Esszett

26 Buchstaben kennt unser Alphabet, dazu die drei Umlaute, macht deren 29. Und dann gibt’s noch einen, den wir in der Schweiz eigentlich gar nicht kennen, das Esszett. Bei ihm wird’s schwierig, denn hierzulande kennen wir die Rechtschreibregeln nicht, und selbst in Deutschland weiss man nicht so recht, wie er eigentlich heissen soll. Neben Esszett spricht man auch vom Doppel-S oder vom scharfen S, vom Buckel-, Rucksack-, Dreierles- oder Ringel-S.

Klar ist: Das Esszett steht für den stimmlosen s-Laut, so wie in weiß oder Fuß, und es ist eine Ligatur, also eine typografische Verbindung, aus einem langen ſ, das Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist. Bei der zweiten, rechten Hälfte des Esszett aber ist Schluss mit der Klarheit. Die Schriftgelehrten streiten bis heute darüber, ob es ursprünglich ein normales s war oder eine 3 – oder aber ein kleines z mit Unterschlinge, ein ʒ. Tatsächlich war der Laut im Mittelalter als sz geschrieben worden, eine Schreibweise, die selbst die Gebrüder Grimm noch im 19. Jahrhundert verwendeten.

Auch mit den Regeln war es so eine Sache. In Sachen Esszett gab es nämlich deren zwei, benannt nach Johann Christoph Adelung oder nach Johann Christian August Heyse, beides Lexikographen im 18. Jahrhundert und gänzlich uneins, wann man denn nun ein Esszett und wann ein Doppel-s setzen sollte. Entschieden wurde die Sache im Sinne von Heyse, mit der Rechtschreibreform von 1996. Seither gilt: Das Esszett steht nach einem betonten Langvokal, so wie in Maße oder Buße, und nach einem Doppelvokal, so wie in heißen oder außen. Nach Kurzvokalen dagegen (Masse, Busse) steht immer ein gewöhnliches Doppel-s.

Federn, fremde

Sich mit fremden Federn zu schmücken, ist kein schöner Zug, aber ungemein beliebt: Leistungen anderer als die eigenen auszugeben, ist da Alltag, wo Menschen allzu sehr auf ihren Schein bedacht sind.

Die sprichwörtlichen Federn stammen von einem antiken Pfau. Phaedrus, ein kurz nach Christi Geburt von Kaiser Augustus freigelassener Sklave, war ein leidenschaftlicher Fabeldichter, der mit seinen Texten ein Sittenbild des dekadenten Rom malte – und dessen fabelhafte Anspielungen ihm prompt den tierischen Zorn der Mächtigen zutrug.

Eine dieser Fabeln handelt von einer listigen Krähe, die eifrig glänzende Pfauenfedern sammelt, sich mit ihnen schmückt und anschickt, sich den prachtvollen Vögeln anzuschliessen. Die aber fallen auf die Verkleidung nicht herein, rupfen dem Eindringling die gestohlenen Federn aus und hacken mit ihren Schnäbeln auf ihn ein. Arg zerzaust schleicht sich die Krähe zu ihresgleichen zurück, um auch von ihren Artgenossen verspottet und verjagt zu werden. Die Fabel ist ein uraltes Gleichnis für eine verbreitete menschliche Schwäche, und jedes Jahrhundert und jede Sprache kennt ihre eigene Fassung davon. Lessing verarbeitete die Geschichte ebenso wie der französische Schriftsteller La Fontaine, dessen Krähenfabel sich schliesslich gar zur Redensart y laisser des plumes verdichtete, auf Deutsch «Federn lassen müssen». In England schliesslich sagt der Volksmund: Fine feathers don’t make fine birds, «schöne Federn machen noch lange keine schönen Vögel».

Die Krähen des Phädrus tummeln sich besonders gern im Reich der Schreibfedern. Ob Kultur oder Wissenschaft – sich mit fremden Federn zu schmücken war noch nie so einfach wie heute: mit Copy & Paste.

Fettnapf

Es ist so schnell passiert: Eine unbedachte Bemerkung, ein flapsiger Spruch, ein fauler Witz, und schon hat man seinen Gesprächspartner gekränkt oder beleidigt. Tja, und damit ist man dann voll ins sprichwörtliche Fettnäpfchen getreten.

Die Redensart gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Schon Jacob Grimm hat das Fettnäpfchen im Jahr 1862 ins Deutsche Wörterbuch aufgenommen:

damit wirst du ihm schön ins fettnäpfchen treten,

steht da zu lesen, heisse

damit wirst dus bei ihm verschütten.

Das war in einer Zeit, in der es den Fettnapf tatsächlich noch gegeben hat. In der Bauernküche wurde für gewöhnlich Speck, Schinken oder Wurst geräuchert. Das abtropfende Fett, das später als Speise- und Bratfett diente, wurde in einem untergestellten Napf gesammelt. Im Erzgebirge, wo die Redensart herkommt, stand in Bauernhäusern zwischen Tür und Ofen überdies ein Napf mit Stiefelfett bereit, Fett, das mit Tierknochenasche schwarz gefärbt wurde. Mit einem Lappen konnten die Eintretenden ihre nassen Lederschuhe unverzüglich schmieren, damit die Schuhe wasserdicht und geschmeidig blieben, und damit das Leder beim Trocknen nicht brüchig wurde.

Ob Speise- oder Stiefelfett: Der Fettnapf hatte die Eigenheit, gelegentlich an der falschen Stelle zu stehen und war im Fall eines Fehltritts im Dunkeln nur allzu rasch umgestossen. Das zähflüssige Fett ergoss sich auf die Holzdielen, und die schwarze, rutschgefährliche Lache musste mühselig wieder weggefegt werden, was dem tapsigen Besucher die Hausfrau nicht unbedingt zur Freundin machte.

Fiasko

Ob verkohlter Obstkuchen oder missglückter Feldzug: Beides ist das katastrophale Ergebnis eines Versuchs, ein Fiasko. Mit anderen Worten: Wem solches widerfährt, ist eine Flasche. Und mit der Flasche hat das Fiasko auch zu tun.

Mitte des 19. Jahrhunderts betritt das Fiasko die Bühne. Im Theater bedeutet es einen Reinfall, ein Debakel, einen Flop. Es kommt von der italienischen Redewendung fare il fiasco, wörtlich «die Flasche machen» oder «durchfallen». Auch heute noch heisst die typische Korbflasche italienisch fiasco, doch was der Chianti mit dem Versagen zu tun hat, darüber haben sich die Sprachforscher lange den Kopf zerbrochen. Eine Vermutung lautet, dass der Schauspieler, der sich am Ende als Schmierenkomödiant entpuppte, am Ende eine Flasche umgehängt bekam. Eine andere geht dahin, dass die französische bouteille, die schon seit jeher in der Jugendsprache «Fehler» oder «Versager» bedeutete, auf das italienische fiasco abfärbte. Schon näher liegt der Schluss, dass die Wendung auf die Glasbläser auf der Insel Murano zurückgeht, die missratene Flaschen wegwarfen, um sie aufs Neue einzuschmelzen. Doch die nächstliegende Herleitung will wissen, dass far fiasco aus der Welt der Spieler kommt: Der Verlierer bezahlt die nächste Flasche, die nächste Runde. In der Bedeutung «kostspieliges Versagen» hielt das Fiasko schliesslich Einzug ins Deutsche. Am Anfang hiess die Redensart «Fiasko machen», später wurde die Katastrophe kurz und knapp zum «Fiasko». Im Theater erlebte der Darsteller, dem der Text entfallen war, ebenso ein Fiasko wie auf der Weltenbühne der Feldherr, der seine Armeen in den Untergang geschickt hatte.

Und wo es Bühnen gibt, sind die Kabarettisten nicht fern: «Neben der Ehe», so kalauerte der israelische Satiriker Ephraim Kishon, «ist die Einkommensteuer das grösste Fiasko der Menschheit. Man wird laufend zum Betrug gezwungen.»

Filz

Am Anfang war das Feuer, und gleich danach war der Filz: Archäologen haben Reste von Wollfilz gefunden, der über 6000 Jahre alt ist und von Nomadenvölkern stammt, die Schafherden hielten. Gefilzt wurde womöglich schon viel früher – noch ältere Funde gibt es nur deshalb nicht, weil Tierhaar auch bei idealen Bedingungen irgendwann zerfällt.

Seit der Jungsteinzeit wird Filz auf genau dieselbe Weise hergestellt wie heute: Als erstes wird die geschorene Wolle gekämmt oder gekardet – das Wort stammt vom lateinischen carduus, «Distel», ab, weil zum Kämmen getrocknete Disteln verwendet wurden. Die längs ausgerichteten Fasern bilden ein dünnes Vlies, das mit anderen Vliesen zu einer losen Wollmatte kombiniert wird. Und dann wird gefilzt: Mit alkalischem Wasserdampf, Druck und kreisenden Bewegungen werden die Haarfasern zu sogenanntem Walkfilz verarbeitet. Seife, Feuchtigkeit und Hitze bewirken, dass sich die Schuppen der obersten Haarschicht abspreizen; maschinelles Kneten und Pressen sorgt dafür, dass sich die Haare gegenseitig immer stärker durchdringen. Die aufgestellten Schuppen verkeilen sich dabei so stark, dass sie nicht mehr voneinander zu trennen sind. Am Ende wird der Filz gewaschen, getrocknet und gebügelt.

Filz ist ein Wunderstoff: Er ist widerstandsfähig, dehnbar und schützt vor Schlägen. Er ist schallhemmend, wasserabweisend und saugfähig zugleich. Er schützt gegen Kälte und ist dabei quasi unbrennbar: Selbst bei Temperaturen von über 300 Grad wird der Filz nur verkohlen. Das einzige, was dem Filz zuleibe rückt, sind gefrässige Motten. Aber auch dagegen kennen die Menschen seit der Steinzeit ein probates Mittel: getrockneten Lavendel.