Gotthelf, Jeremias

Es mag grössere Schriftsteller gegeben haben als ihn, dessen Pseudonym Jeremias Gotthelf Programm war. Besonders der späte Gotthelf, immer wieder als missionarischer Reaktionär verschrieen, ist ein sperriger Klotz in der Schweizer Literaturgeschichte. Werke wie der Doppelroman «Uli der Knecht» und «Uli der Pächter» gehören zwar zur Schweizer Allgemeinbildung, andere Romane aus derselben Zeit wie «Jakobs Wanderungen» sind dagegen völlig unbekannt geblieben.

Jeremias Gotthelf alias Albert Bitzius, Jahrgang 1797, war Sohn des Pfarrers von Murten, und wie der Vater, so der Sohn: Gotthelf studierte Theologie und wurde, nach verschiedenen Stationen im Kanton Bern, Pfarrer in Lützelflüh. Hier, im beschaulichen Emmentaler Dorf, entstand eines der grössten literarischen Werke der Zeit: Die Gesamtausgabe umfasst 24 Bände und 8000 Seiten, Predigten, Kalendergeschichten und Briefe füllen weitere 18 Bände. Auch wenn Gotthelfs Deutsch mit Berner Dialekt durchsetzt ist: Die meisten Leser fand er, ausgerechnet, in Deutschland. Selbst Schweizer Zeitgenossen wie Gottfried Keller stiessen sich an Gotthelfs Volkstümelei, selbst wenn – oder vielmehr gerade weil – solches im Deutschland der 1840er Jahre grosse Mode war.

Solche Kritik liess Gotthelf kalt. Er sorgte sich nicht um seinen Ruf, sondern um Menschen. Was ihn kümmerte, waren Armut und Verwahrlosung, was er anprangerte, waren Egoismus und Gottlosigkeit. Als Gotthelf 1854 an einem Schlaganfall starb, hinterliess er ein literarisches und politisches Zeitgemälde, das seinesgleichen sucht. Um es mit dem Germanisten Walter Muschg zu sagen: «Gotthelf, dieser Aussenseiter, war der einzige, der sich mit Dickens, Balzac oder Dostojewskij vergleichen lässt.»

Höchste Zeit, wieder einmal Gotthelf zu lesen.

Grotesk

«Shame shame shame» von der Gruppe «Shirley & Company»: Haben Sie ihn noch im Ohr, den Disco-Sound der siebziger Jahre? mit den Tanzfiguren, die doch viel eher groteske Verrenkungen waren? Grotesk, genau. Denn das Wort, das wir heute für Unnatürliches, für Verzerrtes und Absurdes brauchen, kommt tatsächlich aus der Welt der Kunst und des Tanzens.

Nur ist dieser Tanz eine ganze Weile her. Getanzt – oder besser: gemalt – wurde er in der domus aurea in Rom, jenem geradezu grössenwahnsinnigen Palast Neros auf dem Palatin, den dieser nach dem Brand der Stadt im Jahr 64 nach Christus hatte bauen lassen. Über diesen Palast schrieb der Schriftsteller Sueton: «In der Eingangshalle des Hauses fand eine 120 Fuss hohe Kolossalstatue mit dem Porträt Neros Platz. Die ganze Anlage war so gross, dass sie drei Säulengänge von einer Meile Länge und einen künstlichen See umfasste, der fast ein Meer war, umgeben von Häusern, so gross wie Städte. Dazu kamen Villen mit Feldern, Weinbergen und Weiden, Wälder voller wilder und zahmer Tiere aller Arten. Einige Teile des Hauses waren vollständig vergoldet und mit Edelsteinen und Muscheln geschmückt. In den Speisesälen gab es bewegliche Decken aus Elfenbein, durch die Blumen herabgeworfen und Parfüm versprengt werden konnte.»

Eine solche Anlage grotesk zu nennen, wäre wohl kaum übertrieben. Aber: Das Wort kommt von den ungewöhnlichen Wandmalereien des Palasts. Vom römischen Maler Fabullus ist überliefert, dass er nie im Arbeitskittel, sondern stets in der Toga gearbeitet habe. Dieser Fabullus hatte Neros Palastwände mit Ornamenten aus Tier- und Menschenleibern in den seltsamsten Verrenkungen bemalt. Als die Ruinen im Jahr 1480 gefunden wurden, hielt man diese Fresken für Höhlen- oder Grottenmalerei, pittura grottesca.

Groteske Tänze sind also keine Erfindung der Siebziger, sondern der Renaissance und der alten Römer.

Gutenberg, Johannes

Kennen Sie Henne Gensfleisch? Natürlich kennen Sie ihn. Nur vielleicht nicht unter diesem Namen, sondern als Johannes Gutenberg. Und «kennen» ist womöglich ein etwas starkes Wort, denn die Geschichte des Johannes Gutenberg liegt über weite Strecken im Dunkeln.

Alle wissen wir, dass Gutenberg ums Jahr 1450 den modernen Buchdruck erfunden hat. Nur ist das nicht ganz richtig. Das Verbreiten von Schrift mittels Hochdruck – mit einer Art von Stempeln aus Holz – gab es in China schon lange vor Christi Geburt. Was Gutenberg aber erfand, war das Drucken mit beweglichen Lettern, von der Legierung aus Zinn, Blei und Antimon bis hin zur Druckerpresse. Gutenberg war der Erfinder des modernen Druckprozesses, der, zum ersten Mal in der Geschichte, eine industrielle Herstellung von Büchern möglich machte.

Das ist sozusagen die öffentliche Seite Gutenbergs. Seine Person, sein Leben allerdings liegen weitgehend im Dunkeln; vieles ist Spekulation und Legende. Zum Beispiel sein Porträt: Der Kupferstich zeigt einen Herrn in mittleren Jahren, mit gepflegtem Kinnbart und strengem Blick. Das Porträt indes entstand erst lange nach Gutenbergs Tod – und ist pure Erfindung. Von seiner Kindheit in Mainz ist nichts bekannt, ein Studium in Erfurt wird vage vermutet. Belegt sind sein Beruf als Goldschmied und Spiegelmacher und – ganz im Verborgenen, weil Geschäftsgeheimnis – erste Drucke in Strassburg. Zurück in Mainz, entstand sein wichtigstes Werk: der Druck der Bibel, die ihn auf einen Schlag berühmt machte. Die Druckerei aber hatte Unsummen verschlungen – Geld, das sich Gutenberg vom reichen Kaufmann Johann Fust geliehen hatte. Skrupellose Rückforderungen und ein verlorener Prozess sollten Gutenberg bis zu seinem Tod 1468 ruinieren.

Johannes Gutenberg hinterliess Bücher, Schriften, Typen – und eine Erfindung, ohne die die moderne Geistesgeschichte nicht denkbar wäre.

Handy

Es ist nicht nur an aller Munde, das Handy – es ist vor allem an aller Ohr. Vor sich hinsprechende, gestikulierende Menschen auf dem Rad oder gar im Swimmingpool sind längst Alltag. Nur das Wort – Handy – das will einfach noch so gar nicht in den Mund passen.

Handy
Das findet auch die Amerikanerin und der Engländer. Wenn Sie den nämlich um sein Handy bitten, wird er Sie ganz einfach nicht verstehen – je nach Temperament werden Sie entweder ratlose Zurückhaltung oder aber einen Lachkrampf ernten. Für ihn heisst das Ding nämlich cell phone oder, etwas britischer, mobile. Aber ja, zugegeben, das Ding ist handy, und zwar durchaus in seiner englischen Bedeutung – nämlich bequem, handlich, praktisch.

Aber eigentlich heisst das in der Schweiz ja auch gar nicht Handy. Sondern Natel. Das ist eine so richtig schön amtlich bewilligte Abkürzung und heisst «Nationales Autotelefon». Es kommt aus einer Zeit, da Handys noch alles andere als handy, sondern vielmehr hässliche Reisekoffer waren. portable, so nennen die Franzosen ihr Handy, also tragbar waren sie mit einiger Anstrengung zwar durchaus, aber mobil? Das erste Schweizer Natel kam 1978 von Brown-Boveri, musste an eine Steckdose oder Autobatterie angeschlossen werden und eignete sich mit seinen 15 Kilo vor allem für gewichtige Gespräche. Und mit seinem Preis von 16 000 Franken war es seinen wenigen Besitzern lieb und sehr teuer.

Danach aber begannen die Natels zu schrumpfen – und wurden zum telefonino, wie die Italiener ihr bestes Stück nennen. Die leichtesten Geräte wiegen heute gerade mal 80 Grammdas ist handy! Wenn das so weitergeht, dann behält jener Journalist doch recht, der vor einigen Jahren schrieb, bald schon liefen wir Gefahr, im Zug aus Versehen das Handy des Sitznachbarn einzuatmen.

Hash

#foodporn, #metoo, #art: Der Hashtag ist in aller Munde – oder besser: in aller Hand. Die sozialen Medien strotzen nur so von klickbaren Schlüsselwörtern, die immer mit einem sogenannten hash beginnen. Auch der Hash selbst kennt viele Namen. Das charakteristische Zeichen aus zwei senkrechten und zwei waagrechten Strichen heisst auf Deutsch «Doppelkreuz», «Raute», «Lattenzaun», «Kanalgitter» oder «Schweinegatter» – und auf Schweizerdeutsch meist ganz einfach «Gartehag».

Der Hashtag ist zwar eine Erfindung des Computer-Zeitalters; den Hash als typografisches Zeichen dagegen gibt es schon seit dem Mittelalter. Das römische Pfund hiess auf Latein libra pondo. Aus pondo wurde schliesslich das deutsche Pfund, und libra, ebenfalls ein Wort für «Pfund», wurde von englischen Schreibern seit dem 14. Jahrhundert abgekürzt – als «lb» mit einem darüberliegenden horizontalen Strich, um die Abkürzung anzuzeigen. Im frühen Buchdruck gab es sogar ein «lb»-Zeichen mit Überstrich, währenddem sich das handschriftliche, oft hastig hingeworfene Pfund-Zeichen verschliff und zum «Lattenzaun» wurde, den wir heute auf Englisch hash nennen.

Und der kann noch viel mehr als nur soziale Medien. In der Musik erhöht er als Ersatzzeichen für das Kreuz um einen Halbton, in Computersprachen kennzeichnet er Kommentare oder Sprungmarken. Den «Hash» finden wir auf der Telefontastatur und auf Rechenmaschinen; er bezeichnet Nummern und Parallelogramme, bedeutet Schachmatt und – in der Medizin – sogar den Bruch eines Knochens. Der Hash im Hashtag ist ein Hansdampf in allen Gassen.