Autor

Inflation ist ein Phänomen, das bisweilen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Sprache erfasst. Wörter, die einst Grosses ausdrückten, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, bis ihr Gegenstand in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Ein solches Wort ist «Autor». Damit war, zu den Zeiten eines Marcus Tullius Cicero, der Urheber gemeint, der Verfasser von wirkungsmächtigen Texten. Und was für Texte das waren! Die legendäre Anklageschrift gegen den räuberischen Ex-Prätor von Sizilien etwa, Gaius Verres, der Tempel zu plündern pflegte, um die gestohlenen Kunstwerke dann ungeniert in seinen Villen aufstellen zu lassen. Vor Gericht – und vor allem vor dem wortgewaltigen Ankläger Cicero – hatte der mächtige Verres nicht den Hauch einer Chance: Von zwei verfassten Brandreden brauchte Cicero nur die erste zu halten, da zog es der korrupte Verwalter vor, sang- und klanglos ins Exil zu verschwinden.

Autoren waren Autoritäten – nicht umsonst sind die beiden Wörter eng verwandt: Beide stammen vom lateinischen augere ab, auf Deutsch «vermehren, vergrössern, fördern». Ein auctor im lateinischen Sinn zu sein, verheisst Grösse:

Es ist kein Autor so gering und klein, der nicht dächt‘, etwas Recht’s zu sein,

reimte um 1825 Wilhelm Hauff, seines Zeichens ebenfalls Autor. Heute scheint Autorschaft gar eine Art Volkssport zu sein. Leserbriefschreiber sind Autoren, Filmer sind es, Programmierer von Software, Texter von Popsongs, Verfasser von Blogposts, Journalisten bekanntlich sowieso.

Dass ein selbsternannter Autor allein noch keine grossen Werke verspricht, wusste schon der alte Goethe. Nach der Lektüre missglückter Zeilen eines Kollegen dichtete er gehässig in seinen «Zahmen Xenien»:

Mir will das kranke Zeug nicht munden,
Autoren sollten erst gesunden.

Avatar

Wenn Sie Ihrer Figur in Ihrem Lieblingsgame oder auf Twitter ein Gesicht verleihen – ein Foto oder eine Grafik –, dann nennt man diese Figur Avatar. Der Avatar ist unser virtuelles Selbst in der Brave New World des Internet, und spätestens seit 2009 und dem 3D-Kinospektakel dieses Namens, das seinen Machern gegen drei Milliarden Dollar in die Kassen gespült hat, ist das seltsame Wort auch im Deutschen angekommen. Mit Web oder Kino hat der Avatar hat allerdings nicht das mindeste zu tun: Das Wort stammt aus der altindischen Tempelsprache Sanskrit und ist der Name für einen vom Himmel herabgestiegenen Gott oder für die Verkörperung einer göttlichen Eigenschaft in Form eines Menschen oder Tiers. Im Hinduismus ist der Avatar ein Gefährte, ein Lehrer des Menschen auf seinem Weg hin zur Vollkommenheit.

Doch Nerds, ganz besonders die Programmierer von Computergames, haben einen unbezähmbaren Hang zum Profanen. Schon 1986, notabene drei Jahre vor der Geburt des World Wide Web, brachte die Firma des Star-Wars-Produzenten George Lucas in Kalifornien ein Game für den Commodore C64 auf den Markt. Das Spiel hiess «Habitat» und entführte den Spieler via Telefon, Akustikkoppler und Modem in ein virtuelles Universum. In «Habitat» hiessen die Figuren der Gamer zum ersten Mal «Avatar», und das Game erwies sich als so erfolgreich, dass seine Nachfolger wie zum Beispiel «World of Warcraft» heute Jahr für Jahr Milliarden einspielen. In einem Projekt mit dem Namen «2045 Initiative» arbeitet der 32-jährige russische Multimillionär Dimitri Itskow gar daran, einen buchstäblich unsterblichen Roboter zu schaffen, in Menschengestalt und Massenproduktion, mit einem ausdrucksfähigen künstlichen Gesicht, menschliche Intelligenz, Bewusstsein und Persönlichkeit inbegriffen. Sein Name: «Avatar».

Backgammon

Backgammon mit seinem zweifarbigen, gezackten Spielbrett, mit seinen schwarzen und weissen Spielsteinen und seinen Würfeln ist hierzulande nicht sonderlich gut bekannt. Im Nahen Osten und rund ums Mittelmeer dagegen schon: In der Türkei etwa ist Backgammon so etwas wie das Nationalspiel.

Backgammon
Backgammon wurde nachweislich schon vor 5000 Jahren gespielt – in Shahr el-Sokhta, einer Fundstätte im Südosten Irans, wurde ein prähistorisches Spielbrett ausgegraben, mitsamt kleinen Würfeln aus Knochen. Die um 1300 in Zürich entstandene Manesse-Handschrift enthält eine Bildtafel, die einen Adligen und einen Mönch beim Backgammonspiel zeigt – auch wenn das Spiel damals Puff hiess, Pasch, Tricktrack oder Wurfzabel. Und aus dem Rumpf des 1545 vor der englischen Südküste gesunkenen Kriegsschiffs «Mary Rose» wurde ebenfalls ein handgeschnitztes Spiel geborgen.

Heute ist Backgammon Gegenstand von Turnieren, die nach dem K.o.-System ausgetragen werden und auf deren Spiele gewettet werden kann. Doch auch Programmierern bereitet es Kopfzerbrechen. Das Spiel ist trotz seiner einfachen Regeln ausgesprochen komplex. Einem Computer richtig gutes Backgammon beizubringen, ist ähnlich schwierig wie Schach – und gelingt erst seit den späten 80er Jahren. Selbst heute gibt es nicht mehr als eine Handvoll spielstarker Programme.

Ob Amateur-, Computer- oder Turnierspieler: Anhänger hat das Spiel seit Menschengedenken. Als der britische Archäologe Howard Carter 1922 im ägyptischen Tal der Könige auf die völlig unversehrte Grabkammer des Pharaos Tutenchamun stiess, fand sich, zwischen all den Schätzen und zur Unterhaltung in der Totenwelt, auch ein Backgammonspiel.

Baez, Joan

Freitag abend, 19. August 1969, auf einer Farm in Bethel, 70 Kilometer von Woodstock und 150 Kilometer von New York entfernt. Starker Regen hatte den Boden aufgeweicht, Hunderttausende drängten sich im Matsch vor der Bühne, auf der bekiffte Nobodys improvisierten. Die Zufahrtsstrassen waren verstopft, Bands und Verpflegung mussten per Helikopter eingeflogen werden, die Organisation ein einziger Alptraum. Nichts deutete darauf hin, dass dieses aus den Fugen geratene Sommerfestival Musikgeschichte schreiben würde.

Aber dann, als letztes Konzert des ersten Tages: die damals 28-jährige Sängerin Joan Baez. Nüchtern, klar und konzentriert, das kurze schwarze Haar wie ein Helm, eine zierliche Frau, ganz Stimme. Die schliesslich die Gitarre weglegte und vor der riesigen, gebannten Menge den Gospel Swing Low, Sweet Chariot sang, a cappella und mit einer Intensität, die Löcher in den Cannabisnebel brannte.

1969 in Woodstock, da war Joan Baez bereits ein Star: als Folksängerin, als Kämpferin gegen Diskriminierung, die nur noch an schwarzen Universitäten auftrat, weil es da keine Rassenschranken gab, als Freundin von Bob Dylan, mit dem sie 1963 am legendären Civil Rights March aufgetreten war.

Musikalisch ist ihr Weg ein Mäander – von Lyrik und Folksongs zu Country und Pop –, politisch dagegen ist er gradlinig: Joan Baez, die Sängerin, trat und tritt gegen Rassentrennung an, für die Menschenrechte, gegen den Vietnam- und überhaupt alle Kriege.

Zwei Dinge haben sie dabei ein Leben lang begleitet: ein fürchterliches Lampenfieber – und eine Stimme, ohne die das Chaos von 1969 nicht Woodstock geworden wäre.

Bagatelle

«Rondeau – les bagatelles» nannte der französische Komponist François Couperin ein heiteres Stück, das er 1717 geschrieben hatte. Und damit tauchte die Bagatelle zum ersten Mal in der Musik auf. Eine Bagatelle ist heute der Begriff für ein kleines Charakter- oder Genrestück, meistens für Klavier. Ausserhalb der Musik aber soll man sich mit Bagatellen nicht aufhalten: Beim Parkieren etwas zu weit ausgeholt, und das andere Auto hat eine Delle – ein Bagatellschaden. Und eine Bagatelle ist eine unbedeutende Sache, eine Kleinigkeit, auf die einzugehen die Mühe nicht wert ist. Das Wort kommt von der italienischen Verkleinerungsform bagatella, eine kleine, unnütze Sache, die wiederum auf die lateinische baca zurückgeht, auf Deutsch eine Beere.

Alle Bagatellen haben gemein, dass sie klein sind. Ludwig van Beethoven, wie so oft in Geldnöten, wurde das beinah zum Verhängnis. Über einen langen Zeitraum hinweg hatte er eine Reihe von Bagatellen für Klavier geschrieben, eine disparate Sammlung von unspektakulären kleinen Klavierstücken, die er 1823 dem Leipziger Verleger Carl Friedrich Peters anbot. Der aber lehnte ab: Diese Bagatellen, so schrieb er in einem missmutigen Brief, seien «gar zu klein», technisch unausgewogen, und «für keine Zielgruppe interessant.

Dass dieses Werkchen von dem berühmten Beethoven sey, werden wenige glauben.

Noch im selben Jahr erschienen die Stücke in London dann doch, vielleicht nicht als Beethovens grösste Werke, aber dennoch als Bagatellen von ganz besonderem Format.