Büroklammer

Ein Stückchen Draht, zu zwei rechteckigen Schlaufen gebogen, und fertig ist die Erfindung, die lose Blätter zuverlässig zusammenkneift: Die Büroklammer ist so einfach wie genial.

Nur wer der geniale Erfinder ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Paper clips, wie die Büroklammern auf Englisch heissen, gibt es nämlich schon lange – eckig und rund, mit einer oder mit zwei Schlaufen. Seit 1890 werden sie in England industriell hergestellt, doch ein Patent auf unsere heutige Klammer – mitsamt der Fabrikationsmaschine – erhält erst am 7. November 1899 der Amerikaner William Middlebrook aus Connecticut. Und so tritt die mit Zink, Messing oder Kupfer beschichtete und damit rostfreie Drahtklammer ihren Siegeszug an.

Der simple Draht allerdings kann mehr, viel mehr: Nur mit einer Büroklammer liessen sich Mac-Disketten auswerfen, wenn der Servomotor mal wieder streikte, nur mit ihr lassen sich SIM-Karten in Handys einsetzen, und – einen sterbenslangweiligen Arbeitstag vorausgesetzt – sie lässt sich zu einem funktionsfähigen Kreisel biegen, wie der japanische Physikprofessor Takao Sakai herausgefunden hat. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie gar zum Nationalsymbol von Norwegen: Nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 begannen die Menschen an Kragen und Revers Büroklammern zu tragen, zum Zeichen des nationalen Zusammenhalts und des Widerstandes gegen die Nazis.

Und damit ist die Büroklammer ist nicht nur ein patenter Helfer, sondern auch ein Stückchen Weltgeschichte.

Bus

Der pensionierte Oberst Stanislas Baudry ist ein gewiefter Geschäftsmann. In einem Dorf ausserhalb von Nantes besitzt er eine Mühle, die von Dampfmaschinen angetrieben wird. Das heisse Wasser seiner Maschinen, so denkt er sich, müsste sich doch weiternutzen lassen, und so lässt er gleich nebenan ein öffentliches Bad bauen. Bloss, die Stadt ist weit, und die Badegäste bleiben aus. Also lässt Baudry zu festen Zeiten Pferdekutschen fahren – von Nantes zu seinem Bad. Tatsächlich: Bei der Abfahrt sind die Wagen rappelvoll, doch beim Badehaus kommen sie leer an: Die Menschen fahren mit den Kutschen in der Stadt umher und steigen nach Belieben wieder aus. Unternehmer Baudry versteht, schliesst kurzerhand Bad und Mühle und eröffnet 1825 in der Stadt ein öffentliches Kutschennetz.

Bleibt die Sache mit dem Namen. Am Anfang heisst die Firma «Entreprise générale des dames blanches», benannt nach der damals sehr populären Oper «La dame blanche» des Komponisten François-Adrien Boieldieu. Die weissen Damen verheissen zwar reichlich Glamour, sind aber irreführend, weil der Kutschendienst ja für alle gedacht ist, egal welchen Geschlechts oder welcher Schicht. Also werden die Kutschen umbemalt und tragen neu den lateinischen Namen «Omnibus», auf Deutsch «für alle». Der Betrieb floriert, und Baudry expandiert nach Bordeaux und Paris. Bald heissen öffentliche Kutschen überall «Omnibus», später «Autobus» – und heute, kurz und bündig, einfach «Bus».

Butterfield, Stewart

Es war 1999, da hatte der damals 26-jährige Philosoph Stewart Butterfield eine Wut im Bauch. Es war die Zeit, als man die Bytes noch einzeln durch die Leitung rieseln hörte, und Butterfield wartete mal wieder endlos auf das Laden einer Webseite. Ursache der epischen Ladezeiten war die immer schlampigere Internetprogrammierung, die immer schnellere Verbindungen erzwang, die wiederum noch schlampigeres Programmieren zuliessen. Ein Teufelskreis. Also schrieb Butterfield zusammen mit Freund Eric Costello einen Wettbewerb für gute Webseiten aus – welchen Inhalts, war egal. Hauptsache, sie wogen weniger als 5 Kilobytes. Das ist ungefähr die Datenmenge maschinengeschriebenen A4-Seite. Unmöglich? Weit gefehlt: Unter den Einsendungen fanden sich ein funktionsfähiges Schachspiel oder das kleinste Kunstmuseum der Welt.

Drei Jahre später, 2002, folgte Butterfields nächster Streich: ein noch nie dagewesenes Onlinegame, in dem die Spieler virtuelle Landschaften erkunden und miteinander chatten konnten. Das Game war noch in der Testphase, da fiel Butterfield auf, dass die Spieler vor allem eigene Fotos hochluden, um sie anderen zu zeigen. Butterfield roch Lunte, legte das Game auf Eis und entwickelte www.flickr.com. Flickr ist heute die wichtigste Foto-Plattform der Welt, mit mehr als 5 Milliarden hochgeladenen Bildern und Videos.

Nachdem er Flickr für geschätzte 35 Millionen Dollar an Yahoo verkauft hatte, begann sich der Flickr-Chef zu langweilen. Und heute, da Google, Facebook & Co. vollauf damit beschäftigt sind, immer noch grösser zu werden, fängt Butterfield mal wieder von vorn an. Sein liegen gebliebenes Game heisst ironisch «Glitch» – auf Deutsch Fehler oder Panne – und wird demnächst fertig. Vom Programmierer und Philosophen Stewart Butterfield wird noch so einiges zu hören sein.

Butterzentrale

Die Lage wurde kritisch. «Krasse Übelstände» gebe es zu bekämpfen, schrieb der Bundesrat am 18. August 1917. Weil aufwändiger als Rohmilch, aber weniger rentabel als Käse, wurde im Ersten Weltkrieg immer weniger Butter produziert. Die wurde ein rares Gut: Bauern hielten ihre eigene Butter zurück und schmuggelten sie an den amtlichen Kontrollen vorbei. Während sich Herr und Frau Schweizer in den Vorkriegsjahren pro Monat noch ein volles Pfund Butter aufs Brot streichen konnten, fiel der Verbrauch im Krieg auf unter 100 Gramm.

Ab sofort, so ordnete der Bundesrat an, werde der Butterhandel daher unter staatliche Kontrolle gestellt. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, wurden eine «Eidgenössische Zentralstelle für Milch und Milchprodukte» und in den Regionen sogenannte «Verbandsbutterzentralen» ins Leben gerufen. Diese Zentralen sollten dafür sorgen, dass Butter nicht mehr unter der Hand und zu überhöhten Preisen beim Bauern, sondern nur noch in konzessionierten Käsereien gekauft werden konnte. Ausserdem sollten die Butterzentralen das Horten verhindern, die vom Bundesrat festgesetzten Höchstpreise durchsetzen und dem Bundesrecht Geltung verschaffen: Einzelne Kantone hatten sich mit kantonalen «Ausfuhrverboten» geweigert, ihre knappe Butter über die Kantonsgrenzen zu lassen.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb die Butterversorgung in der Schweiz fragil: In den Zwischenkriegsjahren brach der Milchpreis ein, im Zweiten Weltkrieg wurden Milchprodukte wieder knapp. Unter dem Namen «Butyra» blieben die Butterzentralen noch bis 1999 am Leben.

Caganer

Der caganer gehört in Katalonien, ganz im Nordosten Spaniens, seit Jahrhunderten zur angestammten Belegschaft der Weihnachtskrippe. Er ist in keinem Evangelium zu finden, und daher würde man ihn in so unmittelbarer Nachbarschaft des neugeborenen Jesuskindes auch nicht unbedingt vermuten. Denn der caganer stellt einen katalanischen Bauern dar, mit traditioneller roter Mütze und heruntergelassener Hose, der etwas abseits auf dem Boden kauert und seelenruhig sein Geschäft verrichtet. Daher auch sein Name: Caganer heisst auf Deutsch ganz einfach «Scheisserchen».

Was um Himmels willen hat die biblische Weihnachtsgeschichte mit bäuerlichem Stoffwechsel zu tun? Wenn jemand auf dem Feld mal muss, so erklären Katalanen den staunenden Fremden, dann muss er eben, das ist doch das Natürlichste auf der Welt. Gesichertes Wissen über den caganer gibt es kaum. Es wird aber vermutet, dass das Männchen ursprünglich für den Kreislauf der Natur stand, für Dünger und Fruchtbarkeit, für die Hoffnung auf eine gute Ernte im nächsten Jahr, für Ausgeglichenheit und Gesundheit.

Heute ist der caganer geradezu zur weihnachtlichen Kunst- und Kultfigur geworden: Anstelle des Häufchen machenden Bauern sieht man auch Politiker, Schauspieler, Musiker oder Fussballer, allesamt gebückt und in eindeutiger Pose. Dieser Tage besonders beliebt: US-Präsident Donald Trump, mit roter Krawatte statt roter Mütze, untenrum blank.

Selbst das Königshaus und die katholische Kirche Spaniens haben das Männchen auf dem Topf längst akzeptiert: als ein etwas eigenwilliges Symbol für Glück.