Dürrenmatt, Friedrich

«Eine Geschichte», schrieb Friedrich Dürrenmatt 1961, «ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat». So steht es in den viel diskutierten «21 Punkten zu den Physikern». Der Satz war Programm: Dürrenmatts Stücke führen kunstvoll und konsequent zum bitteren Ende, was auch nur irgendwie zum bitteren Ende geführt werden kann.

Dürrenmatt ist der Meister der gnadenlosen Konsequenz, und seine Stücke sind eigentliche Deklinationen des Tragischen. Und dennoch: Ihre Überspanntheit macht sie weniger zu Tragödien als vielmehr zu Satiren. Dürrenmatt hat einen ausgeprägten Sinn fürs Komödiantische, fürs Groteske. Seien es die genialisch-irren Physiker oder der Hühner züchtende Faun Romulus: Immer drängt das Drama zum Schwank.

Dürrenmatts Stücke gewinnen da an Tiefe, wo sie über das Plakative und das Komische hinaus ragen: «Der Besuch der Alten Dame» mit deren unmoralischem Milliardenangebot wird nicht deshalb zur Weltenbühne, weil Güllens Bewohner den Filou Alfred Ill am Ende tatsächlich dem Tod überlassen, sondern wegen des leisen, unaufhaltsamen Übergangs von moralischer Entrüstung zur unverhüllten Gier in Dialogen, die geradezu beängstigend an Stammtischdebatten oder Gemeinderatssitzungen gemahnen.

Friedrich Dürrenmatt war und bleibt ein überragender Theaterautor. Wo er seine traurigen Helden mit unbarmherzigem Scharfblick in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt, wo uns das Lachen im Hals stecken bleibt, genau da bleibt der Stückeschreiber Dürrenmatt von einer beklemmenden Modernität.

Eile mit Weile

«Beginnen darf, wer eine 5 gewürfelt hat. Kommt ein Stein auf ein Feld, das von einem feindlichen Stein besetzt ist, so wird dieser geschlagen und muss noch einmal von vorne anfangen.» So steht es in der Anleitung zu «Eile mit Weile». «Eile mit Weile» ist ein Spiel mit einer langen Geschichte. «Dieses ausserordentlich interessante Spiel hat sich in kurzer Zeit so viele Freunde erworben, dass es als wirklich gediegene Unterhaltungsgabe jedermann aufs beste empfohlen werden kann», lobt eine Spielanleitung schon ums Jahr 1900.

Doch «Eile mit Weile» ist viel älter: Es stammt vom altindischen «Pachisi» ab, einem Spiel, das schon im 6. Jh. gespielt wurde. «Pachisi» ist komplexer, weil es stärker auf Strategie und Taktik fokussiert. Die vier Spieler bilden zwei gegnerische Teams, und gespielt wird nicht mit Würfeln, sondern mit fünf, sechs oder sieben Kaurischnecken, bei denen die oben liegenden Öffnungen gezählt werden. Weil in «Pachisi» die Spieler in der Mitte beginnen, das Brett im Gegenuhrzeigersinn umrunden und am Ende wieder im Zentrum ankommen, vermuten Spieleforscher fernöstliche Symbolik: Menschen werden geboren und ziehen in die Welt hinaus, erleiden Schicksalsschläge, werden wiedergeboren – und gelangen am Ende ins Paradies.

Auch «Pachisi» zog in die Welt hinaus und kam im 17. Jh. nach Grossbritannien. Mit etwas einfacheren Regeln wurde das Spiel nach 1900 in der Deutschweiz zu «Eile mit Weile», in der Romandie zu «Hâte-toi lentement», in Norditalien zu «Chi va piano va sano» oder in Deutschland zu «Mensch ärgere dich nicht» – und eroberte so die Familientische Europas.

Emoji

Sie haben einen seltsam fremden Namen, und doch sind sie uns so vertraut wie die Buchstaben: die sogenannten «Emojis», jene Smileys und Symbole, ohne die kaum eine SMS oder eine WhatsApp-Nachricht mehr auskommt. «Emoji» hat nichts mit «Emotion» zu tun, sondern setzt sich aus den japanischen Wörtern 絵 (e) für «Bild» und 文字 (moji) für «Zeichen» zusammen.

In der Fachsprache sind Emojis sogenannte Ideogramme, eine Bilderschrift, deren Buchstaben nicht abstrakte Zeichen, sondern stilisierte Abbildungen sind. Ihr Erfinder heisst Shigetaka Kurita. Kurita, ein japanischer Designer, arbeitete Mitte der Neunzigerjahre für den Konzern NTT DoCoMo, und der hatte eine Vision: das Internet aufs Handy zu bringen. Das war damals noch klobig, liess sich nur mit Tasten bedienen, und sein einfarbiges Display war noch briefmarkenklein. So dachte sich Designer Kurita 12 mal 12 Pixel kleine Symbole aus, mit denen sich die aktuelle Stimmung treffender und vor allem schneller übermitteln liess. Die von japanischen Mangas inspirierten, wahlweise heiteren, traurigen oder grimmigen Smileys verbreiteten sich wie eine Epidemie – erst in Japan, dann in Asien, schliesslich der ganzen Welt.

Heute gibt es Emojis für alle Lebenslagen – Smilies, Tiere, Symbole von Ahornblatt bis Zirkuszelt. Nur: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Weil in Japan erfunden, kommt es bei den Emojis schon mal zu interkulturellen Missverständnissen: Der schnaubende, grimmig dreinblickende Smiley zum Beispiel ist ursprünglich das Zeichen für Triumph; der blaue Tropfen unter dem linken Auge des traurigen Emojis, den wir als Träne verstehen, ist in japanischen Mangas ganz einfach das Zeichen für Schlaf.

Esszett

26 Buchstaben kennt unser Alphabet, dazu die drei Umlaute, macht deren 29. Und dann gibt’s noch einen, den wir in der Schweiz eigentlich gar nicht kennen, das Esszett. Bei ihm wird’s schwierig, denn hierzulande kennen wir die Rechtschreibregeln nicht, und selbst in Deutschland weiss man nicht so recht, wie er eigentlich heissen soll. Neben Esszett spricht man auch vom Doppel-S oder vom scharfen S, vom Buckel-, Rucksack-, Dreierles- oder Ringel-S.

Klar ist: Das Esszett steht für den stimmlosen s-Laut, so wie in weiß oder Fuß, und es ist eine Ligatur, also eine typografische Verbindung, aus einem langen ſ, das Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist. Bei der zweiten, rechten Hälfte des Esszett aber ist Schluss mit der Klarheit. Die Schriftgelehrten streiten bis heute darüber, ob es ursprünglich ein normales s war oder eine 3 – oder aber ein kleines z mit Unterschlinge, ein ʒ. Tatsächlich war der Laut im Mittelalter als sz geschrieben worden, eine Schreibweise, die selbst die Gebrüder Grimm noch im 19. Jahrhundert verwendeten.

Auch mit den Regeln war es so eine Sache. In Sachen Esszett gab es nämlich deren zwei, benannt nach Johann Christoph Adelung oder nach Johann Christian August Heyse, beides Lexikographen im 18. Jahrhundert und gänzlich uneins, wann man denn nun ein Esszett und wann ein Doppel-s setzen sollte. Entschieden wurde die Sache im Sinne von Heyse, mit der Rechtschreibreform von 1996. Seither gilt: Das Esszett steht nach einem betonten Langvokal, so wie in Maße oder Buße, und nach einem Doppelvokal, so wie in heißen oder außen. Nach Kurzvokalen dagegen (Masse, Busse) steht immer ein gewöhnliches Doppel-s.

Etymologie

Etymologie, das ist die Wissenschaft, die die Herkunft der Wörter erforscht. Etymologie kommt vom altgriechischen etymos (wahrhaftig oder echt). Etymologie ist ein Fremdwort, das nur wenige kennen. Und das ist erstaunlich.

Genau genommen haben Menschen nämlich nur drei Fragen, wenn es um Sprache geht. Die erste – und häufigste: Wie schreibt man das? Die zweite, gerade bei Fremdwörtern: Was heisst das? Und schon die dritte: Woher kommt das?

Etymologie als eine Disziplin der Sprachwissenschaft war lange Zeit umstritten, und Etymologen wurden vielfach nicht ganz ernst genommen – was damit zusammenhängen mochte, dass ihre Wissenschaft mehr mit Raten und Behaupten zu tun hatte als mit wissenschaftlicher Forschung. Das änderte sich mit zwei Herren, die wir von ihrer Märchensammlung her kennen: den Gebrüdern Grimm. Beide – Jacob und der um ein Jahr jüngere Wilhelm Grimm – waren ausgewiesene Forscher, und beide suchten sie das Ursprüngliche, das Wahrhaftige in Sprache und Kultur. Sie nahmen das erste wissenschaftliche Werk der Etymologie in Angriff: das gewaltige Deutsche Wörterbuch, dessen erster Band 1854 erschien und das von ihren Nachfolgern erst 1960 fertiggestellt wurde. Noch heute ist das Deutsche Wörterbuch ein Pfeiler der Wissenschaft, die uns einwandfrei beweisen kann, dass der Hirsch, das Horn und unser Hirn viel enger miteinander verwandt sind, als wir das vermuten würden. Oder dass Mauer und Wand nicht nur anders gebaut werden, sondern viel mit dem Zusammenprall der römischen mit der germanischen Kultur zu tun haben.

Die Gebrüder Grimm übrigens haben den Aufschwung der Etymologie nicht mehr erlebt: Wilhelm Grimm starb schon 1859, Jacob vier Jahre später – über seinem letzten Artikel «Frucht».