Razzia

Grosseinsatz der Polizei, Waffen und Drogen beschlagnahmt, Mafiosi in Haft. Und wieder berichten die Medien über eine erfolgreiche Razzia. Ein sperriges Wort: «Razzia» kommt aus dem Arabischen und bedeutet ursprünglich «Schlacht» oder «Raubzug».

Streng genommen war die Razzia bei den Beduinen eine Sache der Gesetzesbrecher, nicht seiner Hüter. Wenn nach einer winterlichen Dürre oder einer Viehseuche die Kamele verendeten und der Proviant knapp wurde, unternahmen Krieger kurze Überfälle auf feindliche Sippen oder Stämme. Sofern eine solche Razzia nicht im Schutz der Nacht geschah und nach bestimmten Regeln ablief, galt sie nicht als ehrenrührig, ganz im Gegenteil: Den Moralvorstellungen der Wüste zufolge waren solche Razzien gleichsam sportliche Wettkämpfe, deren Teilnehmer Blutvergiessen nach Möglichkeit vermieden und deren Preis die Beute war. Sogar die Feldzüge des Propheten Mohammed auf der arabischen Halbinsel werden vom muslimischen Geschichtsschreiber Ibn Ishaq im 8. Jh. als غزوة, als «Beutezug», bezeichnet.

1830 begann die Kolonialmacht Frankreich mit der Eroberung Algeriens, und so hielt die Razzia Einzug ins militärische Vokabular, als Begriff für blutige Vergeltungsschläge gegen aufrührerische Berberstämme, die von einem grossarabischen Reich träumten und die französischen Soldaten mit Waffengewalt aus Algerien vertreiben wollten.

Wüstenkodex und Kolonialismus sind Geschichte. Heute gehört die Razzia nur noch in den Polizeijargon – und in die vermischten Meldungen.

Rubikon

Die Würfel sind gefallen: Dieses Zitat schreibt der römische Geschichtsschreiber Sueton dem grossen Julius Cäsar zu, als der, im Morgengrauen des nasskalten 11. Januar 49 v. Chr., mit seiner Armee im Rücken am gallisch-italienischen Grenzfluss Rubikon stand und darüber nachdachte, dass sein Vorrücken unweigerlich einen Bürgerkrieg auslösen würde. Cäsar zögerte, bis ein aus dem Nichts auftauchender Hüne einem Trompeter die Tuba entriss und kurzerhand zum Angriff blies. Cäsar wusste: Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Seither ist der Rubikon der sprichwörtliche Fluss of no return. Das kleine Flüsschen Rubicone entspringt 40 Kilometer nordöstlich von Florenz auf halber Höhe des Apennin, fliesst an Forlì und Ravenna vorbei und mündet am Ende in die Adria. Nur: Ob das tatsächlich Cäsars Rubikon ist, darüber wird seit Jahrhunderten erbittert gestritten. Die Sache ist verzwickt. In der fraglichen Region gibt es nämlich gleich drei Flussläufe. Jeder davon hat im Lauf der Jahrhunderte mehrmals sein Bett gewechselt, und an jedem Ufer finden sich Überreste römischer Brücken oder Münzen.

Eines der Flüsschen pflegte Italiens Diktator Benito Mussolini regelmässig zu überqueren – in der Staatskarosse und auf dem Weg von seinem Heimatort zu seiner Strandvilla bei Rimini. Die Vorstellung, ein wahrhaft historisches Gewässer zu überqueren, muss dem Duce gefallen haben: Per Dekret vom 4. August 1933 wurde der unscheinbare Bach zum historischen Rubikon.

Doch jedes neu entdeckte Gemäuer, jeder neue Fund lässt den alten Streit neu aufflammen. Und weil Cäsar nur von Würfeln und von Krieg gesprochen hat, liegt der genaue Ort des Diktums wohl für immer im Dunkel der Geschichte.

Sabotage

Moses hob den Stab und schlug ins Wasser, vor Pharao und seinen Beamten. Und das Wasser verwandelte sich in Blut. Die Fische starben, und der Strom begann zu stinken, so dass die Ägypter das Wasser nicht mehr trinken konnten.

Die erste der zehn Plagen, die über Ägypten kamen, ist, je nach Standpunkt, eine gerechte Strafe – oder aber eine frühe Form von Sabotage. Ein Saboteur ist, wer mit Absicht staatliche, wirtschaftliche oder militärische Einrichtungen schädigt, sei es durch passiven Widerstand oder durch gezielte Beschädigung oder Zerstörung.

Das Wort kommt vom französischen sabot, wörtlich «Holzschuh», auch «Bremsklotz» oder «Hemmschuh». Ende des 19. Jahrhunderts diskutierte die französische Arbeiterbewegung Sabotageakte als legitimes Mittel des Klassenkampfs. Im grossen französischen Eisenbahnerstreik von 1910 zerschlugen die Arbeiter die sabots genannten Halterungen der Schienen, um die Züge zum Entgleisen zu bringen.

Die zerstörerische Idee machte Schule: Vordenker der in den USA gegründeten Gewerkschaft «Industrial Workers of the World» propagierten in vielbeachteten Broschüren die Sabotage von Maschinen und Anlagen als wirksame Waffe der Arbeiterbewegung. «Sabotage», so schrieb 1916 die Aktivistin und spätere Kommunistin Elizabeth Gurley Flynn, sei «der bewusste Entzug der industriellen Effizienz des Arbeiters». «Ich werde nicht versuchen, Sabotage zu rechtfertigen. Wenn die Arbeiter Sabotage aber für nötig halten, macht sie das automatisch zur moralischen Sache.»

Das sieht der Staat heute naturgemäss etwas anders. Laut schweizerischem Militärstrafrecht steht auf Sabotage eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.

Sacco di Roma

Atemlos hasteten die 42 Schweizergardisten und Papst Clemens VII durch den «Passetto di Borgo», den Gang, der als gewöhnliche Mauer getarnt ist und der vom Vatikan zur Engelsburg führt. Der Ausbruch gelang, und der Papst erreichte die Festung unversehrt.

Der «Sacco di Roma», die Plünderung Roms an diesem 6. Mai 1527, ging als beispielloses Kriegsverbrechen in die Geschichte ein. Der hemmungslose Raubzug der grösstenteils reformierten Söldnertruppen Karls V, des gewählten, aber noch ungekrönten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs, geriet gänzlich ausser Kontrolle. Führerlos und ausser Rand und Band zogen die Landsknechte brandschatzend, vergewaltigend und mordend durch die Strassen. Kirchen und Paläste wurden ausgeraubt, Adligen enorme Lösegeldsummen abgepresst, Bürgern unter Folter alles abgenommen, was von Wert war. Alle Schweizergardisten, mit Ausnahme der 42 päpstlichen Fluchthelfer, wurden auf dem Petersplatz getötet.

Die Zahl der zivilen Opfer ging in die Zehntausende; über 90 Prozent der Kunstschätze Roms wurden gestohlen oder zerstört. Bis heute gedenkt die Schweizergarde der Gräuel – wenn sie jeweils am 6. Mai ihre neuen Rekruten vereidigt.

Eine letzte Spur dieses schwarzen Tages kam erst Jahrhunderte später an den Tag. Auf dem Fresko «Disputa del Sacramento», einem berühmten Gemälde des Renaissancemalers Raffael im Vatikan, entdeckten Restauratoren 1999 den Namen «Luther», von hasserfüllten Söldnern eingeritzt, als wohl grösste denkbare Schmähung der katholischen Kirche.

Schallmauer

Charles Elwood Yeager (den alle nur Chuck nennen) ist an diesem 14. Oktober 1947 alles andere als flugtüchtig: Bei einem nächtlichen Ausritt hat er ein Gatter übersehen und zwei Rippen gebrochen. Den peinlichen Unfall verschweigt er; nur einem Freund vertraut er sich an, weil er vor lauter Schmerzen die schwere Cockpithaube seines Jets nicht zuschieben kann. Abhilfe schafft ein zurechtgesägter Besenstiel, der als Hebel dient. Yeagers Maschine, eine «Bell X-1», ist ein von vier Raketentriebwerken angetriebenes Experimentalflugzeug der U.S. Air Force. Es kann nicht vom Boden aus, sondern nur am Bauch einer riesigen Boeing hängend in 2000 Metern Höhe starten. Um überhaupt ins Cockpit der X-1 zu gelangen, muss Yeager bei 400 Stundenkilometern Gegenwind eine Leiter hinabklettern.

Der Flug gilt als Todeskommando. Jedes Flugzeug, so glauben viele, müsse beim Erreichen der Schallgeschwindigkeit an der Schallmauer zerschellen wie ein Auto an einem Felsen. Tatsächlich sind bisher alle Testflugzeuge bei 1000 Stundenkilometern mit den auftretenden Belastungen nicht klargekommen, notgelandet oder tatsächlich auseinandergebrochen.

Yeager, endlich ins Cockpit gezwängt, startet die Triebwerke, steigt auf 13 100 Meter Höhe und erreicht über der Mojave-Wüste 1125 Stundenkilometer. Am Boden hören die Messtechniker zum ersten Mal den Überschallknall.

Der Flug sei eigentlich unspektakulär gewesen, sagt der waghalsige Pilot, als er aus dem Cockpit steigt. Von den schmerzenden Rippen abgesehen habe es sich nur angefühlt, als flöge er durch einen Wackelpudding.