Helveticus

Lieber junger Freund!,

so beginnt das Vorwort:

Wenn die Schulstunden beendet und die Aufgaben erledigt sind, beginnt der Teil des Tages, der dir gehört. Jetzt kannst du dich frohen Herzens nach eigener Neigung unterhalten, sei es mit Spiel und Sport, sei es mit einer interessanten Liebhaberei.

Es sind die ersten Zeilen der ersten Ausgabe von «Helveticus», jenem in Leinen gebundenen, gut 300 Seiten starken urschweizerischen Jugendbuch.

Dieser erste Band erschien im Kriegsjahr 1941 im Berner Hallwag-Verlag, und mit Jugend waren ausschliesslich Buben, mit Spiel Belehrung gemeint.

Blättere im Helveticus und schon hast du etwas gefunden, was dich fesselt und an dem du Freude hast. Diese Seiten wurden eigens für euch, junge Freunde, von Leuten geschrieben, die eure Wünsche und Neigungen kennen und genau wissen, an was für Dingen und Beschäftigungen ihr euch begeistern könnt. Der Helveticus wird dir sicher zu einem guten Kameraden werden, der dich unterhält und mit vielseitigen Anregungen deine Freizeit interessant auszufüllen vermag.

Trotz dieser schulmeisterlich kreidestaubigen Einleitung war der fortan im Jahresrhythmus erscheinende «Helveticus» der Renner der Schulbibliothek: mit Beiträgen wie «Hat es überhaupt Pfahlbauer gegeben?», «Die Beduinen Arabiens» und, unangefochtener Höhepunkt des jeweiligen Bandes, mit minutiösen Bastelanleitungen für ein Hygrometer mit Drahtzeiger und Frauenhaar oder – Gipfel der Bastlerträume – gar ein Teleskop mit handgeschliffenem Hohlspiegel.

Bubenträume mögen heute «Playstation» heissen oder «World of Warcraft», doch bis zum allerletzten Band im Jahr 1988 hiessen sie «Helveticus».

Herbst

Der Frühling ist zwar schön, doch wenn der Herbst nicht wär, wär zwar das Auge satt, der Magen aber leer.

So dichtete, im 17. Jahrhundert und mit bestechender Logik, der schlesische Barockdichter Friedrich von Logau.

Der Herbst: Astronomisch begann er 2009 exakt am 22. September um 23.19 Uhr Sommerzeit, als die Sonne den Himmelsäquator in Richtung Süden überquerte. Diesen Zeitpunkt nennt man die Herbst-Tagundnachtgleiche. Wohlgemerkt: Das galt so nur für dieses eine Jahr – und für die nördliche Erdhalbkugel. Auf der südlichen beginnt der Herbst am 20. März – oder, je nach Jahr, in der Nacht darauf.

Die Meteorologen rechnen übrigens anders: Für sie hatte der Herbst längst begonnen, nämlich am 1. September und, 2009 nicht ganz passend, mit einem Hitzetag mit deutlich über 30 Grad Celsius.

Der Wort Herbst ist wohl so alt wie die Sprache selbst: Der deutsche Dichter Adolf Reinecke, der germanisches Volkstum idealisierte, erfand 1893 für den September gar den Kunstnamen «Herbsting». Unser heutiger Herbst ist verwandt mit dem englischen harvest, Ernte, und mit dem lateinischen carpere, pflücken. Das wiederum hängt sprachlich eng zusammen mit dem lateinischen scalpere, was schnitzen oder schneiden bedeutet. Tatsächlich wird im Herbst – ursprünglich mit der Hand und mit der Sichel – das Getreide geschnitten.

Vom astronomischen Herbstbeginn an werden die Tage rapide kürzer – jeden Tag um 3 Minuten und 24 Sekunden, um genau zu sein, und das genau bis zum astronomischen Herbstende, dem Tag der Wintersonnenwende, am 21. Dezember.

Hobbit

Sie sind nur halb so gross wie wir, werden oft ein wenig rund um die Leibesmitte, tragen keine Schuhe, essen viel und lachen gern, und sie hassen alles, was ihre Beschaulichkeit stört: die Hobbits. Sie leben in einem Idyll namens «The Shire», geschaffen von John Ronald Reuel Tolkien. In «The Hobbit» und dem sechsteiligen Epos «The Lord of the Rings» hat Tolkien der Welt Fantasy-Literatur beschert, die heute zur Weltliteratur zählt. Unnötig, zu sagen, dass die beiden Hobbits Bilbo und sein Neffe Frodo Baggins ihre notorische Abneigung gegen Abenteuer notgedrungen überwinden. Aber davon erzählen, neben Tausenden von Buchseiten, mittlerweile auch die in Neuseeland gedrehte Filmtrilogie «Der Herr der Ringe», die – mit einem Budget von 280 Millionen Dollar gedreht – mit 17 Oscars prämiert wurde und weltweit gegen drei Milliarden Dollar eingespielt hat.

In Vergessenheit gerät da gern der, dem die Welt die Hobbits verdankt: J.R.R. Tolkien. Der war nicht nur ein passionierter Schreiber mit einer blühenden Fantasie, sondern vor allem Professor und einer der führenden Philologen seiner Zeit. Neben seinen Hobbit-Abenteuern widmete sich Tolkien der alt- und mittelenglischen Literatur, je spannender, desto besser: «Gawain und der grüne Ritter», von Tolkien übersetzt und kommentiert, ist so etwas wie ein Fantasy-Thriller des Mittelalters.

«The Hobbit», dieses Urwerk der Tolkien’schen Fantasiewelt, am 21. September 1937 in London erschienen, entstand beim Erzählen von Gutenachtgeschichten – Tolkien war ein hingebungsvoller Familienvater – und beim Korrigieren von Schülerarbeiten. Auf der Rückseite eines besonders langweiligen Papiers notierte er schon Ende der Zwanziger die ersten Worte des Romans, der Geschichte schreiben sollte:

In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.

Hokuspokus

Gezaubert haben wir als Kinder schon lange vor Harry Potter. Unsere Zauber waren vielleicht nicht ganz so wirkungsvoll, dafür waren sie umso rascher gelernt: «Hokuspokus», und das Zimmer war aufgeräumt, auch wenn das die Eltern etwas anders sahen.

Der Wunsch, zaubern zu können, ist so alt wie die Menschheit. Und fast genauso alt ist das Wort «Hokuspokus».

hocus pocus schwarz und weisz,
fahre stracks auf mein geheisz
schuri muri aus den knaben,

lässt schon um 1700 der deutsche Schriftsteller Christian Reuter seinen Antihelden Schelmuffsky deklamieren.

Viele Sprachforscher sehen in «Hokuspokus» eine Verballhornung der katholischen Liturgie: Hoc est enim corpus meum, spricht der Priester während der Wandlung: «Dies ist nämlich mein Leib» – gemeint ist der Leib Jesu Christi. Das gemeine Volk, das kein Latein verstand, soll nur Hokuspokus mitbekommen haben. Eine durchaus zauberhafte Erklärung, aber am Ende doch nur etymologischer Hokuspokus.

Die Wirklichkeit ist prosaischer: Hocus, auf Englisch hoax, bedeutet Schabernack, lateinisch hocus pocus soviel wie Taschenspieler. Das später auch ins Deutsche übersetzte Buch «Hocus Pocus Iunior» des Engländers Elias Piluland von 1634 erzählt vom Sohn eines Gauklers, und in Thomas Adys ungefähr gleich alter Geschichte «Candle in the Dark» brüstet sich ein Trickkünstler, The Kings Majesties most excellent Hocus Pocus zu sein.

«Hokuspokus», nichts als Gaukelei: Daran wird es wohl gelegen haben, dass das verzauberte Kinderzimmer am Ende doch noch aufgeräumt werden musste.

Holland

Die Niederlande und Holland: Das sind zwei Namen für ein einziges Land, das fast exakt so klein ist wie die Schweiz.

Offiziell heissen die Niederlande Nederland, auf deutsch: Tiefland – und das ist wörtlich zu nehmen. Die Hälfte des Landes liegt höchstens einen Meter über Meer; ein Viertel gar, von 3000 Kilometer langen Dämmen geschützt, sogar unterhalb des Meeresspiegels. Und doch hat der Name Nederland nur bedingt mit der geografischen Höhe zu tun. Die Niederlande waren lange Teil des Herrschaftsgebiets des Fürstenhauses Habsburg, das Gebiete sowohl am Ober- als auch am Niederrhein besass, die oberen und die niederen Rheinlande. Die Flussbezeichnung wurde überflüssig, als die Habsburger ihre oberrheinischen Gebiete verloren. Was blieb, waren die Niederlande.

Hoch und tief findet sich auch in der Sprache: Wir Schweizer sprechen wie die Deutschen Hochdeutsch, die Niederländer wie die Engländer Niederdeutsch. Der Unterschied besteht im Umgang mit den Lauten: Was für uns besser ist als nichts, heisst in Holland better van nit. Was für uns abgeschlossen ist, wird in Holland afgesloten. Und doch: Wie eng verwandt unsere Sprachen sind, lässt sich daran ablesen, dass wir die Holländer zwar kaum verstehen, aber ihre Zeitungen trotzdem ohne weiteres lesen können.

Der Name Holland dagegen bezeichnet eigentlich nur den Nordwesten des Landes. Holland war die bedeutendste Provinz des Königreichs. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Provinz unterteilt – in Nordholland mit der Hauptstadt Haarlem, und Südholland mit der Hauptstadt Den Haag. Weil diese zwei tonangebenden Provinzen in den übrigen zehn nicht sonderlich beliebt sind, mögen auch viele Niederländer den Namen Holland nicht besonders. Ein Holländer gilt durchaus schon mal als geizig oder ungastlich.

Ausser, natürlich, in Holland.