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Salinist

Der Mann hiess Carl Christian Friedrich Glenck, war Unternehmer und «Salinist», das heisst, sein Beruf war das Bohren nach Salz.

Ursprünglich hatte Glenck Jura studiert. Doch Mineralogie und Geologie waren spannender, und so schrieb er sich an einer sächsischen Bergbauakademie ein. Später, als Beamter am Hof eines preussischen Fürsten, begann Glenck mit Bohrungen zur Erkundung von Salzlagern – ab 1820 dehnte er seine Suche auf die Schweiz aus.

Glenck bohrte überall – unter anderem in den Kantonen Bern, Wallis, Zürich, jedes Mal ohne Erfolg. Bis er am 30. Mai 1836 bei Muttenz fündig wurde: In 130 Metern Tiefe stiess Glenck auf eine massive, 6 Meter dicke Schicht aus Steinsalz.

Salz nennt man auch das weisse Gold, denn es ist lebensnotwendig: Im Körper eines erwachsenen Menschen zirkulieren bis zu 300 Gramm Salz; etwa 20 Gramm davon werden täglich ausgeschieden. Seit jeher war die Schweiz auf Salzimporte aus den Nachbarländern und aus dem Mittelmeerraum angewiesen. Und so war der Salzfund in Muttenz ein Coup: Auf einen Schlag wurde die Schweiz zur Selbstversorgerin. Gewiefter Geschäftsmann, der er war, gründete Glenck die «Saline Schweizerhalle», die schon kurze Zeit später mit der industriellen Salzgewinnung begann. Heute produzieren die vereinigten Schweizer Salinen mit ihren Abbaustätten in Baselland, Aargau und der Waadt bis zu 600 000 Tonnen Salz pro Jahr.

Hyperbel

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel: Die Hyperbel ist eine extreme, unglaubwürdige, oft unmögliche Übertreibung. Eine Alltagshyperbel ist, wenn wir todmüde sind oder ewig auf den Bus warten; eine dichterische, wenn der Schneidergeselle bei Heinrich Heine «ein niedlicher, kleiner junger Mensch» ist, «so dünn, dass die Sterne durchschimmern konnten». Eine derart ins Absurde geführte Übertreibung dient dazu, das Aussergewöhnliche zu betonen.

Die Hyperbel ist eine wirkungsvolle Form der Rhetorik und damit der Kunst. Im alten Griechenland zählte die Rhetorik (zusammen mit Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) zu den sieben freien Künsten, also der idealen Bildung, nach der ein freier Mann strebte. Denn wem es gelang, vor Gericht oder auf dem Forum Menschen zu überzeugen, der hatte Macht.

Deshalb ist die Hyperbel auch die Lieblingsform von Werbung und Politik. Wenn ein Rasierer für das Beste im Mann gedacht ist oder ein Getränk Flügel verleiht, mag die Hyperbel noch vor allem Augenzwinkern sein. In der Politik dagegen will sie oft diffamieren. In der Hitze des Gefechts sind soziale Anliegen bald «linksradikal» und «kommunistisch», konservative dagegen «totalitär» und «faschistisch»; Vorschriften, aus welcher Ecke sie auch kommen mögen, «Diktatur».

Dabei ginge es auch anders. Die kleine Schwester der Hyperbel ist nämlich die Untertreibung, das britische understatement. Zur Lage der Nation meinte Winston Churchill 1914, nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges:

Business as usual, währenddem sich die Karte von Europa etwas verändert hat.

Fraktur

«Fraktur reden» heisst, jemandem seine Meinung zu sagen, deutsch und deutlich. Fraktur, das ist die sogenannt «gebrochene» Schrift – das Wort kommt vom lateinischen frangere, «brechen». Eine Schrift nennt man dann gebrochen, wenn die Bögen eines runden Buchstabens, etwa des «o», einen deutlich sichtbaren Knick aufweisen. Die älteste Druckschrift, jene der Gutenberg-Bibel Mitte des 15. Jahrhunderts, war eine gebrochene Schrift namens «Textura», deren Brüche im kleinen «n» und «m» ganz besonders deutlich sind. Fraktur war bis ins 19. Jahrhundert die vorherrschende Druckschrift, auch in der Schweiz – die Neue Zürcher Zeitung etwa wurde bis 1946 in Fraktur gedruckt.

Fraktur wird bis heute vor allem mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Tatsächlich war im Deutschland der Dreissigerjahre Fraktur die offizielle Druckschrift, weil sie als besonders deutsch galt. Das geht auf den schwäbischen Heimatdichter Cäsar Flaischlen zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Gedicht «Vom Herrenrecht unserer deutschen Schrift» geschrieben hatte. Da steht zu lesen:

Deutsches Volk, hab acht, sieh zu,
lass dir deine Schrift nicht nehmen,
deine deutsche Schrift bist du! (…)
Du sei du, gradauf und eckig!
Du sei kantig und sei hart!

Und so wurden deutsche Texte in Fraktur geschrieben, nicht aber Fremdwörter, die wurden in sogenannter «Antiqua» gesetzt, unserer heutigen Normalschrift. Weil Fraktur aber für Nichtdeutsche schwer lesbar war, verfügte Adolf Hitler 1941 die Abschaffung der Fraktur – und beendete damit den sogenannten «Antiqua-Fraktur-Streit», die jahrzehntelange politische Auseinandersetzung um die «richtige» deutsche Schrift.

Mosaik

Es gibt Archäologen, die in den Boden eingedrückte Steine und Knochen für das erste Mosaik der Geschichte halten: Im thüringischen Bilzingsleben entdeckten sie einen kreisrunden Platz, den Vorfahren des modernen Menschen vor sage und schreibe 400 000 Jahren dekoriert hatten. Mosaiken, wie wir sie heute kennen, ornamentale oder bildliche Darstellungen aus Stein– oder Glasplättchen, fertigten nachweislich schon die Sumerer und Ägypter im 3. Jahrtausend v. Chr., und in der Antike, bei Griechen und Römern, waren Mosaiken ganz besonders beliebt. Ihr Name kommt denn auch vom spätlateinischen opus musaicum, auf Deutsch «ein Werk für die Musen».

Mosaiken waren ein Statussymbol. Prachtvolle Fussböden finden sich in den Ruinen von Pompeji und Herculaneum; in Piazza Armerina auf Sizilien stehen noch heute die Mauern einer römischen Villa, deren Böden von riesigen, atemberaubend detaillierten Mosaiken bedeckt sind. In der Schweiz schliesslich, nahe dem Waadtländer Dorf Orbe, liess ein namentlich nicht bekannter Römer einen mehr als 100 Räume umfassenden Gutshof bauen, einen Palast mit Blick auf die Alpen, dessen Säle er mit Szenen aus der griechischen Mythologie schmücken liess – mit Theseus und dem Minotaurus etwa, oder Odysseus, der Achilles entdeckt, wie der sich bei den Töchtern des Lykomedes versteckt.

Mit dem Untergang des römischen Reiches verschwand auch das Mosaik aus der Schweiz – um erst im Intérieur des 19. Jahrhunderts wieder aufzutauchen: in öffentlichen Gebäuden der modernen Städte und, wie einst bei den Römern, in den Villen der Reichen.

Exlibris

Ruckzuck im Buchladen oder online gekauft: Bücher sind ein Konsumgut. Das war nicht immer so. Der wahre Schatz mittelalterlicher Klöster waren dessen Bücher, und damit Besitz auch Besitz blieb, wurden die Bücher mit dem Federkiel kunstvoll markiert. Als Johannes Gutenberg ums Jahr 1450 den Buchdruck erfand, stieg auch der Bedarf an Eigentumsmarken, die man «Exlibris» nannte, wörtlich «aus Büchern».

Exlibris, das waren gedruckte Zettel, die sich in die Bücher einkleben liessen und die den kostbaren Bänden in nichts nachstanden – das erste bekannte Exlibris gegen Ende des 15. Jahrhunderts ist ein kolorierter Holzschnitt mit einer Engelsfigur, die das Wappen des deutschen Kartäusermönchs Hilprand Brandenburg von Biberach in den Händen hält. Die Namen der Exlibris-Künstler lesen sich wie ein Who is Who der Renaissance: Albrecht Dürer, Lucas Cranach der Ältere, Hans Holbein der Jüngere, Hans Baldung. Ihre Exlibris zeigen oft Wappen, weil die Ehre und Wohlstand des Besitzers symbolisierten. Beliebt waren auch Porträts, Allegorien und biblische Motive, später Bibliotheksansichten – mittlerweile als Kupferstich und Radierung. Im 19. Jahrhundert wurden Exlibris schliesslich selbst zum Sammlerobjekt: 1891 wurde in Berlin eine bis heute bestehende Gesellschaft gegründet, die das Heft «Exlibris, Zeitschrift für Bücherzeichen – Bibliothekenkunde und Gelehrtengeschichte» herausgab.

Gedruckte Exlibris sind selten geworden. Als Stempel aber hat das Exlibris bis heute überlebt: als kunstvoll geschnittener moderner Exlibrisstempel – oder als profane Bibliotheksmarke.