Bikini

Am 18. Juli 1946 liess der gelernte Automechaniker Louis Réard in Paris eine Erfindung patentieren, die ihn auf einen Schlag weltberühmt machen sollte. Vier neckische Stoffdreiecke, je zwei davon mit einer kecken Kordel verbunden, bildeten das Rudiment eines Badekleids, das in den Augen der Zeit den weiblichen Körper mehr ent- als verhüllte. In der Piscine Molitor, dem Jugendstil-Schwimmbad in Auteuil, liess Réard diesen Hauch von Badeanzug vorführen, der – Zitat Réard –

so klein ist, dass er alles von der Trägerin enthüllt ausser dem Geburtsnamen ihrer Mutter.

Kein anständiges Model war bereit, diese textile Winzigkeit zu tragen, so dass Louis Réard nichts übrigblieb, als eine Stripteasetänzerin zu engagieren. Ein handfester Skandal.

Dabei hatte das Evaskostüm namens Bikini schon damals einige Jährchen auf dem Buckel: Schon 1907 hatte der Deutsche Valentin Lehr einen durchaus knappen Zweiteiler entwickelt. Dieser wilhelminische Bikini sollte möglichst viel Haut freigeben, um die Wirkung des heilenden Sonnenlichts nicht zu beeinträchtigen. Und selbst dieser Zweiteiler hatte Vorbilder: Mosaike in der spätrömischen Villa Romana del Casale in Sizilien zeigen junge badende Frauen, die schon eine Art Bikini tragen.

Louis Réards Erfindung von 1946 war also weniger das Textil als vielmehr dessen exotische Bezeichnung. In diesem Sommer fanden auf der Marshall-Insel Bikini Atomwaffentests der USA statt. Die Insel beherrschte die Schlagzeilen, und manch einer assoziierte mit ihr «Sonne», «Südsee» und «Explosion». Was den findigen Louis Réard auf die Idee brachte, seine frivolen Stoffdreiecke kurzerhand «Bikini» zu taufen.

Bildschirmschoner

Mit den Kathodenstrahl- oder Plasmabildschirmen der Achtzigerjahre gab es ein Problem: Zeigten sie lange Zeit ein und dasselbe Bild an, brannte sich dieses ein. Das Phosphor der bestrahlten Pixel nutzte sich ab, was die fluoreszierende Schicht beschädigte und eine Art dauerhaftes Phantombild hinterliess.

1983 wurden daher erste «Screensaver» programmiert, die dieses Einbrennen verhinderten und dazu die Daten mit einem Passwort schützten. Blieb der Computer eine Zeitlang unbenutzt, aktivierten sich diese Bildschirmschoner und begannen, kleine Animationen über den Bildschirm zu bewegen. 1989 kam die beliebte Sammlung von Bildschirmschonern namens «After Dark» auf den Markt. Die User hatten eine ganze Reihe von Sujets zur Auswahl, deren wohl bekanntestes die surrealen «Flying Toasters» waren: Von oben rechts glitten zufällig verteilte Toaster elegant flügelschlagend nach unten, dazwischen flogen appetitlich gebräunte Toastbrotscheiben. «Ich ging ziellos durchs Haus und in die Küche», erinnert sich Entwickler Jack Eastman, der sich damals meist nachts das Programmieren beibrachte.

In der Küche sah ich den Toaster stehen, und mein übermüdetes Hirn brachte daran Flügel an.

Die «Flying Toasters» wurden ein Renner, und Eastman bestand darauf, dass sich nicht nur Anzahl und Tempo von Toast und Brot einstellen liess, sondern sogar, wie beim richtigen Toaster, der Bräunungsgrad.

Heutige Bildschirme brauchen in der Regel keine Bildschirmschoner mehr. Für Nostalgiker aber gibt’s die fliegenden Toaster noch immer – als Progrämmchen wie ehedem, oder aber als Anleitung zum Selberprogrammieren.

Billard

Es war sein Lieblingsspiel: Der Kupferstich von 1694 zeigt Frankreichs König Louis Quatorze beim Billard mit seinem Bruder Philippe, dem Herzog von Orléans, und seinen adligen Freunden. Die königliche Partie war dem heutigen Billard schon sehr ähnlich – langer Tisch mit seitlicher Bande, damit die Kugeln nicht zu Boden fielen, die Queues, mit denen die Kugeln gestossen wurden. Doch nicht alles war gleich: Auf dem Tisch standen Hindernisse wie Stäbe oder Bögen, und die Queues waren krumm und sahen ein bisschen aus wie die Schläger beim Minigolf. Von ihnen kommt im übrigen auch das Wort: Ein billard war der krumme Stab, den man zum Spielen brauchte, und der wiederum kam von bille, dem Wort für «Kugel».

Schon zu Zeiten des Sonnenkönigs war Billard ziemlich international: Das Buch «The Compleat Gamester», 1674 in London gedruckt, beschreibt Billard als ebenso kultiviert wie genial. Es komme ursprünglich aus Italien, steht da, und es werde in allen Ländern Europas gespielt, ganz besonders in England, wo es in vielen Städten schon öffentliche Billardtische gebe.

Heute sind die Queues lang und gestreckt, und auf dem Tisch stehen keine Hindernisse mehr. Und doch ist Billard nicht gleich Billard: Heute wird Pool gespielt, Snooker, Karambolage oder Russisches Billard, um nur die bekanntesten zu nennen. Das Völkerverbindende aber ist geblieben: Als wohl erste Sportart überhaupt führte Billard 1873 in New York Profi-Weltmeisterschaften durch, und noch heute erzielen WM-Spitzenpartien im Sportfernsehen hohe Einschaltquoten.

Bircher, Maximilian

Maximilian Bircher (1867-1939) ist ein schwieriger Fall. Die einen sehen in dem Zürcher Arzt einen medizinischen Visionär, die anderen einen esoterischen Spinner. Tatsache ist, dass sein wichtigstes Vermächtnis nicht seine Kliniken und Schriften sind, sondern vielmehr «d’Spyys», jene «Speise» aus geriebenen Äpfeln und Haferflocken, die wir heute kurz und bündig «Birchermüesli» nennen.

Und das kam so. 1895 erkrankte Bircher an Gelbsucht. Von der Heilkraft pflanzlicher Rohkost überzeugt, verordnete er sich eine Diät aus Früchten und ungekochtem Gemüse, um an deren «gespeichertem Sonnenlicht» zu gesunden. Rohes, so predigte er, sei Gekochtem vorzuziehen, pflanzliche Nahrung dem Fleisch; Konserven gar, um die Jahrhundertwende Inbegriff der Moderne, waren ihm ein Graus. Seine Predigten, das waren Aufsätze und Zeitschriften, seine Kanzel war seine Zürcher Praxis, die schon bald zu einer kleinen Privatklinik heranwuchs, dann, ab 1904, das Sanatorium «Lebendige Kraft» auf dem Zürichberg.

Die Medizin tat sich schwer mit Bircher. Seine Lehre von der Vollwertkost als «Sonnenlichtnahrung» widersprach dem damaligen Stand der Wissenschaft, und dass er die Gesundheitspolitik der Nationalsozialisten unterstützte – der deutsche Reichsärzteführer Gerhard Wagner bemühte sich gar, Bircher als Professor nach Dresden zu holen –, war seinem Ruf nicht eben zuträglich.

Erfolgreich war Bircher trotzdem. Sein Sanatorium war bald international bekannt; einen Patienten namens Thomas Mann inspirierte das Haus mit seinem streng geregelten Tagesablauf gar zum Roman «Der Zauberberg». Die Klinik gibt es nicht mehr. «D’Spyys» dagegen, dieses Müesli aus Haferflocken, frischen Früchten, Joghurt und Milch, Zitronensaft und Rosinen, ist beliebter denn je.

Birkenpech

Eine Pfeilspitze und ein hölzerner Schaft, ein Tonkrug in Scherben: Wann immer in der Steinzeit etwas haften sollte, musste Birkenpech her. Birkenpech war der Superkleber der Urzeit: Schon vor mehr als 200 000 Jahren, das zeigen Funde aus Norditalien, verleimten Neandertaler mit Birkenpech alles, was lange halten sollte. Auch die Ritzen von Kanus wurden damit abgedichtet, und selbst Ötzi, der als Gletschermumie aufgefundene Jäger aus der Kupferzeit, fixierte die Feuersteinspitzen seiner Pfeile in der Nut der Holzschäfte mit dem teerartigen, schwarzen Destillat.

Birkenpech herzustellen war alles andere als einfach. Für das «Pyrolyse» genannte Verfahren braucht es Birkenrinde und grosse Hitze. Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass sich Birkenpech nur in einer luftdicht versiegelten Brennkammer und bei Temperaturen von ziemlich genau 350 Grad herstellen lässt – was darauf schliessen liesse, dass Neandertaler und Steinzeitmenschen über ein erstaunliches Wissen verfügt haben; die Entwicklung eines solch komplexen Verfahrens allerdings blieb stets ein Rätsel. Nun aber haben aktuelle Versuche gezeigt, dass es auch viel einfacher geht: Ein Forscherteam der Uni Tübingen hat nachgewiesen, dass es ausreicht, Birkenrinde bei Temperaturen von mehr als 200 Grad unmittelbar am Fuss senkrecht aufgestellter, glatter Steinflächen zu verbrennen. Nach drei Stunden lässt sich dann eine brauchbare Menge an Birkenpech abschaben.

Das allerdings schmälert die Leistung der Urzeit-Ingenieure in keiner Weise: Birkenpech ist nicht nur ein natürlicher, bärenstarker Universalkleber, sondern auch der allererste Kunststoff der Menschheit.