenheit trägt er auch im Namen: «CFA» hiess nämlich bis 1958 Colonies Françaises d‘Afrique; heute steht es für Communauté Financière d‘Afrique.

Der CFA-Franc verschafft Frankreich grossen Einfluss auf die afrikanische Wirtschaft. Denn er ist an seine Währung gebunden – früher an den Franc, heute an den Euro: Ein CFA-Franc hat den festen Wert von 0,1524 Euro-Cent, und das heisst Zweierlei: Für die afrikanischen Länder hat das den Vorzug der Stabilität, aber ebenso den Nachteil der Abhängigkeit. 50% der Devisenreserven müssen bei der Agence France Trésor in Paris hinterlegt werden und sind so dem Zugriff der CFA-Länder entzogen, als Ausgleich dafür, dass Frankreich die Umtauschbarkeit in andere Währungen garantiert.

Das bedeutet vor allem Macht. Die Noten werden in Frankreich gedruckt, und 1994 beschloss die Banque de France sogar eine Abwertung des CFA-Francs, ohne die betroffenen afrikanischen Staaten auch nur zu konsultieren. Afrikanische Ökonomen kritisieren daher, die von Paris kontrollierte Einheitswährung bremse Afrikas wirtschaftliche Entwicklung und erleichtere die Kapitalflucht. Andere geben zu, die Kolonialwährung zwinge die 14 Notenbanken zu einer Disziplin, die diese von sich aus kaum aufbrächten. Der umstrittene CFA-Franc wird so schnell nicht aus den Schlagzeilen verschwinden.

Ness of Brodgar

Am Ende der Jungsteinzeit, vor mehr als 5000 Jahren, war die Hauptinsel der schottischen Orkneys das Zentrum einer kaum bekannten Zivilisation. Weil auf Orkney kaum Bäume wachsen, bauten die Menschen mit Stein, und so sind prähistorische Grabanlagen, Steinkreise und – wie in Skara Brae an der Westküste – ganze Dörfer erhalten geblieben, die aussehen, als seien sie von ihren Bewohnern gerade erst verlassen worden.

Doch die grösste aller Fundstätten, der «Ness of Brodgar», bereitet der Wissenschaft bis heute Kopfzerbrechen. Auf der Landzunge zwischen zwei Seen stiess eine Bäuerin im April 2003 beim Pflügen auf eine Steinplatte mit vier exakt halbkreisförmigen Aussparungen. Die herbeigerufenen Archäologen waren nicht auf das gefasst, was sie in den folgenden Jahren nach und nach freilegen sollten: einen vier Fussballfelder grossen Tempelbezirk mit monumentalen Bauten. Spiegelglatte Mauern zeugen vom unglaublichen Geschick ihrer Baumeister. Die grösste Halle trug ein Dach aus dünnen Steinplatten, die Fugen säuberlich mit Ton abgedichtet, das Abwasser floss in eine Kanalisation.

Wer waren die Menschen, die um 3200 v. Chr. den «Ness of Brodgar» errichtet haben? Welche Gottheiten haben sie verehrt? All das ist bis heute unbekannt. Das grösste Rätsel aber sind die Feuerstellen und die Überreste von mehreren Hundert Rindern, die alle auf einmal geschlachtet wurden, um eine Unzahl von Gästen zu bewirten. Nach diesem gigantischen Festmahl, so fanden die Forscher heraus, rissen die Menschen Tempelmauern und Dächer ein und verliessen die Insel. Weshalb und mit welchem Ziel, darüber kann die Wissenschaft bis heute nur spekulieren.

Chemtrail

Wenn ein Jet in grossen Höhen seine Linien zieht, kondensiert das Wasser, das in seinem Abgasstrahl enthalten ist, in der eiskalten Luft zu feinen Eiskristallen. Das Ergebnis sind schnurgerade künstliche Wolken, die, je nach Wetterlage, noch lange nach dem Vorbeiflug am Himmel stehen.

Diese Kondensstreifen, auf Englisch condensation trails oder contrails, sind ein Blickfang. Und eine geradezu ideale Projektionsfläche für allerlei Verschwörungsphantasien. Seit den 90er-Jahren wird hartnäckig behauptet, contrails seien vielmehr chemtrails: Nicht kondensiertes Wasser, sondern vielmehr Chemikalien, aus Grossraumflugzeugen versprüht, um die Menschen dumm und gefügsam zu machen. Um die menschliche Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen und dem globalen Bevölkerungswachstum entgegenzuwirken. Um herkömmliches Saatgut zu vernichten, damit die Agrarindustrie ihre resistenten Sorten verkaufen könne. Ganz besonders hartgesottene Schwarzseher sehen Freimaurer, eine geheime Weltregierung, eventuell sogar Ausserirdische am Werk, die den Menschen ganz einfach schleichend vergiften wollen. Da mutet eine der Theorien geradezu harmlos an, die besagt, chemtrails rührten von wissenschaftlichen Versuchen her, Sonnenlicht zu reflektieren und die globale Erwärmung aufzuhalten.

Nichts davon trifft zu. Widerlegen lassen sich die Theorien leicht, nur stets ohne den geringsten Erfolg. Denn die wahren Gläubigen wissen: Wissenschaftliche Belege sind der endgültige Beweis dafür, wie raffiniert und weitgespannt die Verschwörung tatsächlich ist.