Lazarett

Die alte Republik Venedig war nicht nur eine Grossmacht des Mittelalters, sondern auch eine Vorreiterin in Sachen öffentliche Gesundheit. Im 14. Jahrhundert erfanden die venezianischen Behörden nicht nur die Quarantäne, die vorsah, dass mit der Pest in Berührung gekommene Reisende 40 Tage lang isoliert werden sollten («Quarantäne» kommt von der biblischen Zahl 40); aus Venedig stammt auch das Lazarett, in das sie anschliessend gebracht wurden, wenn sie vor Ablauf der «quarantena» höllische Kopfschmerzen, glühendes Fieber und dunkle, eitrige Beulen bekamen.

Der «Lazzaretto Vecchio», 1423 gegründet, war ein Pestspital auf einem 220 Meter langen und 145 Meter breiten Inselchen, in sicherer Distanz vom Stadtkern entfernt. Hier stand die Kirche Santa Maria di Nazareth, von deren Namen angeblich unser heutiges Lazarett abstammen soll. (Tatsächlich aber kommt der Name vom heiligen Lazarus und vom italienischen Wort für Aussätzige, lazzaro.) Mit einem heutigen Spital hatte dieses Ur-Lazarett wenig zu tun. Die Ärzte wusste noch nichts von Ansteckungswegen oder Pestbakterien und führten die Seuche auf ein Ungleichgewicht der Körpersäfte und auf stickige, modrige Lüfte zurück. Behandeln hiess waschen, zu Ader lassen und allem voran isolieren.

Heute ist das Lazarett ein Behelfsspital in Krisengebieten oder im Krieg, und seit 1949 steht es laut den Genfer Konventionen unter strengem völkerrechtlichem Schutz. Im 14. Jahrhundert dagegen war das Lazarett vor allem ein Ort zum Sterben: Seit 2007 haben Archäologen auf Venedigs flacher Pestinsel mehr als 1500 Skelette geborgen, die man dort in Einzel- und Massengräbern verscharrt hatte. Der «Lazzaretto Vecchio» ist heute unbewohnt und dient nur noch als Tierheim für streunende Hunde.

Lucullus, Lucius Licinius

Lucius Licinius Lucullus, ein Zeitgenosse Cäsars und Ciceros, war Soldat. Sein Erzfeind hiess Mithridates, seines Zeichens Herrscher über das Königreich Pontos am Schwarzen Meer. Die pontische Streitmacht war gefürchtet – wegen ihrer Kriegsflotte und ihrer schlagkräftigen Kavallerie. General Lucullus marschierte im Jahr 74 v. Chr. mit einem römischen Heer nach Osten, wo er Mithridates binnen weniger Jahre vernichtend schlug.

Der Ruhm und die gewaltigen Schätze, die Lucullus während seines Kleinasien-Feldzugs angehäuft hatte, weckten Neid. Eine von Rom geschürte Meuterei und eine Intrige im Senat führten am Ende zur schmachvollen Absetzung. Vor den Toren Roms wartete Lucullus jahrelang verbittert auf den ihm zustehenden Triumphzug, baute in der Zwischenzeit Luxusvillen und legte riesige Gärten an. In Neapel liess er Verliese in den Fels schlagen, in denen Dutzende pontischer Kriegsgefangener vor sich hin vegetierten, weil Lucullus sie dem Volk vorzuführen und anschliessend zu erdrosseln gedachte.

Glorreicher General und schwerreicher Gastgeber: Die Gastmähler des Lucullus – von Diners zu sprechen, wäre eine krasse Untertreibung – dienten weniger dem Stillen des Hungers als vielmehr der Selbstdarstellung. Je exklusiver die Speise (jede erdenkliche Art von Gemüse, Fisch und Fleisch, bis hin zu Pfauenhirnragout oder gebratenen Flamingozungen), desto höher der Status des Gastgebers. Lucullus war auch der allererste, der die damals noch unbekannten Kirschbäume importieren und anpflanzen liess. Und so steht sein Name heute für Luxus in einem Ausmass, von dem das gemeine Volk nicht einmal zu träumen wagte.

Murphy’s Law

Es scheint ein Gesetz zu sein. Und es lautet: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein fallendes Butterbrot auf seiner Butterseite landet, ist proportional zum Wert des Perserteppichs. Das ist Murphy’s Law. In aller Kürze und englisch: shit happens.

Murphys Gesetz kennen wir alle. Und es ist so alt wie die Menschheit. Da gibt es zum Beispiel den englischen Vers, den eine Zeitung in Ohio 1841 abdruckte:

I never had a slice of bread – particularly large and wide
That did not fall upon the floor – and always on the buttered side.

Wieder das fallende Butterbrot, aber das kennen Sie ja schon. Eine andere Version von Murphys Law, so fand die American Dialect Society heraus, stammt vom Ingenieur Alfred Holt. Der erklärte 1877 an einer Konferenz: Alles, was auf hoher See schiefgehen kann, wird früher oder später schiefgehen.

Murphys Namen trägt das Gesetz seit 1949. Da arbeitete Captain Edward A. Murphy auf der Edwards Luftwaffenbasis in Kalifornien. Als Ingenieur war er für das Projekt MX 981 zuständig, das messen sollte, wieviel Bremskraft ein Mensch aushalten kann, dann etwa, wenn er mit dem Schleudersitz aus einem Jet katapultiert wird. Er liess einen Schimpansen auf eine Zentrifuge schnallen, beschleunigte, bremste und stellte fest – Ergebnis: null. Die Messgeräte zeigten nichts an. Grund: Sie waren von einem Techniker genau falschherum verkabelt worden. Und Murphy stellte fest: Was für fallende Butterbrote gilt, gilt auch für wissenschaftliche Experimente.

Ob das nun die wahre Geschichte von Murphys Law ist? Wer weiss das schon. Immerhin stand sie zwar auf der offiziellen Website der Edwards Air Force Base. Aber wahr? Auch die Airforce scheint Zweifel zu haben. Im Januar 2007 wurde die nette Anekdote sang- und klanglos gelöscht.

Nelson, Horatio

Horatio Nelson war krank, oft und heftig – Zeit seines Lebens litt Englands berühmtester Admiral ausgerechnet an der Seekrankheit.

Und doch sollte die See seine Heimat werden. Sohn eines Reverend, lernte er schon als Bub segeln, und mit nur 12 Jahren heuerte er wie viele andere bei der Royal Navy an, nicht als Bootsjunge, sondern – weil sein erster Kapitän ein Onkel war – gleich als Midshipman und damit Offiziersanwärter. Nelsons offenkundiges Talent und die Protektion seines Onkels waren die steife Brise in den Segeln seiner Karriere.

Die Klippen waren gesundheitlicher Natur. Einmal zwang die Malaria Nelson von Bord, später das Gelbfieber, schliesslich Holzsplitter, die sich beim Treffer einer französischen Festungskanone in sein rechtes Auge gebohrt hatten, am Ende eine spanische Musketenkugel, die eine Amputation seines rechten Arms nötig machte.

Dennoch kletterte Nelson die Wanten von Militär und Adel hoch, wurde Vizeadmiral und Graf, als königlicher Dank für eine ganze Reihe gewonnener Gefechte.

Seine letzte, vier Stunden dauernde Seeschlacht schlug Nelson 1805 an Bord seines Flaggschiffs «HMS Victory» am Kap Trafalgar. Überragender Taktiker, der er war, brachte er den vereinigten Flotten Frankreichs und Spaniens eine vernichtende Niederlage bei. Auf Deck von einem französischen Scharfschützen getroffen, starb der Admiral, kurz nachdem man ihm von seinem überwältigenden Sieg berichtet hatte.

Damit der Leichnam nicht zerfiel, wurde Nelson in einem vollen Brandyfass nach London zurückgebracht. Sein Grab liegt in der St. Pauls Cathedral, sein Denkmal am Trafalgar Square, sein Schiff im Trockendock in Portsmouth. Unter Deck: noch immer das geschichtsträchtige Fass.

Panorama

Thun, 1809: Der junge Mann, das Gesicht voller Rasierschaum, setzt gerade das Rasiermesser an. Nebenan flicht eine Frau ihr Haar, derweil ihr die Magd das Schürzenband zu einer Schleife bindet. Es sind zwei von zahllosen Details auf einem gigantischen, über die Massen realistischen Gemälde, das uns einen Augenblick im Alltag des Städtchens vor Augen führt. Gigantisch, in der Tat: Das 360-Grad-Panoramabild, vom Basler Marquard Wocher gemalt, ist 7,5 Meter hoch und sage und schreibe 38 Meter breit. In einem eigenen Rundbau in Thun ausgestellt, bietet es einen atemberaubenden Blick über Schloss, Alpenkette und Umland und lässt den Betrachter in belebte Gassen und gar in die Fenster blicken. Die perfekte Illusion.

Es war kein geringes Wagnis, das Wocher auf sich nahm. Der Aufwand war enorm: Auf einem Dach hatte er sich eine hölzerne Plattform bauen lassen, von der aus er Unmengen von Skizzen anfertigte. Zurück in Basel, malte er fünf Jahre lang, ohne jede Hilfe, das grösste Bild seines Lebens.

Das gemalte Panorama ist ein Kind der industriellen Revolution und ein Massenmedium der ersten Stunde. Das aufstrebende Bürgertum suchte Unterhaltung und Illusion. Reisen war kaum erschwinglich, und Rundum-Panoramen machten es möglich, Unerreichbares zu erleben. Besonders beliebt war Geschichte: Von den fünf erhaltenen Panoramen der Schweiz zeigt eines die Schlacht bei Murten 1476, ein anderes den Grenzübertritt der 87 000 Soldaten der Bourbaki-Armee im Jura 1871.

Das beschauliche Thun-Panorama konnte da nicht mithalten. Eine Weile in Basel ausgestellt, fand es trotz Publikumserfolgen am Ende keinen Käufer. Maler Wocher starb 1830 in bitterer Armut.