Schach

Schach ist ein Spiel mit Geschichte. Und wenn man’s genau nimmt, ist es sogar ein Spiel mit Geschichten – einer wahren und einer erfundenen.

Schach
Die wahre ist rasch erzählt: Man nimmt an, dass das Schach zwischen 500 und 100 v. Chr. in Indien entwickelt wurde. Seinen Namen erhielt es im alten Persien – Schach heisst auf Persisch «König». Araber brachten das Spiel über Nordafrika bis nach Spanien, und von da kam es ums Jahr 1000 nach Mitteleuropa. Seitdem hat das Schachspiel tatsächlich eine ganze Reihe von Königen gekrönt: Boris Spasski, Bobby Fischer, Anatoli Karpow – und einer dieser Schachkönige, Garri Kasparow, wurde 1997 von einem ungleichen Gegner entthront: von «Deep Blue», dem von IBM gebauten Schachcomputer.

Viel weniger profan ist die andere, die erfundene Geschichte: von einem Weisen namens Sessa Ebn Daher, der, so die Legende, das Schachspiel für seinen schwermütigen König Shehram erfunden hat. Der König war von diesem Spiel so begeistert, dass er dem weisen Sessa die Erfüllung eines Wunsches gewährte.

Der Weise lächelte – und bat um nichts weiter, als dass ihm auf das erste Feld des Schachbretts ein Weizenkorn gelegt werde, auf das zweite zwei, auf das dritte vier – und so immer weiter, immer auf das nächste Feld doppelt soviel wie auf das vorherige.

König Shehram war sehr ungehalten über diesen lächerlichen Wunsch – jedenfalls so lange, bis seine Hofmathematiker zu Ende gerechnet hatten. Zur Erfüllung des Wunsches hätte nämlich aller Reichtum der Welt nicht ausgereicht. Fällig gewesen wären am Ende mehr als 18 Trillionen Weizenkörner, eine Zahl mit 20 Stellen. Und soviel Weizen gibt es auf der ganzen Welt nicht – es sei denn, die ganze Erdoberfläche inklusive aller Meere und Polkappen, wäre fruchtbares Ackerland und würde zehn Jahre lang ausschliesslich mit Weizen bebaut.

Es gibt Geschichten, die so faszinierend sind, dass sie so etwas wie profane Wahrheit gar nicht nötig haben.

Schlamassel

Nach dem Segen trinkt das Brautpaar einen Schluck Wein aus einem Becher; so will es der jüdische Hochzeitsbrauch. Der Becher wird danach in ein Tuch gehüllt, der Bräutigam tritt darauf, und die Gäste rufen «Masel tov!». Das Zertreten des Glases soll dabei an die Eroberung von Jerusalem und die Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. erinnern. Auf Jiddisch heisst der Glückwunsch Masel tov, auf Hebräisch Mazal tov. Beides bedeutet frei übersetzt «viel Glück» oder «gutes Gelingen». Das Wort «Massel», laut Duden der Ausdruck für unverdientes, unerwartetes Glück, ist schliesslich auch ins Deutsche eingewandert.

Und doch liegt es auf der Hand, dass man im Leben nicht immer nur Massel haben kann. Wenn man also gehörig Pech hat, dann ist das auf Jiddisch ein schlimasl, Unglück. Das Wort schlimasl, so steht es im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm zu lesen,

entstammt der jüdischen Gaunersprache, sein zweiter Theil entspricht dem jüdischen mazal, Glücksstern, das als Masel, Massel in der Gaunersprache gebräuchlich ist.

Aus diesem jiddischen schlimasl und vielleicht auch in Verbindung mit dem Adjektiv «schlimm» ist im 18. Jh. in Deutschland der Schlamassel geworden (und in Österreich die «Schlimastik»), der Ort also, in dem wir immer dann stecken, wenn wir in einer schwierigen, verfahrenen Lage sind – oder, um’s mit demselben jiddischen Wort zu sagen: wenn wir etwas gehörig vermasselt haben.

Schlaraffenland

Das Schlaraffenland ist das Land urmenschlicher Sehnsüchte: Dort gibt es, laut verlässlichen Quellen wie dem Nürnberger Meistersinger Hans Sachs anno 1530, Häuser mit Türen aus Lebkuchen und Zäunen aus Bratwürsten und Brunnen voller Wein. An den Tannen hängen Krapfen, in den Flüssen schwimmen die gebackenen Fische, und den fetten Schweinen, allesamt bereits mundfertig gebraten, steckt praktischerweise bereits ein Messer im Rücken.

Die geografische Lage des Schlaraffenlandes allerdings hat die Wissenschaft bis heute nicht ganz klären können, und ebensowenig den sprachlichen Ursprung. «Schlaraffenland» besteht aus dem mittelhochdeutschen Wort slur, das «Faulenzer» hiess und mit der heutigen Schludrigkeit oder dem Schlendrian verwandt ist, und dem althochdeutschen Wort für Affe, der in Sanskrit kapi hiess und der laut den Gebrüdern Grimm mit dem altnordischen gapa verwandt sein könnte, «das Maul aufsperren, gaffen». Dessen Bedeutung wiederum spiegelt sich noch heute, so vermuten die Sprachexperten, in der Redensart «Maulaffen feilhalten». So gesehen wäre ein «Schlaraffe» nichts anderes als ein nichtsnutziger Tagedieb.

Der Theologie gilt, nach Hochmut, Geiz, Wolllust, Zorn, Völlerei und Neid, die Faulheit als siebte Todsünde, eben deshalb, weil sie ein urmenschliches Laster ist. Und die Welt trotz allem kein Schlaraffenland. Der da dem Meistersinger und Schlaraffenland-Erfinder Hans Sachs widerspricht, ist kein Geringerer als der alte Goethe:

Die Welt ist nicht aus Brei und Mus geschaffen,
Deswegen haltet euch nicht wie Schlaraffen;
Harte Bissen gibt es zu kauen:
Wir müssen erwürgen oder sie verdauen.

Schnitt, goldener

Für den Mathematiker ist der Goldene Schnitt ein Verhältnis zweier Distanzen: Ein Punkt teilt eine Strecke dann im Goldenen Schnitt, wenn dabei der längere Teil zum kürzeren im selben Verhältnis steht wie die gesamte Strecke zum längeren. Es geht sogar noch trockener: Der Goldene Schnitt Φ (Phi) ist das Ergebnis einer Teilung der längeren durch die kürzere Strecke und beträgt rund 1,618.

Der Künstler dagegen erkennt in diesem ganz besonderen Verhältnis gestalterische Perfektion – nicht umsonst nannte man den Goldenen Schnitt auf Lateinisch proportio divina, die göttliche Proportion. Wir finden sie, wo immer Menschen Bedeutendes geschaffen haben: im Parthenon-Tempel in Athen (Säulen- im Vergleich zur Gesamthöhe: im Goldenen Schnitt), im Gemälde «Das Abendmahl» von Leonardo da Vinci (Jesus‘ offen auf dem Tisch liegende Hand: im Goldenen Schnitt), selbst in den Dimensionen unserer Kreditkarten (Breite und Höhe: im Goldenen Schnitt).

Über alle Zeiten hinweg: Diese rätselhafte Verhältniszahl 1,618 empfinden wir Menschen als ganz besonders ausgewogen und harmonisch. Vielleicht weil die Natur selbst diesem Verhältnis immer wieder folgt: in der Fibonacci-Folge, mit der Leonardo da Pisa im Jahr 1202 nachweisen wollte, wie sich Kaninchen im Lauf der Zeit vermehren, im spiralförmigen Aufbau von Tannzapfen oder Sonnenblumen, ja selbst in der Höhe der Wellenbewegungen, die heftigen Kursausschlägen an der Börse folgen.

Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben,

schrieb Galileo Galilei anno 1623. Falls dem so ist, müsste der Titel dieses Buches lauten: «Der Goldene Schnitt».

Schreibmaschine, elektrische

7. Mai 1957: Die Hannover-Messe öffnete ihre Tore. In der Fachausstellung für Büromaschinen, der Mutter der heutigen CeBIT, stand der Star der Messe: die erste elektrische Schreibmaschine. Mechanische Schreibmaschinen gab es zwar schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts, und längst hatte der harte Anschlag das einstige Kratzen der Federkiele verdrängt.

Elektrische Schreibmaschine
Tippen war harte Arbeit: Eine Sekretärin, die pro Tag 100’000 Anschläge schaffte, drückte ein Gesamtgewicht von 6 Tonnen. Dass in Hannover nun ein Gerät präsentiert wurde, in dem ein Elektromotor die anstrengende Tipperei erledigte, verhiess Komfort und Effizienz.

Doch auch wenn sie zur Ikone der Geschäftswelt werden sollte: diese elektrische Schreibmaschine war bei weitem nicht die erste. Die hatte schon 1902 in Erie, Pennsylvania, der Erfinder George C. Blickensderfer entwickelt: die «Blick’s Electric». Sie war ein Wunder ihrer Zeit – und von Haus aus mit der so genannten «wissenschaftlichen» Tastatur versehen: Die im Englischen häufigsten Buchstaben D-H-I-A-T-E-N-S-O-R fanden sich auf der untersten Tastenreihe, wo sie der Schreiberin am nächsten waren. Das heutige Tastenlayout Q-W-E-R-T-Y hatte die Firma zwar auch auf Lager, riet aber streng davon ab.

Die «Blick’s Electric» mit ihrem wuchtigen, gusseisernen Rahmen konnte schon alles, was 60 Jahre später die legendäre Kugelkopf-Schreibmaschine «Selectric» von IBM auch konnte. Nur erfolgreich war sie nicht. Aber das lag weniger an der Maschine als vielmehr am Umstand, dass es in den Büros von 1902 etwas Entscheidendes noch gar nicht gab: elektrischen Strom.