Doppelagent

Spione sind loyal – nur nicht gegenüber dem Land, in dem sie leben. Aber da gibt es Agenten, die kennen mehr als eine Loyalität: Doppelagenten spionieren für und gegen die eine wie die andere Regierung. Zum Beispiel die legendäre Nackttänzerin und Kurtisane Mata Hari. Mata Hari hiess tatsächlich Margaretha Geertruida Zelle und war nicht die Tochter eines indischen Brahmanen, sondern eines niederländischen Hochstaplers. Seit 1915 deutsche Spionin in Paris, horchte sie gleichzeitig Generäle für die Franzosen aus. Bloss: Schon früh kam der britische Secret Service zum Schluss, dass die Tänzerin zwar unvergleichlich schön, als Spionin aber harmlos war.

Im Halbdunkel geheimdienstlicher Scharaden verlieren zuweilen sogar Spione den Überblick. Hinter dem deutschen Doppelagenten namens «Bambi» soll sich der Geheimdienstler und Journalist Günter Tonn verborgen haben, der seit 1955 für den KGB spionierte. Nur: Was er weitergab, war fingiert, denn tatsächlich soll Tonn die Russen ausspioniert haben. Vieles liegt im Dunkeln, doch als sicher gilt: «Bambis» Führungsoffizier Heinz Felfe, war ebenfalls Doppelagent – aber diesmal tatsächlich im Dienste Moskaus; dass «Bambi» nicht zu trauen war, war den Russen bekannt – und egal. Denn als «Bambi» aufflog, beschleunigte das Felfes Karriere beim Bundesnachrichtendienst.

Doppelagenten sind ungemein effizient: Weil sie hartgesottene Spionageprofis sind, kennen sie das Metier, und sie liefern nicht bloss Geheimmaterial, sondern auch Einsichten in die Arbeit der Agentenjäger. Felfe, am Ende Gegenspionagechef in Pullach, war Doppelagent im ganz grossen Stil: 15 000 Geheimdokumente hat er weitergegeben, 190 deutsche und amerikanische Agenten enttarnt.

Dr. Seuss

1. Oktober 1941. Die Karikatur der New Yorker Zeitung «PM» zeigt eine Mutter mit ihren beiden Kindern. Sie trägt einen Pullover mit der Aufschrift «America First», sitzt im Sessel und liest aus dem Buch vor mit dem Titel: «Adolf the Wolf»:

Und der Wolf frass die Kinder und spie ihre Knochen aus. Es waren Ausländerkinder, und darum war das nicht so schlimm.

Dieser rabenschwarze Cartoon stammt von Dr. Seuss, mit bürgerlichem Namen Theodor Seuss Geisel und von Beruf Kinderbuchautor. Dr. Seuss, 1904 in Springfield, Massachusetts, geboren, ist vor allem bekannt als Erfinder des grünen Grinch, der in einer Höhle lebt und Weihnachten hasst, aber tatsächlich war Seuss ein durch und durch politischer Mensch. Seine Cartoons für «Vanity Fair», «Life» und «PM» richteten sich immer wieder gegen die ausländerfeindliche Bewegung mit ihrem Slogan America first, die das Heil Amerikas in wirtschaftlichem Protektionismus und aussenpolitischem Isolationismus sah. Mit diesem Slogan hetzten in den 1930er-Jahren die Zeitungen des Tycoons William Randolph Hearst gegen den neugewählten Präsidenten Franklin D. Roosevelt, und am Ende wurde America first gar zum Motto amerikanischer Nazi-Sympathisanten.

From this day forward, it’s going to be only America first, America first.

Als Donald Trump am 20. Januar 2017 in seiner ersten Rede als Präsident America first zur Leitidee erhob, rief er damit Erinnerungen an dunkelste Stunden der Weltgeschichte wach, gegen die der Cartoonist Dr. Seuss ein halbes Leben lang angezeichnet hatte.

Eiffelturm

Das Verhältnis von Paris zu seinem Eiffelturm ist kompliziert. 1890 schreibt Guy de Maupassant, Frankreichs grosser Erzähler, in einer Reportage:

Ich habe Paris und Frankreich verlassen, weil ich den Eiffelturm so gründlich satt hatte. Nicht genug, dass man ihn von überall her sieht, man findet ihn auch überall zu kaufen, hergestellt aus jedem erdenklichen Material, ausgestellt in jedem Schaufenster – ein Alptraum.

Als sich Maupassant seinen Überdruss von der Seele schreibt, ist der Eiffelturm gerade mal drei Jahre alt, und die Weltausstellung, für die ihn der Ingenieur Gustave Eiffel erbaut hat, liegt erst ein Jahr zurück.

Aber tatsächlich ist der bei seiner Eröffnung 312 Meter hohe Turm bloss als Provisorium gedacht; jahrzehntelang rostet er vor sich hin, derweil die Stadt über einen Abriss streitet. Da schlägt die Stunde des Hochstaplers Victor Lustig. Der gibt sich als Vizegeneraldirektor des Postministeriums aus und schreibt den Eiffelturm 1925 kurzerhand zum Verkauf aus. Der Schrotthändler André Poisson, noch neu im Geschäft, geht dem dem Betrüger Lustig auf den Leim und ersteht die 7000 Tonnen Alteisen für 50 000 Dollar. Mit dem Geld in der Tasche macht sich Lustig aus dem Staub, der getürkte Handel fliegt auf, doch aus Angst vor Hohn und Spott verzichtet der geprellte Poisson auf einen Gang zur Polizei.

Kein Abriss, kein Verkauf: Im Lauf seiner Geschichte dient der Eiffelturm als militärische Funkstation, als Zeitzeichensender, als Radiostudio, Fernsehsender, Wetterstation. 300 Millionen Menschen haben ihn bisher besucht; Jahr für Jahr kommen weitere sechs Millionen dazu.

Elite

«Elite» ist ein ungeliebtes Wort. In unserer egalitären Welt macht sich verdächtig, wer es allein schon in den Mund nimmt. Dabei stammt es ursprünglich von der grundlegenden Kulturtechnik des Lesens ab: Elite kommt vom französischen élire und damit vom lateinischen legere, «lesen».

Es ist immer die Leistung, die darüber entscheidet, wer zur Elite zählt,

schreibt der deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse. Und tatsächlich wird «Elite» im Frankreich des 18. Jahrhunderts zuerst vom aufstrebenden Bürgertum gebraucht. Gesellschaftliche Bedeutung sollen auf Tugend, Wissen und Leistung gründen und nicht bloss auf der Herkunft aus dem Adels- oder Königshaus.

Im frühen 19. Jahrhundert ist der Begriff «Elite» noch durchaus positiv. Revolutionen haben den verhassten Adel weggefegt, und die Industrialisierung pflügt die Gesellschaft um. Der Frühsozialismus beruft sich auf Platons «Herrschaft der Besten» und strebt nach einer «Herrschaft der Eliten». Liberale dagegen gestehen Zugehörigkeit zur Elite eher den Besitzenden und Gebildeten zu und prägen so das Wort in einem ökonomisch-technokratischen Sinn.

Am Ende wird «Elite» zum Kampfbegriff auf dem Schlachtfeld der Ideologien. Sozialphilosophen und Elitetheoretiker suchen eine Teilung der Gesellschaft in Ober- und Unterschichten zu rechtfertigen – oder aber zu verdammen. «Elite» gerät mehr und mehr in den Strudel von Sozialdarwinismus, Rassismus, Faschismus, Nationalsozialismus und wird am Ende, aller Realität zum Trotz, zum eigentlichen Unwort.

Fraktur

«Fraktur reden» heisst, jemandem seine Meinung zu sagen, deutsch und deutlich. Fraktur, das ist die sogenannt «gebrochene» Schrift – das Wort kommt vom lateinischen frangere, «brechen». Eine Schrift nennt man dann gebrochen, wenn die Bögen eines runden Buchstabens, etwa des «o», einen deutlich sichtbaren Knick aufweisen. Die älteste Druckschrift, jene der Gutenberg-Bibel Mitte des 15. Jahrhunderts, war eine gebrochene Schrift namens «Textura», deren Brüche im kleinen «n» und «m» ganz besonders deutlich sind. Fraktur war bis ins 19. Jahrhundert die vorherrschende Druckschrift, auch in der Schweiz – die Neue Zürcher Zeitung etwa wurde bis 1946 in Fraktur gedruckt.

Fraktur wird bis heute vor allem mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Tatsächlich war im Deutschland der Dreissigerjahre Fraktur die offizielle Druckschrift, weil sie als besonders deutsch galt. Das geht auf den schwäbischen Heimatdichter Cäsar Flaischlen zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Gedicht «Vom Herrenrecht unserer deutschen Schrift» geschrieben hatte. Da steht zu lesen:

Deutsches Volk, hab acht, sieh zu,
lass dir deine Schrift nicht nehmen,
deine deutsche Schrift bist du! (…)
Du sei du, gradauf und eckig!
Du sei kantig und sei hart!

Und so wurden deutsche Texte in Fraktur geschrieben, nicht aber Fremdwörter, die wurden in sogenannter «Antiqua» gesetzt, unserer heutigen Normalschrift. Weil Fraktur aber für Nichtdeutsche schwer lesbar war, verfügte Adolf Hitler 1941 die Abschaffung der Fraktur – und beendete damit den sogenannten «Antiqua-Fraktur-Streit», die jahrzehntelange politische Auseinandersetzung um die «richtige» deutsche Schrift.